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16.03.2006, 12:25 | #1 |
Carpe Diem
Carpe diem …!
In Zeitlupe wölbte sich die Plastiktasche nach unten durch, der Boden riss. Ein Gurkenglas zerplatze explodierend, Scherben, Gurkenscheiben, Essigsud und Senfkörnchen auf dem Asphalt verteilend. Yoghurtbecher, ein Glas Erdbeer-Marmelade und ein Strang Bananen, grün, noch genussuntauglich, rutschten durch das weiter aufreißende Loch. Uli fluchte, schippte die Lebensmittel mit dem Fuß vom Bürgersteig. Die leere Tüte wurde vom Wind in wilden Drehungen durch die Straße gejagt. Das vorbei fahrende Auto zermatschte die Bananen, eine Packung geschnittenes 3-Korn-Brot blieb unversehrt. „Egal. Dann bekommt der Alte eben heute nix mehr zu essen, überhaupt nix mehr“, zündelten giftige Gedanken durch seinen Kopf. Stimmlos brodelte es in ihm weiter, „ich hab’ die Schnauze voll, nun soll er krepieren, ich habe es satt, sein Popanz zu sein.“ Er eilte weiter. Den massig gedrungenen Körper gegen den Wind stemmend, sein kahlrasierter Kopf zwischen hochgezogenem Kragen und unter der grauen verfilzten Kappe versteckt, so einigermaßen gegen den schnürenden Februarregen geschützt. Der alte Gottfried war gerade dabei, Weißkohl in hauchdünne, sich kringelnde Streifen zu schneiden. Uli, schnaufe. Grimmig, jähzornig knallte er die Haustür hinter sich zu und betrat mit vor Nässe quatschenden Schuhen den weiß gefliesten Küchenboden. Er wandte sich provozierend zu seinem Vater, um endlich seiner Wut Luft zu machen. Der schmächtige Alte beachtete ihn kaum, konzentrierte sich weiter darauf, Kohlstreifen über Kohlstreifen zu schneiden, versenkte sie zwischendurch in einen roten Emailletopf mit zischendem Fett und klein gebrutzelten Speckwürfeln. „Hast du es dir überlegt? Bist du nun endlich vernünftig geworden, Vadder!“ Gottfried blickte auf, schüttelte bestimmt den kleinen, von weißem Flaum zart umrahmten Kopf. Still, würdevoll. Mit magerem, knochig dünnen Zeigefinger deutete er auf die grau marmorierte Arbeitsplatte im hinteren Bereich. Alles in dieser Küche, in diesem Haus, war vom Feinsten. Gediegen eingerichtet und haltbar für eine kleine Ewigkeit, solide und geschmackvoll. „Du kannst den Brief nachher zur Post bringen, ich bleib’ dabei. Elisabeth soll nicht darunter leiden, dass ich all die Jahre so ein Sturkopf war, schließlich ist sie meine Schwester. Ich werde mich wieder mit ihr vertragen, unser beider Schuld auf mich nehmen und damit basta!“ Er drehte sich um, ungeduldig mit einem Holzschaber den gerade anbrennenden Kohl von Topfboden kratzend und schwieg. Uli riss den dicken frankierten Umschlag von der Platte und stürmte hinaus, die knarrende Holztreppe hinauf, in sein Zimmer. Natürlich öffnete er den Brief, natürlich las er ihn! Vor seinem leicht senilen alten Vater hatte er schon lange keine Angst mehr. Vorbei die Zeit, als er sich herumkommandieren, beschimpfen, den Mund verbieten ließ. Er fühlte sich längst erwachsen und mutig! Nur die Sache mit den Frauen im Allgemeinen, seiner großen Liebe und den abgerissenen Kontakt zu seinen Freunden, hatte er nicht wieder ins Lot bringen können. Zu alt, weit über fünfzig, gab es keine Chance mehr auf Liebe, Bindung und Freundschaften. Früher hatte sein Vater ihm überall hereingeredet. Diese Frau wäre zu dumm, jene Freunde zu schlecht und Andere würden nur auf sein Geld aus sein. So band der Alte, einsam seit dem frühen Tod seiner Frau, den Sohn immer fester an sich. In, Zeiten, in denen sich junge Menschen entwickeln und flügge werden, hockte Uli, von Jahr zu Jahr einsamer werdend, nur noch zu Hause in seinem Zimmer und trank. Eigenbrötlerisch, symbiotisch mit dem alten Mann auf Gedeih und Verderb verbunden, arbeitslos und ohne außerhäusliche Kontakte, lebte er tagein tagaus ein langweiliges sinnloses Dasein. Die Liebste, von seinem Vater schlecht geredet, an einen anderen verloren. Die Freunde, längst an eigene Familien gebunden zeigten kein Interesse mehr an ihm. Huren waren zu teuer, wegen des ärmlich bemessenen Taschengeldes. Was blieb, waren Fernsehen, essen und von Bier- und Schnapsräuschen traumlose Nächte. Uli las mit hochrotem Kopf die wenigen, mit krakeligen Buchstaben, niedergeschriebenen Zeilen. Sein Vater schrieb: „Liebe Elisabeth! Es tut mir Leid, was ich getan habe. Verzeih mir, wenn Du kannst. Es wäre sehr wichtig für meinen Seelenfrieden. In Liebe, dein Bruder Gottfried!“ Der Umschlag war prall gefüllt mit alten Schwarz-Weiß- Kinderfotos, einem ungültig gemachten Sparbuch und einer Plastik-Kundenkarte der Sparkasse, beides auf Elisabeths Namen ausgestellt. Die Fotos und Bankunterlagen verstaute Uli in der Schublade seines Schreibtisches, den Umschlag zerriss er in allerkleinste Fetzen, verstaute sie, mit dem Inhalt seines prall gefüllten Papierkorbes vermengend, zwischen alten Zeitungen, vertrockneten Apfelsinenschalen und benutzten Tempotaschentüchern. Vor Jahren hatte sein Vater mit Ulis Unterstützung die Unterschrift Elisabeths gefälscht, ihr Sparbuch leer geräumt und am selben Tag das Girokonto bis auf den letzten Pfennig geplündert. All das nur, um Handwerkerrechnungen, die Beerdigungskosten seiner Frau und die teuren Einbauten, die er sich nach ihrem Tode innerhalb des Hauses leistete, zu bezahlen.. Elisabeth, die weder Bruder noch ihren Neffen wegen der Familienschmach anzeigen mochte, hatte den Kontakt zu den Beiden gänzlich abgebrochen. Sie war nach Süddeutschland verzogen. Nach einiger Zeit schickte sie einen langen bösen Brief. Danach meldete sie sich nie wieder. Es dämmerte. Ein scharfer Westwind drückte dicke Regentropfen an der Fensterscheibe platt. Kreuz und quer blies er Wasserstraßen auf dem Glas herum. Es sah aus wie in der Kinderzeit, als man einige Tropfen Tuschfarbe auf Papier verteilte, hin und her pustete um bizarre Muster zu kreieren. Uli ging nach unten. Sein Vater saß mit zusammengekniffenen Augen im Wohnzimmer. Klein und verloren auf dem massigen schwarzen Ledersofa, verzweifelt versucht, sich gehen den aufkommenden Schlaf durch Verfolgung eines Nachmittagsmagazins zu wehren. Die Lautsprecher des Fernsehers brüllten, fast vergeblich, gegenan. „Leg die Beine hoch, Vadder, ich bring dir noch einen heißen Kakao, dann schlaf ein bisschen, ich kümmer’ mich um das Abendbrot!“ Fragend, ob der ungewohnten Fürsorge blickte der alte Mann auf, nickte dann zögerlich und wandte sich wieder der Sendung zu. In der Küche löste Uli fünf starke Schlaftabletten in einem Glas warmer Milch auf, fügte die doppelte Menge Instantkakaopulver als sonst, hinzu und goss noch einen kräftigen Schuss Strohrum hinein. Er rührte sorgfältig um, nippte vorsichtig daran, war des Geschmackes zufrieden und brachte das Glas seinem Vater. Der Alte trank mit tiefen durstigen Zügel, legte danach seufzend die Beine hoch, mummelte sich in die rot karierte verfilzte Wolldecke ein und schloss die Augen. Sein Sohn schlich leise aus dem Zimmer. Aus dem Flurschrank holte er sich Einmalplastikhandschuhe, pustete hinein, streifte sie über und ging ins Bad. Mit spitzen Fingern nahm er das alte, sorgsam auf Leder abgezogene Klapprasiermesser aus dem Spiegelschränkchen und kehrte zurück zu dem fest eingeschlafenen Alten. Uli stellte sich noch eine Weile zu ihm, verfolgte teilnahmslos Tagesschau und Wetterbericht, lauschte den leisen tiefen Atemzügen und begann dann sein mörderisches Werk. Zuvor legte er den von seinem Vater an seine Tante geschriebenen Brief gut sichtbar auf den Wohnzimmertisch. Dann beugte er sich über den Alten, schob ihm sanft die Pulloverärmel hoch und setzte an zu einem ersten tiefen, längs verlaufenden Schnitt der linken Pulsader, oberhalb des Handgelenkes. Blut quoll hervor, dick schwer und dunkel. Der alte Mann zuckte unmerklich mit den Augenlidern, blieb aber ruhig in tiefem Schlaf gefangen. Ein zweiter Schnitt folgte im anderen Arm. Butterweich ruschte das Messer in die unter welker Haut verborgene Ader. Sanft, fast zärtlich, aber bestimmt drückte Uli nach vollbrachter Tat den perlmuttenen Griff des Rasiermessers in die rechte Hand seines Vaters und schloss dessen warme schlaffe Finger darum. Mit einem tiefen befreiten Stöhnen atmete Uli all die jahrelang erduldete Unterdrückung und Demütigung aus sich heraus. Leise, als wenn sein Vater doch noch aufwachen könnte, verließ er das Zimmer. Er zog er sich an und nahm das benutzte Kakaoglas mit. Später würde er es in einem Glascontainer entsorgen. Gleichmütig vor sich hin summend verließ er leichten Schrittes das Haus. Februarregen nieselte vom Himmel, der Wind hatte aufgehört zu blasen und irgendwo kläffte ein Hund hell und aufgeregt durch die Nacht. Zeitungsnotiz vom 21. Februar 2002 In den frühen Morgenstunden des 19. Februar wurde der 87-jährige Gottfried K. von seinem Sohn Uli K. (56), leblos aufgefunden. Der sofort herbeigerufene Notarzt konnte nur noch den Tod feststellen. Aufgrund des Abschiedsbriefes an G’s Schwester ist unstrittig, dass der alte Mann freiwillig aus dem Leben schied. Sein Sohn Uli, der mit dem Vater im gemeinsamen Haus lebte, erlitt einen Schock. Er wurde in das städtische Klinikum Süd gebracht. Lt. Bericht des Dienst habenden Stationsarztes ist er auf dem Wege der Besserung und wird noch im Laufe des Vormittags von der zuständigen Kriminalpolizei vernommen. (c) Elke Kemna Aus "Selbst-Mord-Geschichten" - noch nicht veröffentlicht 12.2.2006 |
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16.03.2006, 13:30 | #2 |
abgemeldet
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Hi Elke.
Wie immer hast du alles schön und anschaulich beschrieben. Den Anhang mit dem Zeitungsartikel finde ich auch gut. Leider ist der Mittelteil, meine Meinung nach, ein wenig zu lang geraten. Es wirkt teilweise etwas ausfüllend und ich hatte sogar kurzzeitig die Lust am Weiterlesen verloren. Mir gefällt die Geschichte. Vielleicht ein wenig mehr Action im Mittelteil, oder einfach kürzen... Ich denke, das wär nicht schlecht. LG, Tobi. |
16.03.2006, 15:41 | #3 |
HalloTobi! Ja, der mittlere Teil ist noch recht zäh - man könnte auch sagen "sehr ruhig dahinfließend" erzählt! ( )
Du hast Recht, ich muß dringend überarbeiten - aber so recht ist mir nichts eingefallen! Bisher jedenfalls noch nicht! Danke, dass Du gelesen hast! Liebe Grüße - Elke |
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