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Alt 02.08.2024, 19:50   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Der Brezel: kalt geformt, heiß diskutiert

Nicht vom haselnussbraunen, salzbestreuten Laugenbrezel ist die Rede, sondern von dem nach nichts duftenden und nach nichts schmeckenden Brezel auf der Computertastatur. Es geht um dieses unproportionale Gebilde, das an eine Frauengestalt des Malers Fernando Botero erinnert: oben ein kleiner Kopf, darunter etwas üppiger der Oberkörper und die Arme, doch ab der Taille ein ausladender, schlachtreifer Unterleib. Ein Schelm, der bei Boteros Bildern auf sexistische Gedanken kommt.

Man darf raten, ob der Brezel für Boteros Frauenfiguren Pate stand oder ob es umgekehrt war. Beim Typen-Brezel der Schriftkunst und später auf den Schreibmedien fehlten die Beine, das mag aber daran gelegen haben, dass die Unterlängen keine kommunikative Rolle spielten. Beine abzubilden wäre halt viel länger gewesen als Buchstaben mit Unterlängen wie "g" oder "j" zu schreiben. Man hätte das Schriftbild in die Vertikale ziehen müssen.

Aber nein, ich muss meine Assoziationen zügeln. Botero war keinesfalls ein Vorbote des heutigen laxen Umgangs mit der Rechtschreibung. Die Geschichte des Brezel ist viel banaler.

Bei dem &-Zeichen handelt es sich um eine Verbindung ("Ligatur") der beiden Buchstaben "e" und "t". So wird dieses Zeichen auch als "et" gelesen, was im Lateinischen "und" bedeutet.

Ursprünglich ist die Verbindung von e und t das Ergebnis einer schnellen Schreibweise. Erste Belege für ein &-Zeichen stammen aus dem Jahr 79 n. Chr. Dies war für die römische Zeit ungewöhnlich, denn dieses Zeichen kam in der römischen Majuskelschrift (also einer Schrift, die nur aus Großbuchstaben bestand) nicht vor. Das Zeichen entwickelte sich erst in der Spätantike, und diese Entwicklung fand Ende des 8. Jahrhunderts ihren Abschluss: Damals kam die karolingische Minuskel auf, eine Schrift, aus der sich die heutigen Kleinbuchstaben entwickelten. Zu dieser Zeit wurde das & sehr häufig verwendet, nicht mehr nur in der Bedeutung von ›und‹, sondern auch innerhalb von Wörtern als Ersatz der Buchstabenfolge e und t: deb& (debet), &iam (etiam), l&tos (letos). Diese Verwendung sowie das Vorkommen des Zeichens & verlor sich ab dem 16. Jahrhundert in Deutschland, als sich die deutschen Frakturschriften herausbildeten, die trotz vieler Ligaturen innerhalb dieser Schriften dieses Zeichen nicht aufgriffen. Mit dem Aufkommen von Firmendoppelnamen wurde es im 19. Jahrhundert schließlich wieder in den allgemeinen Schriftgebrauch eingegliedert und fortan zur Verbindung zweier Firmennamen verwendet. Auch heute ist im Deutschen die Verwendung des &-Zeichens offiziell nur in Firmennamen gestattet, in Fließtexten darf es laut Rechtschreibregelung nicht verwendet werden. Dennoch findet das Zeichen gerade bei der typographischen Gestaltung und im Bereich des Schriftdesigns häufige und fantasievolle Verwendung.

Wer heute wieder das "&" mit seinen Wörtern verschmelzt, schreibt nicht "und", sondern "et". Und der Autor muss sich klar darüber sein, dass er sich auf eine frühe Entwicklungsstufe begibt, wenn er es verwendet. Alles war schon einmal da. Muss sich aber ein Autor auf solche Absurditäten einlassen, seine Texte mit Sonderzeichen zu spicken und sie dadurch unlesbar zu machen? Ist es das Ziel, dass seine Leser abgeschreckt werden und den Text links liegen lassen? Für wen schreibt er? Ist die deutsche Sprache nicht reich genug, geniale Texte zu dichten, wenn man nur tief genug in ihrem Wortschatz schürft?
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Alt 05.08.2024, 13:16   #2
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Standard ein Wunder

... keine Brezel mehr zu finden, niemals eine hier gewesen.
Mit freudiger Erschütterung nahm ich zur Kenntnis, dass das Forum übers Wochenende halbiert wurde.

Diese Allmacht hatte ich nicht erwartet, die hinnehmende Geduld davor bewundere ich. Gelegentlich fühlte ich mich hier überrannt.

beaux rêves
dunkler Traum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.08.2024, 13:51   #3
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von dunkler Traum Beitrag anzeigen
Gelegentlich fühlte ich mich hier überrannt.
Man kann eben alles bis zum Anschlag ausreizen.
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