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Alt 31.03.2023, 13:17   #1
Friedrich
 
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Standard Die blaue Blume (Novalis)

Im folgenden habe ich die berühmte Erzählung von Novalis' blauer Blume vom Prosa in fünfzeilige Strophen vierfüßiger Daktylen umgesetzt. Dies geschah nicht, um Novalis verbessern zu wollen (wer kann das schon?), sondern rein aus Lust an unserer Sprache. Die User mögen sich im Vergleich beider Varianten die Frage stellen, welche ihnen besser gefällt.

Die blaue Blume (Novalis)

Die Eltern lagen schon und schliefen, die Wanduhr schlug ihren ringförmigen Takt, vor dem klappernden Fenstern sauste der Wind; abwechselnd wurde die Stube hell von dem Schimmer des Mondes.

Seit Stunden schon schliefen die Eltern im Hause,
das Pendel der Wanduhr schlug einsam den Takt,
der Wind brauste mächtig ums klappernde Fenster,
und wechselnd beleuchtete für eine Weile
die schimmernde Scheibe des Mondes die Stube.

Der Jüngling lag unruhig auf seinem Lager und gedachte des Fremden und seiner Erzählungen.
"Nicht die Schätze sind es, die ein so unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben", sagte er zu sich selbst; "fernab liegt mir alle Habsucht: aber die blaue Blume sehn' ich mich zu erblicken.

Der Jüngling lag ruhelos auf seinem Lager,
gedachte des Freundes und seiner Erzählung.
Er sprach zu sich leise: „Nicht weltliche Schätze
erweckten in mir je dies tiefe Verlangen,
als einmal die lichtblaue Blume zu schaun.


Sie liegt mir unaufhörlich im Sinn, und ich kann nichts anders dichten und denken. So ist mir noch nie zumutegewesen: es ist, als hätt' ich vorhin geträumt oder ich wäre in eine andere Welt hinübergeschlummert; denn in der Welt, in der ich sonst lebte, wer hätte da sich um Blumen bekümmert, und gar von einer so seltsamen Leidenschaft für eine Blume hab' ich damals nie gehört..."

Sie liegt mir im Sinn, nichts anderes kann ich
mehr dichten noch denken, so ward mir noch nie;
mir ist auch, als wäre im Traum ich soeben
in einer mir seltsamen Landschaft gewesen,
so fremd ist die Leidenschaft für eine Blume“.

Endlich gegen Morgen, wie draußen die Dämmerung anbrach, wurde es stiller in seiner Seele,
klarer und bleibender wurden die Bilder. Es kam ihm vor, als ginge er in einem dunkeln Walde allein...
Es dünkte ihn, als umflösse ihn eine Wolke des Abendrots;

Und endlich, am Morgen, es dämmerte draußen,
da wurde es stiller dann in seiner Seele,
und klarer und bleibender wurden die Bilder,
es war ihm, als ging er im Walde allein,
umflossen im Abendrot von einer Wolke.

eine himmlische Empfindung überströmte sein Inneres; mit inniger Wollust strebten unzählbare Gedanken in ihm sich zu vermischen; neue, niegesehene Bilder entstanden, die auch ineinanderflossen und gut sichtbaren Wesen um ihn wurden...

Ein himmlisches Fühlen durchströmte sein Innres,
mit inniger Wollust bestrebten Gedanken
in ihm sich zu mischen und niemals gesehene
Bilder entstanden und flossen zusammen
und wurden allmählich zu sichtbaren Wesen.

Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstlichste Geruch erfüllte die Luft.

Dann nahe der Quelle, da zog voller Macht
eine höhere lichtblaue Blume ihn an,
sie ragte im Kreise von prächtigen Kelchen,
und köstliche Düfte erfüllten die Luft,
und mit glänzenden Blättern berührte sie ihn.

Er sah nichts als die blaue Blume und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blütenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte...

Er sah voller Zärtlichkeit auf diese Blume,
trat näher, als jäh sie begann sich zu regen;
noch glänzender wurden die Blätter, sie schmiegten
sich längs an den Stengel und in ihrer Blüte
erschien ihm ganz plötzlich ein zartes Gesicht.
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Alt 01.04.2023, 11:03   #2
männlich dr.Frankenstein
 
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Da ist ja die ganze Action raus. Das ist dann aber keine Romantik mehr, aber trotzdem gut.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.04.2023, 11:46   #3
Friedrich
 
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Hallo dr. Frankenstein

Zitat:
Da ist ja die ganze Action raus. Das ist dann aber keine Romantik mehr,
Verstehe ich nicht. Die "Action" ist doch dringeblieben. Der Inhalt ist doch gleichgeblieben. Der Unterschied liegt darin, daß die Form geändert wurde. Auch sind einige Wort "eingespart" worden. Aus 321 Wörtern im Original wurden in meiner Fassung 256, also 65 weniger. Was macht es aus, wenn Du in meiner Variante einen Verlust der Romantik wahrnimmst? Allein die Gedichtform kann es doch nicht sein. Es gibt zahlreiche romantische Gedichte.

Lieber Gruß

Friedrich
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Alt 02.04.2023, 11:53   #4
männlich MonoTon
 
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Hallo Friedrich

Ich bin leider total unromantisch muss ich gestehen.

Mir gefällt die überarbeitete Variante.
Zusammengefasst klingt es fast wie ein Zwiegespräch, erst die Prosa die Frei heraus erzählt und dann kommt ein sinnieren mit sich selbst, in Form deiner Strophen.

Mir persönlich fehlt etwas die Eigendynamik in der Formvariante, aber ich habe mitbekommen, dass du kein Neuverfassen und Überarbeiten, sondern ein Aufarbeiten darstellen wolltest.
Ich denke dahingehend ist es dir zwar gelungen, aber dem eigentlichen Text geht in strenger Form etwas an Emotion verloren. Er wirkt in Strophenform etwas aufzählend.

Es zeigt das man die Worte zwar umbauen und in ein Korsett bringen kann, aber das Gefühl zwischen den Zeilen nicht replizieren kann.

Ich bitte um Verzeihung, ich höre von Novalis das erste mal und ich bitte meine Worte nicht zu sehr auf eine Goldwaage zu legen.
Wenn ich den Originaltext richtig deute will Novalis mit Nennung der blauen Blume jemanden mystifizieren, denn es wird nicht genannt wer oder was für die Blaue Blume steht. Eine Widmung könnte man meinen.
Sie ist aber klar die eine, die unter 1000 bunten der selben Art hervorsticht und sich von der Masse abhebt. Was macht sie besonders?


Diese Annahme muss ich revidieren, denn es handelt sich nicht um eine Person, (auch wenn Blume als Schönheitssymbol agiert) sondern um eine Sachlichkeit, (Verdingung) welche Novalis wohl wichtig war und zu der er eine tiefe Zuneigung empfand.
Eine Vorliebe, Neigung, Hingabe. Eigentlich nicht wichtig, denn nur er sah die wirkliche schönheit seiner blauen Blume. Sie war unberührt und bot sich nur ihm dar. Vielleicht auch weil nur er sie Wahr nahm.

Das fehlt in deinem Text irgendwie. Das Augenmerk wurde sehr schwer auf die Form gelenkt.
Ich hätte die Metrik vielleicht in Nennung der Blauen Blume vom Daktylus gelöst um ihr mehr Leben, Dynamik und Eigenständigkeit einzuhauchen. Vielleicht auf die Weise zeigen, dass sie Einfluss ausübt auf das eigene Denken und Wahrnehmen von Novalis. Sie besonders machen.
Der Daktylus tat ihr vermutlich nicht sehr gut, da ihr Charakter mehr Frei und auch umsorgter hätte behandelt werden müssen. So bleibt sie eine unter tausenden.

In Strophe 3 hast du das geschafft, aber sie kommt den Rest des Textes kaum mehr durch.
Es wirkte fast als haben sich die Gedanken von der blauen Blume sogar eher gelöst.

Hinzu kommt, dass die Sätze einer Strophe einen fast erschlagen.
Sie wirken wie ein Kettensatz der sich durch 5 Zeilen zieht, da ist es schwer das darin gesagte auf sich einwirken zu lassen.
Vielleicht solltest du dem Leser auch mal eine kleine assoziationspause gönnen.
Damit er seine Gedanken und Eindrücke sammeln und auf sich wirken lassen kann.
Aber vermutlich liegt es daran das mir auch das Original schon schwerer Tobak ist.

Darum hätte ich ein sich wechselndes Klangbild im Bezug auf Erwähnung oder direkter Nennung der Blauen Blume sehr angenehm empfunden.
Einfach auch klanglich zeigen, dass sie für Novalis besonders war. Auf ihre Weise hob sie sich ja klar ab von anderen.

Ich hoffe meine Meinung war nicht zu unbeholfen und konnte dir zu deiner bitte hinsichtlich deines Textes etwas nützliches Beitragen.
Manchmal reicht es nicht eine Form perfekt umzusetzen, wenn der Geist von Worten auf der Strecke bleibt. Eigene Worte sind oftmals noch die ehrlichsten und zielführendsten.

Lg Mono

Ps: Mir gefallen beide Varianten auf ihre Weise gut, aber ich bin tatsächlich eher bei Frankenstein. Das was zwischen den Zeilen stand, so denke ich, kommt in dieser Form nicht konkret durch.
Vielleicht hätte man das Besondere der blauen Blume mehr in den Vordergrund stellen sollen, das Novalis in ihr sah. Ich kann dir aber leider nicht sagen, welches Besondere das ist, da ich vom Text das erste mal lese.

Mir fiel auch diese Wortgebung ins Auge
S1/Z5 "als einmal die lichtblaue Blume zu schaun."
Das "schaun" wirkt auf mich etwas unpassend zur sonstigen von dir genutzten Sprache des Textes, mutet es doch zu Neudeutsch und Umgangssprachlich an. Wohingegen der Rest der von dir genutzten Worte eher archaisch romantisierten Charakter besitzen.

Pps: Wenn ich es richtig sehe, ist der Daktylus deine blaue Blume.
Das kann ich Nachvollziehen. Ich könnte meine blaue Blume vermutlich gar nicht konkret benennen.
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.04.2023, 20:28   #5
Friedrich
 
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Hallo MonoTon,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Du hast Dir richtig Zeit genommen, die beiden Varianten zu betrachten und die Unterschiede herauszuarbeiten.
Zitat:
Die blaue Blume ist ein zentrales Symbol der Romantik. Sie steht für Sehnsucht und Liebe und für das metaphysische Streben nach dem Unendlichen. Die blaue Blume wurde später auch ein Sinnbild der Sehnsucht nach der Ferne und ein Symbol der Wanderschaft.
Das steht bei wikipedia unter dem Stichwort "blaue Blume". Du schreibst von Dir selbst, Du seiest "leider total unromantisch", da bist Du hier im Forum wahrscheinlich nicht der einzige. Ich denke es kann nicht schaden, wenn man nun durch mein Gedicht und dem Originaltext in Berührung mit dem "zentralen Symbol der Romantik" gekommen ist, so daß man zumindest weiß, was damit gemeint ist. In diesem Sinne hast Du hier einen guten Beitrag geleistet.

Lieber Gruß

Friedrich

P.S.
Zitat:
Wenn ich es richtig sehe, ist der Daktylus deine blaue Blume.
So verliebt bin ich in den Daktylus nun auch wieder nicht
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Alt 02.04.2023, 21:08   #6
männlich MonoTon
 
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Zitat:
So verliebt bin ich in den Daktylus nun auch wieder nicht
Nichts für ungut, mir war nur so, weil du ihn als Versfuß oft und gerne verwendest. Zumindest soweit ich das bisher in deinen Texten erkennen konnte.

Ich freue mich dass dir mein Kommentar zu pass kam.

Lg Mono
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Alt 03.04.2023, 09:09   #7
männlich dr.Frankenstein
 
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Es fehlt das Negative, er hat ja eine ungeheure Sehnsucht nach der Blume und in dem Text klingt es als ob sie gleich im nächsten Moment problemlos auftaucht.
Aber rein unromantisch betrachtet ist das Gedicht gut.

Ich glaub die Geschichte dahinter war, das eine Freundin von ihm gestorben ist, die ihm mal eine blaue Blume gegeben hat.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 03.04.2023, 10:28   #8
Friedrich
 
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Hallo dr.Frankenstein

vielen Dank für Dein Interesse und für Deine Beteiligung an der Frage nach dem Eindruck beider Varianten.
Zitat:
er hat ja eine ungeheure Sehnsucht nach der Blume und in dem Text klingt es als ob sie gleich im nächsten Moment problemlos auftaucht.
Auch in der metrischen Form kommt zum Ausdruck, daß das LI sich ruhelos auf seinem Lager wälzt, und erst am Schluß erscheint ihm "zauberhaft" die blaue Blume. Ich kann mir allerdings vorstellen, daß das Quälende bei dem flotten Rhythmus des Daktylus nicht so rüberkommt, daß es vom Leser gespürt wird.
Zitat:
Ich glaub die Geschichte dahinter war, das eine Freundin von ihm gestorben ist, die ihm mal eine blaue Blume gegeben hat.
1795 verliebte sich der 23jährige Novalis in die 12jährige Sophie von Kühn. 1797 starb Sophie kurz nach der Verlobung mit Novalis 15jährig an Schwindsucht. Den Dichter stürzte dies in tiefe Verzweiflung. Am 25. März 1801 stirbt Novalis in Weißenfels an den Folgen der Schwindsucht.

Ob Sophie ihm einmal eine blaue Blume zum Geschenk gemacht hat, davon weiß ich nichts.

Lieber Gruß

Friedrich
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Alt 03.04.2023, 11:20   #9
männlich MonoTon
 
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Beiträge: 1.108

Aufgrund eurer Überlegung kam mir auch ein Gedanke.
Vielleicht könnte blau auch als Leichenblässe verstanden werden.
Blau steht auch farbsysmbolisch für Kälte, Jenseits, Edelmut.
Lg Mono
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