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Alt 26.05.2023, 08:30   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Edgar spricht

Helles Tageslicht fiel durch die nicht ganz geschlossenen Rolläden ins Schlafzimmer und weckte ihn. Uwillig drehte Edgar sich im Bett zur Wand, wo sein Nachtschränkchen stand und lugte vorsichtig zum Wecker hin. Noch hatte er nicht geklingelt. Noch konnte er ein paar Minuten dösen. Noch ...Er war kurz davor, wieder einzuschlummern, als sein Radiowecker ansprang und laute Musik das Schlafzimmer erfüllte. Dies konnte er nicht einfach ignorieren. Mit Absicht hatte er den Radiowecker in einer Ecke des Raumes platziert, die einige Meter vom Bett entfernt war, sodass Edgar nichts anderes übrigblieb als aufzustehen, um ihn auszuschalten. Zu lange ließ er das Gerät nie auf dieser Lautstärke. Von eventuellen Beschwerden der Nachbarn abgesehen, waren ihm selbst leise Töne lieber.

Er erreichte den Wecker, als die Musik verstummte und eine fröhliche Frauenstimme in einer Sprache erklang, die Edgar nicht verstand. Wahrscheinlich hatte er gestern Abend den Sender verstellt und das war Französisch. Oder Spanisch? Beide Sprachen beherrschte er nicht. Er würde den richtigen Sender heute Abend einstellen. Kein Grund, sich damit aufzuhalten. Er machte sich zur Arbeit fertig und ging in die Küche.

Gut gelaunt - denn es war Freitag, und heute Abend würde Juliane, seine neue Freundin, kommen - füllte er Wasser in die Kaffeemaschine, löffelte genug Kaffeepulver ein, um den Kaffee stark werden zu lassen, stellte die Maschine an und schaltete anschließend das Küchenradio ein. Schon wieder eine Frauenstimme, die in französischer Sprache oder welcher auch immer etwas herunterrasselte. Ungeduldig drehte er am Knopf, um den Sender zu verstellen und fand einen mit englischer Musik. Das war schon besser.
Er kannte den Song, einen Hit von Lynn Anderson, und sang beim Refrain laut mit. „I beg your pardon, I never promised you a rosegarden." Da hatte er wohl einen der Sender erwischt, die alte Schlager spielten. Er mochte das Lied. Danach spielten sie etwas Langsames. Er konnte das Lied nicht identifizieren, aber auf alle Fälle war es nicht auf Englisch. Er mochte keine Balladen, in keiner Sprache und schaltete das Radio vor dem Ende des Liedes aus.

Zehn Minuten später saß er im Auto. Zeitgleich mit dem Motor sprang das Radio an. Wieder ein langsamer, melancholischer Song, in einer Sprache, die ihm absolut nicht vertraut erschien. War heute der Tag der Fremdsprachen? Ihm fiel auf, dass er im Radio noch kein Wort auf Deutsch gehört hatte. Nun, spätestens bei den Nachrichten würde sich das ändern.
Pünktlich um halb acht ertönte das Signal der Regionalnachrichten. Und dann sprach eine Männerstimme. Aber nicht auf Deutsch. Auch nicht auf Englisch, Französisch oder Spanisch. Und auch nicht auf Türkisch, Russisch, Ukrainisch, Chinesisch, zumindestens, soweit er das beurteilen konnte. Vielleicht war das Esperanto, diese Kunstsprache, die in keinem Land Amtssprache war, heute war wirklich der Tag der Sprachen und die Radiosender hatten sich abgesprochen Ja, das musste es sein. Was für eine blöde Idee. Das hatten sie sich wahrscheinlich im Kultusministerium ausgedacht. Nur bei der Musik, ja, da blieb ihnen wohl nichts anderes übrig, als in den jedem geläufigen Sprachen zu spielen.

Er parkte das Auto auf dem Firmenparkplatz und machte sich auf den Weg ins Büro.
Erika und Dagmar schauten von ihren Computern auf, als er die Tür öffnete und erwiderten etwas auf sein „Guten Morgen", was wie ein Gruß klang, aber keine Ähnlichkeit mit einer Sprache hatte, die er kannte. Jetzt reichte es.
„Könnt ihr vielleicht normal mit mir reden, auch wenn heute anscheinend der Tag der unverständlichen Sprachen ist?", blaffte er seine Kolleginnen an. Das heißt, er wollte sie mit diesen Worten anblaffen. Aber es funktionierte nicht. Zu seinem Entsetzen bemerkte er, dass Worte in einer Sprache aus seinem Mund kamen, die er noch nie gehört hatte. Das konnte doch nur ein Alptraum sein. Und eben hatte er doch ganz normal „Guten Morgen" gesagt?
Elvira sah zu ihm hin und schüttelte den Kopf. Dagmar legte den Finger auf die Lippen und deutete auf ihren PC. Er trat zu ihr und schaute ihr über die Schulter.
„Alles verschlüsselt", stand da. Auf Deutsch. Und dann folgten die vermutlich gleichen Worte auf Englisch, Französisch, Spanisch etc.
Das war also des Rätsels Lösung. Und wahrscheinlich hatte jeder ein paar Worte in seiner Muttersprache gut, das würde sein „Guten Morgen" erklären. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, zog sein Handy aus der Tasche und tippte eine SMS an Juliane.
„Freue mich auf heute Abend", schrieb er. Heraus kam ein Buchstaben- und Zahlensalat. Er überlegte, dann tippte er darunter:
„Viel Spaß beim Entschlüsseln."
Es würde ein toller Abend werden.

Geändert von DieSilbermöwe (26.05.2023 um 18:58 Uhr)
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Alt 28.05.2023, 17:17   #2
männlich dunkler Traum
 
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... die Idee ist genial. Es liest sich ganz gut, aber irgendwie kommt keine echte Spannung auf. Ich kann es zwar auch nicht, aber ich glaube, es fehlt der Bogen, also der Spannungsbogen. Schade.

wsT
dT
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Alt 29.05.2023, 10:43   #3
weiblich DieSilbermöwe
 
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Es ist Kurzprosa, also eine reine Momentaufnahme, eine Skizze. Keine Kurzgeschichte mit Spannungsbogen, der ist überhaupt nicht gewollt.

Entschlüsselt hast du es übrigens auch nicht .

Zitat:
Ich kann es zwar auch nicht
Keine Ahnung, was du kannst oder nicht, allerdings verstehe ich nicht, wieso das hier wichtig ist.
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Alt 29.05.2023, 11:45   #4
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
Es ist Kurzprosa, also eine reine Momentaufnahme, eine Skizze. Keine Kurzgeschichte mit Spannungsbogen, der ist überhaupt nicht gewollt.
Dem widerspreche ich. Der Text enthält alles, was ihn als Kurzgeschichte identifizieren lässt: Wenige Personen (Protagonist, zwei Nebenfiguren), Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung, die darin besteht, dass Edgar sich mit einem Rätsel konfrontiert sieht, das er zu lösen hat. Die Geschichte hat zudem Anfang (Aufstehen, Morgenritual), Mitte "(Fahrt zur Arbeit und Störgefühl, dass etwas am Tagesverlauf anders ist als sonst) und Ende (Lösung des Rätsels). Das ist nicht nur eine Skizze. Die Identifizierung eines Textes als Kurzgeschichte hat auch nichts damit zu tun, wie lang sie ist. Schon eine halbe Seite Text kann für eine Kurzgeschichte genügen, wenn sie die Merkmale dieser literarischen Form trägt.

Allerdings enthält die Story für mich etliche Fragezeichen, z.B., wie Edgar wissen kann, welche Sprachen nicht im Radio zu hören sind. Er muss ja eine Menge Grundlagenkenntnisse über viele Sprachen haben, um das festzustellen; angeblich kann er aber nicht einmal Französich von Spanisch unterscheiden. Auch ist mir nicht klar, was die Radiosendung mit dem Sprachvermögen der Kolleginnen, mit dem Büro-PC und mit Edgars Handy zu hat. Wo ist die Verbindung? Worin liegt der Sinn, trotz eines Buchstabensalats weitere Wörter in das Handy zu tippen, wenn Edgar davon ausgehen muss, dass auch dieser Satz zerhackt wird und vom Empfänger nicht gelesen werden kann?

LG

Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 30.05.2023, 06:38   #5
weiblich DieSilbermöwe
 
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Eigentlich sind Kurzgeschichten und Kurzprosa sowieso das Gleiche. Bzw. Kurzprosa ist eine literarische Art der Kurzgeschichte.
Okay, meine Geschichte hier ist eine Kurzgeschichte.

Zitat:
. Worin liegt der Sinn, trotz eines Buchstabensalats weitere Wörter in das Handy zu tippen, wenn Edgar davon ausgehen muss, dass auch dieser Satz zerhackt wird und vom Empfänger nicht gelesen werden kann?
Tja, das muss man entschlüsseln. Bzw. der Empfänger. Deswegen schreibt Edgar doch:

Zitat:
Er überlegte, dann tippte er darunter:
„Viel Spaß beim Entschlüsseln.".
(Ja klar, auch dieser Satz erscheint dann als Zahlen- und Buchstabensalat.)

Zitat:
. .B., wie Edgar wissen kann, welche Sprachen nicht im Radio zu hören sind. Er muss ja eine Menge Grundlagenkenntnisse über viele Sprachen haben, um das festzustellen; angeblich kann er aber nicht einmal Französich von Spanisch unterscheiden.
Um zu wissen, dass man nicht versteht, was im Radio gesprochen wird, muss man doch nicht wissen, um welche Sprache es sich handelt. Ich schrieb ja:

Zitat:
. Und dann sprach eine Männerstimme. Aber nicht auf Deutsch. Auch nicht auf Englisch, Französisch oder Spanisch. Und auch nicht auf Türkisch, Russisch, Ukrainisch, Chinesisch, zumindestens, soweit er das beurteilen konnte.
Zitat:
.Auch ist mir nicht klar, was die Radiosendung mit dem Sprachvermögen der Kolleginnen, mit dem Büro-PC und mit Edgars Handy zu hat.
Was ist daran unverständlich? Nirgendwo hört/liest man mehr die gewohnte Sprache.

Aber mehr erkläre ich nicht, das führt erfahrungsgemäß zu nichts.

https://wortwuchs.net/kurzgeschichte-merkmale/
Zitat aus dem Link:
„Leser soll das Beschriebene selbst beurteilen. Es gibt keine urteilenden Formulierungen" Zitatende

LG DieSilbermöwe
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Alt 30.05.2023, 08:10   #6
männlich MonoTon
 
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Es kommen oft die lustigsten Dinge dabei heraus, wenn man etwas auf Google Translator mehrfach in verschiedene Sprachen und wieder zurück in deutsch übersetzen lässt.

Als Codesprache kenne ich die Zahlensprache.
"Darin nimmt man einen Satz" und zählt die sich wiederholenden Buchstaben und benutzt sie ein mal in Kombination mit ihrer Anzahl.

"d3ar3i5n 3m 2e Stz" die Anordnung ist aber schwer nachzuvollziehen.
oder alles Rückwärts
"ztas nenie nam tmmin nirad" Spiegelschrift
oder das simpelste
"Diran nmimt man enien Staz" wobei man hier oft nicht viel Raten muss.


Tag der Sprache sagt hier aber eigentlich schon vieles mMn. Europa besteht ja aus vielen Kulturen und diese haben viele Sprachen, die alle etwas auf ihre Art beitragen und in ihren Kreisen weiter gegeben werden. Wer Interesse hat forscht da vermutlich nach, wer das nicht hat, geht halt einfach weiter seiner Arbeit nach und lässt sich nicht ablenken oder einfach mal auf andere Gedanken bringen.
Bisher war mitspielen eigentlich nie eine falsche Entscheidung.
Multitasking trifft Multikulti im Sinne von Multilingualität.

Oder das System erlaubt sich einen Spaß mit der Sprachsteuerung und Spracherkennung in den Hirnen ihrer Arbeitsdrohnen. ^^
Falls alles einfach zu Computer gesteuert geworden ist und Sprachen sprechen nicht mehr aktuell ist. Zumindest passiert ja etwas sehr automatisiert wie es den Anschein hat und Personen unabhängig ohne kontrolle über das eigene Sprachzentrum. Vielleicht Fremdgesteuert?

Lg Mono
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Alt 30.05.2023, 16:24   #7
weiblich DieSilbermöwe
 
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Nette Interpretation, MonoTon .
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