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Philosophisches und Nachdenkliches Philosophische Gedichte und solche, die zum Nachdenken anregen sollen. |
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23.08.2016, 10:25 | #1 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Zwang los
Vorbei ist mein Schlaf,
pervers quietscht die Bahn, drum raus aus den Kissen, schön folgsam und brav, alltäglicher Wahn, ich fühl mich beschissen. Im Dauerlauf raus in stockdunkle Nacht, hinein in die Menge. Ich bin eine Laus, die rennt und die macht, in steinerner Enge. Das Glashaus vor mir, ein Riese aus Stahl, gleich wird er mich schlucken, hier hock ich bis vier, alltägliche Qual, und immer schön ducken. Ich wäre viel lieber weit draußen im Freien und lauschte den Vögeln bei ihren Gesängen. Dort würden mein Herz und die Seele gedeihen, auf ewig entbunden von städtischen Zwängen. Ich ließe mich treiben vom neckischen Wind, genösse sein Rauschen und wär wieder Kind. Auf einsamer Bank unter schattigen Bäumen, da würd ich von Muße und Wanderslust träumen. Die Stadt möcht ich meiden, auf ewig verdrängen, den Wald kann ich leiden, fernab allen Zwängen. |
23.08.2016, 14:59 | #2 |
Hallo Nöck,
dein lyrisches Ich wird vom Leben getrieben und möchte der Situation entfliehen. Die ersten drei Strophen beschreiben einen Teil des Tagesablaufs, Aufstehen bis Ende des Büroalltags. Der Tag wird dabei als Qual empfunden, der Protagonist sieht sich als wertlos an („Laus“). Die letzten drei Strophen (zweite Gedichthälfte, ab jetzt „oben“ und „unten“) beschreiben eine idealisierte Wunschvorstellung des lyrIchs, fern ab der bedrängenden Stadt in einer als traumhaft schön empfundenen, bewaldeten Natur. Aus formeller Sicht finde ich die Unterscheidung sehr gut gelungen. Das Gedicht ist zwar komplett im Dreierrhythmus gehalten, jeder Vers startet mit einer unbetonten Silbe, gefolgt von einer betonten. Die unterschiedlichen Verslängen, oben 2 Hebungen, meist betont endend, unten je 4 Hebungen, meist unbetont endend und somit sanft auslaufend, entfalten eine entgegengesetzte Wirkukng. So wird oben der monotone Grundtenor betont, der mich direkt das Bild der (ratternden) Bahn aus Vers 2 aufnehmen lässt. Unten erhält das ebenmäßige Schwingen einen viel größeren, positiv stimmenden Raum. Die Wortwahl tut ihr Übriges, um den gegensätzlichen Effekt zu verstärken (z.B. „Qual“, „Enge“, „pervers“, „stockdunkel“ vs. „neckischen“, „Freien“, „gedeihen“, „schattigen“). Beim ersten Lesen habe ich bis zur dritten Strophe zunächst an eine Deportationsszene gedacht. Das Reimschema wandelst du von einem erweiterten Kreuzreim (ABCABC, S1-3) über einen normalen (S4) hin zum Paarreim (S5-6). Der Reim wird dadurch förmlich, wie die Gefühle des lyrIchs, entflechtet. Ebenso werden die Verse unten länger und das Textbild dadurch breiter. Die Entsprechung der sich öffnenden Seele / Arme des Protagonisten findet sich hier ebenfalls über die Form wieder. Gelungen finde ich auch die Optik, die durch die Zentrierung des Textes entsteht. War das Zufall oder sollte es wie ein Stempel aussehen? Dieser kann verstanden werden als ein Sinnbild für stupide Büroarbeit, aber auch als Mal, das das eintönige Leben dem LyrIch aufgedrückt hat. Noch weiter gedacht ergibt sich das Bild eines Neuanfangs. Der Stempel ist oft der Abschluss eines Arbeitsvorgangs und hier kann er als Metapher für das Abschließen und Entfliehen des Bürolebens in eine Traumwelt gedeutet werden. Rhythmisch sind in den oberen drei Strophen mehrere Holperer (z.B. V13), die ich als versuchten Ausbruch des lyrIch aus dem Einheitstrott verstehe. Die natürliche Sprache wird mehrfach in den vorherrschenden Rhythmus „gezwungen“. Man könnte noch viel mehr sagen, z.B. über die Verwendung von langen und kurzen Silben, die "abgeschnittene" letzte Strophe oder die permanente Stockung an den oberen Versenden, aber ich lass es an dieser Stelle dabei bewenden. Ich finde, das Zusammenspiel von Inhalt und unterschiedlichen Stilelementen ist dir ausgezeichnet gelungen. Freundliche Grüße von Stachel |
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23.08.2016, 14:59 | #3 |
R.I.P.
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Lieber Nöck -
ich weiß gar nicht, welches "Teil" mich mehr angesprochen hat.
Doch eher das zweite - ja das zweite. Weil ich ebendiese Zwänge kannte und mit jeder Faser meines Seins dorthin wollte, wohin auch Du so sehnsüchtig strebst. Da stört mich auch keine Wiederholung, sie möge als Stilmittel dienen, Schön. Lieben Gruß von Thing |
25.08.2016, 10:14 | #4 | ||
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Hallo Stachel,
danke für die ausführliche Interpretation. Genau das wollte ich ausdrücken. Zitat:
Ich freue mich, dass dir mein Gedicht gefällt. Liebe Grüße Nöck Liebe Thing, Teil zwei spricht wohl jeden mehr an, weil dort unsere Sehnsucht nach Harmonie angesprochen wird. Teil eins kennen wir gut, können aber gern darauf verzichten. Zitat:
Danke und liebe Grüße Nöck |
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25.08.2016, 10:45 | #5 |
R.I.P.
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Die Zwänge
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25.08.2016, 10:50 | #6 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Ups!
Wie findest du das? Ich wäre viel lieber weit draußen im Freien und lauschte den Vögeln bei ihren Gesängen. Dort würden mein Herz und die Seele gedeihen, auf ewig entbunden von Stoßen und Drängen. Liebe Grüße Nöck |
25.08.2016, 10:52 | #7 |
R.I.P.
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Nein. Lieber zweimal die Zwänge.
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25.08.2016, 11:25 | #8 | |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Zitat:
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25.08.2016, 13:01 | #9 |
Schöne Gegenüberstellung (auch verstechnisch).
Sehr gern gelesen, lieber Nöck. LG gummibaum |
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25.08.2016, 14:30 | #10 | |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Zitat:
Liebe Grüße Nöck |
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