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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken. |
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03.06.2016, 06:13 | #1 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Der Bruder
Mein Bruder war schön und erfolgreich zugleich,
ihn liebten die Mädchen in Massen. Versprühte er Charme, schon wurden sie weich, er konnte von ihnen nicht lassen. Ihn hassten die Männer und Väter zuhauf, das Schicksal vergisst nicht, es nahm seinen Lauf, das Damoklesschwert musste fallen. Mamà war so blind, sie hat ihn verehrt, für sie bleibt er immer der Beste. Egal was er tat, sie fand’s nie verkehrt, missachtete meine Proteste. Nur er war der Stolz von Vater im Haus, das war nicht gerecht, doch hielt ich es aus, denn schließlich war er doch mein Bruder. Dann kam jener Tag, an dem er verschwand, wir können’s bis heute nicht fassen; er gilt als vermisst, zerschnitten das Band, wieso musste er uns verlassen? Mamà betet ständig, ihr Haar färbt sich grau, ich höre sie weinen und auch meine Frau, der Krug musste irgendwann brechen. Das Unheil begann am Abend zuvor, da hab ich die beiden gesehen, sie lag neben ihm, die Treue mir schwor, mein Herz blieb vor Schmerzen fast stehen. Kaum war sie gegangen, hab ich ihn gepackt und hätt ihn am liebsten in Stücke gehackt, ich drohte, ich flehte und heulte. Er hat nur gelacht, genoss meine Pein, beschimpfte sie höhnisch als Luder. Ich raste vor Zorn, da lag dieser Stein, warum nur, er war doch mein Bruder? Tief unten am Grunde, da liegt er und ruht, ich kann nichts bereuen, zu sehr wühlt die Wut, doch kann ich seitdem nicht mehr schlafen. |
03.06.2016, 11:33 | #2 |
Hervorragend, lieber Nöck. Kain und Abel in neuer Form.
Chapeau! LG gummibaum |
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03.06.2016, 13:37 | #3 |
Eine sehr schöne Moritat, der es gelingt, dem Leser einen zwar beschwingten, aber mehr noch bedrückenden Dreierrhythmus aufzuzwingen (->Getriebenheit des LyrIch).
Den Sinn der 4. Strophe konnte ich zwar wegen der dichten Grammatik erst auf den zweiten Blick erfassen, aber das muss nicht zwingend als Nachteil verstanden werden. Ich möchte kurz und nur Beispielhaft den Fokus auf zwei Punkte lenken, die mir besonders gefallen haben: 1. Der Akzent auf der zweiten Silbe von Mama (V8 und V19) lässt den Leser direkt in den richtigen Rhythmus kommen, bzw. ihn halten. Hier zeigt sich die künstlerische Freiheit in der Zeichensetzung als gelungene Unterstützung des Lesers. 2. Die Strophen haben je 7 Verse, wobei immer der letzte eine Waise darstellt. Es fehlen also jeweils korrespondierende Reime. Der Leser sucht unwillkürlich danach, wird jedoch nicht fündig. Dieses Gefühl des Fehlens, des Verlusts, macht einen Teil der Erlebniswelt des LI als Brudermörder auch über die Form des Gedichts plastisch. Ansonsten gilt, was schon Gummibaum kund tat. Freundliche Grüße vom Stachel |
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03.06.2016, 15:20 | #4 |
Ganz, ganz großartig :-)
Gruß, Schreibfan |
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03.06.2016, 23:05 | #5 |
Wirklich gutes Gedicht!
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04.06.2016, 17:09 | #6 |
Den Brudermord mit bestechender Eleganz und geradezu musikalischem Vorantreiben in Worte gefasst..
Diesem wunderbaren Gedicht ist nichts hinzuzufügen. Das einzige, was mir daran nicht gefällt, ist, dass es nicht von mir ist! Gruß Papah Y |
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04.06.2016, 17:38 | #7 |
R.I.P.
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Wo ist mein Kommentar geblieben?
Ich muß nachforschen. |
07.06.2016, 13:05 | #8 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Hallo miteinander,
schön, dass euch das Gedicht gefällt (mit der kleinen Einschränkung bei Papah Y ). Den jeweils letzten Vers einer Strophe als Waise ausklingen zu lassen, habe ich mir beim großen Vorbild Goethe abgeguckt (Der Totentanz). Das gefällt mir so gut, dass ich es öfter anwende. @ Thing Hast du deinen Kommentar wiedergefunden? Danke und liebe Grüße Nöck |
07.06.2016, 16:58 | #9 |
R.I.P.
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07.06.2016, 21:30 | #10 |
abgemeldet
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Lieber Nöck,
ich wusste von Anfang an, dass etwas passieren wird. Deshalb raste ich beim ersten Lesen durch die Zeilen. Ich wollte es unbedingt wissen ... Beim zweiten Lesen ließ ich mir Zeit und wurde Zeuge einer Mordtat. Toller Spannungsbogen, super Gedicht. Mir gefällt dieses Reimschema ausgesprochen gut. Liebe Grüße Dabschi |
11.06.2016, 18:04 | #11 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Liebe Dabschi,
ja, das Unheil kündigte sich schon sehr früh an. Schön, dass dir die Moritat gefallen hat. Danke und liebe Grüße Nöck |
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