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Lebensalltag, Natur und Universum Gedichte über den Lebensalltag, Universum, Pflanzen, Tiere und Jahreszeiten.

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Alt 30.04.2023, 12:10   #1
Friedrich
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 237

Standard Chasse-Spleen

Chasse-Spleen

für Peter K.

Dem Ufer der Gironde nahbei
thronst du, Chateau Chasse-Spleen, Médoc,
dir, Wein gebührt der seltne Titel
des cru bourgeois exceptionnel.

Dein Name sei, so heißt's, hommage
an Charles Baudelaire, poète maudit,
sein Werk birgt Schönes aus dem Leid,
Le Spleen ist Teil der Fleurs du Mal

Im Spleen die Welt zum Kerker wird
und zag, gleich einer Fledermaus,
entlang an kalten feuchten Mauern
im Kreis die bange Hoffnung irrt.

Le Spleen chassé: am Horizont
erscheint – noch bleich – ein Silberstreif,
mit schrillem Schrei und neuem Mut
entflieht die Fledermaus der Nacht.

Chasse-Spleen: erlös uns von dem Spleen!
Die Flasche sei dein Rettungsring,
wenn wieder du, mein alter Freund
in wildem Wasser haltlos treibst.

Der Wein ist Licht in dunkler Welt,
gleich uns kennt er des Lebens Müh'
in Sommerglut und kargem Regen
die edle Seele sich entfaltet.

Noch ist das Herz des Weins gesperrt
in Glas, den Ausgang blockt der Korken,
doch singt es Dir zur Zuversicht
schon leis ein Lied von unsrer Freundschaft.

Friedrich ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 30.04.2023, 20:31   #2
weiblich Rumpelstilz
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Dabei seit: 01/2023
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Beiträge: 311

Standard Chasse-Spleen

Lieber Friedrich,

also Chasse-Spleen ist ein Wein - rot oder weiß? Geht auf Baudelaire zurück, interessant. Für Werbung vielleicht zu vielstrophig, aber man begreift, dass sich der Dichter in das sicher ziemlich teure Gesöff verliebt hat.

Das einzige, was ein bisschen aus dem gepflegten Stil des Gedichts meiner Ansicht nach herausfällt, ist der proletarische Korken. Schon das Wort stört mich, irgendwie fällt mir da eine Eckkneipe ein, und ich sehe den Wirt, der sich bemüht, die Flasche zu entkorken - irgendwie nicht edel genug für diesen Lobgesang auf den wundersamen Chasse-Spleen.

Nun wäre nur noch zu klären, ob du dieses Gedicht vor oder nach der Flasche Chasse-Spleen verfasst hast.

Lieben Gruß, Rumpelstilz
Rumpelstilz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.05.2023, 10:36   #3
Friedrich
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 237

Liebe Rumpelstilz,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Château Chasse-Spleen ist ein roter Bordeaux in der Preisklasse zwischen € 30-40 (je nach Jahrgang und Anbieter). Das Gedicht ist keine Werbung zum Kauf einer Flasche, sondern vielmehr die "ideelle Verpackung" derselben als Geburtsgeschenk für einen langjährigen Freund.

"Spleen" bedeutet im Deutschen soviel wie Tic, Marotte oder Schrulle, und vielleicht kommt uns dabei auch Karl Mays schrulliger Lord David Lindsay in den Sinn. Bei Baudelaire bedeutet Spleen jedoch eine mit Verzweiflung gepaarte Schwermut. In seinem Gedicht "Le Spleen" fliegt die Hoffnung (espérance) wie in einem finsteren, feuchten Kerker ziellos im Kreis.

"chasser" bedeutet im Französischen verjagen oder vertreiben. Demnach bedeutet Chasse-Spleen: die Verzweiflung vertreiben. Der Freund, dem das Gedicht gewidmet ist, hatte bevor er das Geschenk erhielt, eine Krise der Lebensmitte, in der er, von Gefühlswallungen überwältigt, unvernünftige Dinge zum Leidwesen seiner Frau und anderen tat. Chasse-Spleen sollte ihm ein Rettungsanker oder ein Rettungsring sein, wenn er wieder in "wildem Wasser haltlos treibt".

Die Flasche ließ mich aber auch an Stevensons "bottle imp" denken, ein Geist bzw. der Teufel, der den letzten Besitzer zu sich holt. Es gibt aber auch den Dschinnie in the bottle als dienstbaren Geist. Es sitzt jedenfalls ein lebendiger Geist in der Flasche, der, entfernt man den Korken, aus seinem Gefängnis befreit werden kann. Darüber hinaus dachte ich auch noch an Antoine de Saint-Exupéry, der von einem Schatz erzählte, der in seinem heimatlichen Schloß verborgen sein sollte. Man hat den Schatz nie gefunden, auch nie danach gesucht, und dennoch erfüllte der imaginierte Schatz das ganze Schloß mit einem Glanz.

Viel dichterische Phantasie um eine "gewöhnliche" Flasche Wein als Geburtstagsgeschenk! Leider sind diese Gedanken in der Realität beim Beschenkten nicht angekommen. Anstatt im Weinkeller den magischen Glanz wahrzunehmen und sich vom Geist in der Flasche ein Lied der Freundschaft singen zu lassen, hat mein Freund die Flasche ziemlich bald zusammen mit seiner Frau geleert. Ganz profan sagte er mir später, er hätte "lecker geschmeckt".

Ich habe über die Verwendung von "Korken" nachgedacht, finde aber nichts besseres.

Lieben Gruß

Friedrich
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Alt 01.05.2023, 13:42   #4
weiblich Rumpelstilz
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Dabei seit: 01/2023
Ort: Berlin
Beiträge: 311

Standard Chasse-Spleen

Lieber Friedrich,

was deinen Freund angeht: Geteilte Freude ist doppelte Freude, sieh es so.
Es gibt eben Sachen, über die spricht man nicht. Allerdings - einen edlen Wein lecker zu nennen, das hat vielleicht auch ein bisschen mit Sprachverarmung zu tun. Heutzutage überrascht es mich nicht mehr.

Was hältst du davon, wenn du aus dem "Korken" einen "Kork" machst?

Lieben Gruß, Rumpelstilz
Rumpelstilz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.05.2023, 19:50   #5
Friedrich
 
Dabei seit: 05/2010
Beiträge: 237

Liebe Rumpelstilz.
Zitat:
Es gibt eben Sachen, über die spricht man nicht.
Wie meinst Du das? Denkst Du, daß mein Freund, der seiner altersbedingten Krise wegen einen emotionalen Aussetzer hatte, nicht gerne daran erinnert werden möchte? Auch nicht durch ein Gedicht? Und aus diesem Grund will er die Flasche Wein auch nicht als "Rettungsring" für die nächste Krise akzeptieren.

Hättest Du Dich eigentlich für eine solchen Vorstellung hergeben können: eine Flasche Wein, die im Keller "magisch leuchtet", weil sie einen lebendigen Inhalt hat, so daß sie Dir "ein Lied der Freundschaft singen" kann? Oder ist das nur meine spinnerte Phantasie, die ich niemanden so richtig weitergeben geben kann? Ich meine, so, daß sie nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch lebendig wird?

Lieben Gruß

Friedrich

P.S. Ich denke "Kork" klingt tatsächlich besser als "Korken". Allerdings denke ich bei "Kork" mehr an das Material als an den Stöpsel
Friedrich ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.05.2023, 20:58   #6
weiblich Rumpelstilz
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Ort: Berlin
Beiträge: 311

Standard Chasse-Spleen

Aber Friedrich, es kommt doch immer auf die Freundschaft selbst an, wie fest, wie tief sie ist. Sein Gesprächspartner für seine Sorgen wird seine Frau gewesen sein. Damit sozusagen "alles in Familie bleibt". Ich verstehe, dass dich sein Verhalten enttäuscht oder gekränkt hat. Aber nimm es nicht so tragisch, auch wenn du glaubst, er hat vor dir Geheimnisse. Es war eine schöne Geste, die du ihm geboten hast, aber er hat sie wohl nicht so dankbar annehmen können, wie du es erwartet hast. Das passiert unter den besten Freunden. Das kennst du doch: Jeder stirbt für sich allein. Du musst das respektieren, dass er dir gegenüber nicht so offen ist, wie du glaubtest ein Recht zu haben. Da könnte der Irrtum auch bei dir selbst liegen. Zieh dich nicht zurück, wenn dir was an ihm liegt. Dreimal schlucken, den Ärger runterschlucken.

Aber es ist ein schönes Gedicht, ein Lesegenuss.

Lach mal wieder, Rumpelstilz

P.S.: Im Zusammenhang mit einer Flasche ein Kork erwähnt, muss doch nicht erklärt werden.
Rumpelstilz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.05.2023, 08:01   #7
weiblich DieSilbermöwe
 
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Zitat:
.Anstatt im Weinkeller den magischen Glanz wahrzunehmen und sich vom Geist in der Flasche ein Lied der Freundschaft singen zu lassen, hat mein Freund die Flasche ziemlich bald zusammen mit seiner Frau geleert. Ganz profan sagte er mir später, er hätte "lecker geschmeckt".
Hallo Friedrich,

ich verstehe nicht ganz, warum man eine Flasche Wein, die man geschenkt bekommen hat - auch wenn sie 30 oder 40 Euro gekostet hat - nicht trinken soll. Dafür ist der Wein doch gemacht (ich komme aus einer Weingegend), nicht um sie im Keller verstauben zu lassen. Wird der Wein zu alt, kann man ihn nämlich nicht mehr trinken.

Zitat:
. Anstatt im Weinkeller den magischen Glanz wahrzunehmen und sich vom Geist in der Flasche ein Lied der Freundschaft singen zu lassen, h

Ehrlich gesagt, auf die Idee wäre ich auch nicht gekommen.

Zitat:
P.S. Ich denke "Kork" klingt tatsächlich besser als "Korken". Allerdings denke ich bei "Kork" mehr an das Material als an den Stöpsel .
Wenn eine Flasche „Kork" hat, schmeckt der Wein nicht mehr. Kork ist eine Bezeichnung dafür, dass sich etwas vom Korken gelöst hat und in die Flasche geplumpst ist. Ein Grund, sich im Restaurant zu beschweren und den Wein zurückgehen zu lassen.

Schöne Grüße
DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.05.2023, 14:25   #8
Friedrich
 
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Beiträge: 237

Liebe Rumpelstilz,

so schlimm ist es nun auch wieder nicht, daß Du mich trösten müßtest. Wie sagte schon Kenny Rogers in einem seiner Songs: You can't make old friends. Alte Freunde haben, dank der gemeinsamen Vergangenheit, einen Bonus ähnlich wie Geschwister. "Der ist halt so, war er doch schon immer", sagt man dann und wundert sich schon gar nicht mehr. Die Flasche Wein war ein Teil des Geschenks, das Gedicht als Verpackung der andere. Zusammen hätte es ein Ganzes ergeben können. Ich frage mich inzwischen allerdings, ob man solches überhaupt erwarten kann. Ich habe mich einfach von dem Begriff Chasse-Spleen inspirieren lassen. Wenn, wie du sagst, "ein schönes Gedicht" dabei herausgekommen ist, dann hat es sich doch schon deshalb gelohnt.

lieber Gruß
Friedrich

Hallo Silbermöwe,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Es geht doch nicht darum, daß man eine geschenkte Flasche Wein nicht trinken sollte. Mir kommt es doch vielmehr darauf an, daß die Geschichte, mit der sie verpackt war, nicht so lebendig wurde, wie ich mir das vorgestellt habe.

Wenn Kinder glauben, die bunten Eier an Ostern habe der Osterhase gebracht, so ist das doch viel liebenswerter, "zauberhafter" als wenn man ihnen sagte: die Eier wurden bei Aldi gekauft und von Mama in der Küche gefärbt. Es hat ja auch mit Phantasie zu tun, wenn man sich vorstellt, wie sich die Rebe fühlt, wenn sie in heißen, trockenen Sommermonaten die Trauben hervorbringt, so daß der Wein später in der Flasche eine "Seele entfalten" kann. Hirngespinste, solche Gedanken, zugegeben, doch schöne.

Lieben Gruß

Friedrich

Zu Deinem Gedicht über den Osterhasen habe ich auch was geschrieben, schau doch mal rein.
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baudelaire, freundschaft, wein



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