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23.04.2008, 02:48 | #1 |
Modern(d)e Welt
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Ein seltsamer Geschmack im Mund, unangenehm ... irgendwie faulig. Der Kaffee, der dagegen hätte helfen können, hatte sich nach wenigen Schlucken als ungenießbar entpuppt. Aber was wollte man von einer Krankenhaus-Cafeteria schon erwarten. Endlich aus der Unfallstation entlassen, war er schnurstracks auf den Kaffeetresen zugesteuert – in der Hoffnung, diesen seltsamen Geschmack zu übertünchen. Aber es war nur schlimmer geworden. Es könne durchaus noch eine Zeitlang zu "sensorischen Trübungen" kommen, hatten sie gesagt. Sei's drum. Wenigstens waren die Schnittwunden in seinem Gesicht und über seiner Stirn ganz gut verheilt. Die zahlreichen Stiche, mit denen er genäht worden war, würden zwar einige Narben zurücklassen, zweifelsohne, aber keine allzu großen, gräßlichen, hatte man ihn beruhigt. Er konnte sich immer noch nicht erklären, was eigentlich geschehen war an jenem Abend. Er hatte sich im Fernsehen gerade eine Reportage angesehen, irgendetwas zum Verbraucherschutz oder so ... ja, genau: etwas Unappetitliches, Blutiges über einen üblen Lebensmittelskandal, ihm war fast schlecht geworden. Trotzdem wollte er die Werbepause nutzen, schnell einen Teller mit belegten Broten aus der Küche zu holen, die er vorgerichtet hatte, als dieser rötliche Blitz aus dem TV-Gerät schlug. Niemand mochte ihm so recht glauben. Vielleicht war er ja tatsächlich über eine Teppichfalte gestolpert, war ausgerutscht oder hatte irgendwie das Gleichgewicht verloren ... nein, er wusste es besser, wusste genau, es war dieser blutrote Blitz, der ihn mit Wucht in Richtung des Fernsehgerätes gezogen hatte wie ein Magnet eine Stecknadel, so dass er kopfvor in den Bildschirm gedonnert war. Dann ist er erst im Krankenhaus wieder zu sich gekommen mit verpflastertem Gesicht und bandagiertem Kopf. Die Wunden sollten in Ruhe heilen können, außerdem waren einige neurologische Tests an Gleichgewichtsorgan und Innenohr nötig, also behielten sie ihn ein paar Tage dort. Viel zu lange für seinen Geschmack. Seinen seltsamen Geschmack im Mund. Er musste endlich etwas Ordentliches zwischen die Zähne bekommen, denn der Krankenhausfraß über die Tage war genauso ungenießbar gewesen wie diese Kaffeebrühe hier, er hatte kaum einen Bissen runterbekommen. In einem Haus, das der Genesung dienen soll, könnte man doch wahrlich Besseres erwarten! Der Hunger nagte am Ekel in seinen Gedanken, die ziellos herumstanden und nicht wussten wohin. Wegen des Fernsehgerätes machte er sich keine Gedanken, er hatte sowieso schon eine Neuanschaffung geplant, so ein Flachbildgerät. Außerdem sah er eh zuviel fern, viel zu viel. Aber immerhin fast nur Nachrichtensendungen. Schließlich musste man ja etwas für seine Bildung tun – und rechtzeitig erfahren, welche Gefahren die moderne Welt für einen bereithielt, jawohl. Aus dem Krankenhaus heraus, atmete er tief durch. Ein Dönerladen duftete verlockend. Dort vorn an der Straßenecke. Mit seiner knoblauchfahnenumwehten Spießfleischsandwichtasche stellte er sich in eine Ecke der kleinen gekachelten Imbissbude, eine Dose Bier vor sich auf dem Resopaltisch. Gierig biss er in die gegrillten Fleischschnipsel – und spuckte sofort wieder aus. Eklig! Das Fleisch war eindeutig verdorben ... Wie konnten die beiden Schüler dort am Nebentisch so etwas essen! Erst als er mit seiner Zunge noch nach Faserresten in seinen Zahnzwischenräumen tastete, sah er das hellgrüne Schillern auf dem Grillfleisch. Wie hypnotisiert konnte er seinen Blick nicht abwenden, als sich der grünliche Schimmer zusammenzog, zu Tröpfchen kondensierte, die als winzige schleimige Perlen aus den Fleischstücken quollen. Mit Mühe beherrschte er den Drang sich zu übergeben. Er warf den Döner in hohem Bogen in den Mülleimer und das Bier gleich hinterher – bereits der erste Schluck hatte ihm gezeigt, dass man im Dönerladen besser kein Bier kaufen sollte. Zu sehr musste er sich auf seinen Kampf gegen den Würgereiz konzentrieren, als dass er sich hätte beschweren können. Frische Luft, sofort! Er stolperte hinaus, nur weg, über drei Straßenkreuzungen, halb benommen, ihm wurde schwarz vor Augen, sein Bedürfnis nach Essbarem dehnte sich als schmerzende Leere im ganzen Körper. Eine Würstchenbude schien denselben Lieferanten zu haben wie die Dönerei: Er hatte es mit einer Rindswurst versucht, aber selbst die Extraportion Senf konnte den widerlichen Fäulnisgeschmack nicht überdecken, und aus der angebissenen Wurst quoll der gleiche grüne Schleim. Das Schwarz vor seinen Augen wollte gar nicht mehr heller werden, wurde zu dunklerem Schwarzviolett, und sein Pulsschlag hämmerte mit Paukenschlegeln gegen sein Trommelfell. Der furchtbare Hunger riss ihm ein Loch von der Größe seines Magens ins Bewusstsein. So taumelte er in ein Restaurant, von dem er sich Rettung versprach. Es musste doch etwas Genießbareres geben als das verfaulte Fleisch dieser Verbrecher auf der Straße ... Der Kellner sah ihn zwar mit sehr seltsamem Blick an, doch fand sich ein Tisch für ihn. Aber noch bevor er den Gastraum durchquert hatte, zerfloss ihm der knackige Apfel, den er in seinem Hungertaumel aus dem Dekorationskorb im Entree gegriffen hatte, zerfloss ihm der Apfel verfaulend in seiner Hand zu stinkenden braunen Bröckchen ... und von der Restaurantküche her wehte der unleugbare Geruch der Verwesung, wie aus einem frisch geöffneten Grab! Entsetzen bohrte sich in seine Innereien mit einem Faustschlag, der ihn über jegliche Übelkeit hinwegriss. Mit starren Augen, die die Maden im Obstkorb gar nicht sehen wollten, stürmte er aus dem Restaurant. Und dieser süßlich zähklebrige Geruch verwesenden Fleisches war immer noch um ihn, hing in seinen Kleidern, nahm mit jedem Schritt sogar zu, unerträglich, gerann zu einem unsichtbaren Belag auf seiner Zunge, an seinen Zähnen, überall in seinem Mund, bis er verwirrt endlich in seine Wohnung wankte, wimmernd, mit zerbissenen Lippen, aus deren Winkel ein dünner Faden von Blut gefärbten Speichels troff. Irgendwo fand er noch eine Konservendose, die er mit zitternden Händen öffnete, irgendwo fand er noch Brot – doch als er das feine feuchte Pulver des grünlich aufstaubenden Schimmelflaums zwischen seinen Zähnen bemerkte, war es bereits zu spät: Aus Schwarz und Grün wurde Schwefelgelb und Violett wurde Schwarz wurde Schwarz wurde Schwarz wurde ... "Ein seltsamer Fall." Der Gerichtsmediziner seufzt. "Das werde ich niemals verstehen können – oder wollen: wie ein Mensch so in Verwesung befindliche Lebensmittel zu sich nehmen kann. Es sieht so aus, als sei seine Speiseröhre bis oben hin vollgestopft mit Verdorbenem, wohl zum größten Teil Fleisch. Und ich spreche hier nicht von gammeliger Wurst, sondern von richtig heftigen Brocken, Fleischfetzen, die sich offenbar schon tagelang in Zersetzung befinden. Ob er daran erstickt ist oder an der Vergiftung gestorben ist, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Es sieht eher aus wie ein Schock. So etwas habe ich noch nie gesehen ... nein." Er schüttelt nochmals den Kopf, fassungslos. "Aber offensichtlich kein Fall für uns", entgegnet der Polizist und wickelt seine Stulle aus. Mit blassem Gesicht lässt er seinen Blick durch die spärlich eingerichtete Wohnung schweifen, über den abgewetzten Sessel, das Tischchen mit den Glasrändern und die vertrocknete Topfpflanze, während er in sein Vesperbrot beißt. Ein Schrei, er verzieht sein Gesicht und würgt. Entgeistert spuckt er aus: "Das gibt's doch gar nicht! ... habe ich heute morgen selbst belegt, die Wurst war noch ganz frisch." – "Hast du deine Tasche vielleicht neben die Heizung gestellt?" – "Neinnein, mitten in den Raum, dort direkt neben den Toten ... " . |
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02.05.2008, 13:55 | #2 | ||||||||
Hallo LeSchmürz,
deftige Kost, die Du uns hier servierst. Ich finde, das wirkt. Das ist ein Alptraum, der den Leser mitzieht, plastisch beschrieben, Ekel erzeugend. Gut gemacht. Perfekt ist es trotzdem noch nicht: Deine Auslassungszeichen überall kann ich nicht nachvollziehen. Was lassen sie aus? Zitat:
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Und der Pathologe hat dem Toten gleich vor Ort in die gesamte Speiseröhre geguckt, daraus die Fetzen entnommen und als Fleisch identifiziert? Vom miesen Anatom zum Superdoc, wie? Zitat:
Grüße Struppi PS: Den Titel find ich gut. |
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18.05.2008, 02:07 | #3 | |||||||||||||||
Hallo, Struppiggel
- ich danke Dir ganz herzlich, dass Du meinen Text gelesen hast. Und dazu noch so eingehend und kritisch. Das ist höchst konstruktiv! =) Zitat:
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Dort "Geschmack", hier "Gedanken" (es finden sich noch mehr solcher Stellen ...). So erkläre ich das. Allerdings: Jetzt, da Du's sagst ... hmmpf ... nun überzeugt es mich selbst an dieser Stelle weniger. Zitat:
Deinen ersten (Brustkorb-)Gedanken kann ich anhand der Formulierung gar nicht nachvollziehen. Zitat:
Offensichtlich ist das tatsächlich ein regionaler Unterschied ... aber "Rindswurst" ist eindeutig allgemeiner verbreitet. Zitat:
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Und da stehe ich voll und ganz dazu! Zitat:
- - Allerdings, dass die Speiseröhre widernatürlich vollgestopft ist mit Verwestem, das ist der Sprengsel Horror-Phantastik in der Story. Zitat:
- - Und nochmal Danke Dir, Struppi, dass Du den Text trotz all dieser Mängel nominiert hast. Ich weiß nicht, ob ich es getan hätte - nach Deiner Kritik. Der Text geht jetzt nochmal in die hauseigene Änderungsschneiderei. Lieben Gruß, LeSchmürzel. |
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18.05.2008, 07:36 | #4 |
Hi LeSchmürzel,
ich nominiere jeden Monat das beste, was mir unter die Finger kommt. Dein Text hat mich trotz der Mängel sehr angesprochen und ist mir noch lange im Gedächtnis geblieben. Das passiert mir nicht oft. Ich denke also schon, dass es berechtigt war. Ich glaube, ich hab ihn vor meiner Kritik nominiert - also bevor ich selbst wusste, wieviel ich dort herausklauben und ankreiden kann. Na denn, viel Spaß. Freut mich, wenn ich Dir behilflich sein konnte. Liebe Grüße Struwwel |
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