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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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29.08.2017, 11:56 | #1 |
Bilder aus dem Dreißigjährigen Kriege
I
Geborgen liegt der Ort in tiefen Schatten, das Morgenlicht fängt Kinder in den Türen, ein junges Mädchen geht sein Mieder schnüren und Veilchen blühen schon in den Rabatten. Wer wollte wohl an solchem Bilde rühren, und doch: Es strömen über grüne Matten Verfemte her, die niemals Heimat hatten und deren Lebenswärme nicht verspüren. Ein Ruf erschallt, man sieht die wilde Meute, ein Bauer und die Knechte fassen Beile. Ein Ruck geht durch das ganze Dorf, denn heute soll ihr Entlegensein den Frieden büßen! Man schreit und strömt davon in banger Eile, in Unterkleidern und auf nackten Füßen. II Es ist ein Schreien und ein wildes Toben, die Hütten brennen und die Frauen flehen. Ein Furor, den die Welt noch nicht gesehen, doch tausend Male schon, hat sich erhoben! Die Braven fallen, und von allen Enden ergießt die Gier der nackten Ungeheuer sich über Kirche, Bauernhof und Scheuer, und kein Gebet mag das Gemetzel wenden! Die Wut verebbt, die derben Waffen schweigen, nur dort, wo sich des Waldes Ufer neigen, hat man noch blutig Frau und Kind gefangen. Die Frau hat man geschändet und gehangen, der Knabe wird geprügelt und geschunden und endlich bloß an einen Baum gebunden. III Geschwärzte Pfeile in den schmalen Rippen, genagelt an des alten Baumes Rinde, so stirbt das letzte Licht in diesem Kinde, ein ungelebtes Leben auf den Lippen. Die krausen Enden dunkler Schäfte wippen ein letztes Mal, das junge Herz steht stille, und mit ihm scheint ein losgelöster Wille zur Seite mit dem leeren Blick zu kippen. Ein sachtes Raunen streift die alte Linde, das Kriegsvolk zieht davon mit blanken Hippen. Fast unbemerkt treibt mit dem leisen Winde ein Schluchzen fort. Darüber legt sich Stille. Ein altes Weiblein sieht man Gräber schippen. Des Menschen Zorn ist seines Grams Destille. |
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30.08.2017, 12:20 | #2 |
Lieber Erich,
das Gedicht gefällt mir außerordentlich. Besonders die dritte Strophe zeigt im Sterben des Kindes intensiv die sinnlose Grausamkeit des (im Krieg verrohten) Menschen und gibt lapidar, weise und resigniert eine Erklärung dafür: der Zorn sublimiert den (lang gehegten) Gram. Chapeau und LG gummbaum |
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30.08.2017, 22:45 | #3 |
Hi Gum!
Eigentlich ist die letzte Conclusio so gemeint, dass aus den aggressiven menschlichen Gefühlen letztlich nur Leid entsteht. Der Zorn, bzw. die darin verübten Taten, sind die Destille des Trankes namens Gram. Aber du siehst es auch insofern richtig, dass aus dem Gram immer wieder neue Wut, neue Rachsucht entstehen, die den Teufelskreis weiter antreiben! Das Gedicht entstand in Erinnerung an einen Film, den ich mal gesehen hatte, und der in dieser Zeit spielt - es war allerdings nicht der Simplizissimus. Diese drei Sonette sollen als vergleichendes Bild für alle mörderischen Greueltaten des Menschen stehen, die er in blinder Wut, purer Mordlust oder aus niederer Gehässigkeit heraus begeht. Vielen Dank für die Auseinandersetzung mit dem schwierigen Stoff. LG, eKy |
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09.09.2017, 09:52 | #4 |
abgemeldet
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Schrecklich, grausam und so wahr, eKy. Mir schossen Tränen ins Gesicht...
Großartige Dichtung! Zeitlich verdammt übertragbar... Favorit! Lieben Samstaggruß Letreo |
09.09.2017, 10:52 | #5 |
R.I.P.
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Lieber Erich -
Dir ist es beinahe gelungen, die Schrecken dieses Krieges einzufangen.
Nur, daß er noch schlimmer war, als hier beschrieben. Ich brauchte nicht nur erst den Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch, heute meist Simplicius Simplicissimus zu lesen, um zu sehen, zu welchen Gräueln eine "arbeitslose" Soldateska instande war. Dein Gedicht ist hervorragend, es schaudert mich bei der Lektüre. Meine Favoritenliste wird lang und länger. Lieben Gänsehautgruß von Thing |
09.09.2017, 11:05 | #6 |
Hi Letreo, Thing!
Waffen verleihen Macht, und Macht wird immer missbraucht werden, umso leichter und eher von Menschen, die davor nie welche hatten, oder die durch Traumatisierung, (quasi)religiösen/politischen Wahn oder angeborene Soziopathie gelernt haben, ihre Gräueltaten zu genießen. Gebildete Soziopathen werden Generäle oder Politiker - sie nutzen die bewaffneten Menschen und ihre Dummheit/Manipulierbarkeit als Waffen, indem sie von vaterländischen Idealen, bzw. rassischen oder kulturellen Eliten daherquatschen. Der Krieg ist letztlich eine gesetzes- wie moralfreie Zone, in der jeder sein Allerschlimmstes ausleben kann und wird, wird er durch die gewaltsamen Umstände ausreichend enthemmt und geprägt. LG, eKy |
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