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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt.

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Alt 20.03.2023, 16:45   #1
männlich Erhard Gratz
 
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Standard Wortevergifter

Wortevergifter

Wer hat das Wort Atom vergiftet?
Wer den Zigeuner kaltgestellt?
Wer hat den neuen Sinn gestiftet,
der mich in seinen Fängen hält?

Die Rasse hat es nie gegeben
und dennoch bin ich ein Rassist:
Ich lass den Eskimo am Leben,
auch wenn es höchst verwerflich ist.

Der Neger meiner Kindheitstage,
von mir gesprochen ohne Arg,
ein böses Wort, ganz ohne Frage.
Heut steht nur N auf seinem Sarg.

Wer maßt sich an zu regulieren?
So frag ich mich als Demokrat,
mein Sprechen mir zu strangulieren,
wer hatte dafür ein Mandat?
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Alt 21.03.2023, 05:25   #2
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Erhard Gratz Beitrag anzeigen
Wer maßt sich an zu regulieren?
So frag ich mich als Demokrat,
mein Sprechen mir zu strangulieren,
wer hatte dafür ein Mandat?
Vielleicht findest du die Antwort bei René Pfister:
"Ein falsches Wort - Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht".
Deutsche Verlagsanstalt München, 2022.

Klasse Gedicht! Und klug gefragt.

Neuauflagen von auf Political Correctness getrimmter klassischer Literatur kann man nicht mehr kaufen. Sie bildet nicht mehr den Geist ihrer Epoche ab und kann die Historie nicht mehr flankieren. Wenn ich "Meier Helmbrecht" lese, kann ich ihn nicht auf die heutige Zeit übertragen, in der sich Jugendliche bei Primark Klamotten kaufen, die sie nach drei Monaten in den Container werfen. Kleidung war einmal ein Standeszeichen.

Wie also, soll ich Literatur noch verstehen, wenn sie auf Political Correctness "korrigiert" worden ist? Wenn sie nicht mehr das abbildet, was einmal war?
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 21.03.2023, 07:15   #3
weiblich Rumpelstilz
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Standard Wortevergifter

Hallo Erhard Gratz,

Fragen, aber mir scheint, du bringst hier etwas durcheinander. Einerseits das Wort Atom, andererseits den Genderismus.

Das Atom ist immer das, was man mit ihm macht. Es kann der Menschheit zum Guten reichen, aber es kann sie auch zerstören. Wer sind die Zerstörer? Hast du dich das jemals gefragt? Es kommt immer darauf an, in welchen Händen die Technologie sich befindet. Keinesfalls ist das Wort schuldig.

Es ist ein offenes Gedicht, du gibst keine Antwort. Im Grunde empörst du dich, dass man dir Vorschriften machen will, wie du zu denken und zu sprechen hast.

Bleib nicht bei den Wörtern, sieh hinter die Wörter. Frag dich, was will man mit ihnen erreichen? Das wäre die richtige Frage, und die Antwort liegt auf der Hand. Gib diese Antwort, ohne sie bleibt das Gedicht an der Oberfläche.

Das Gedicht ist technisch ordentlich geschrieben, von daher gibt es meinerseits keinerlei Beanstandungen.

Gruß, Rumpelstilz
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Alt 22.03.2023, 18:20   #4
männlich Erhard Gratz
 
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Hallo Rumpelstilz,

Zitat:
Zitat von Rumpelstilz Beitrag anzeigen
Fragen, aber mir scheint, du bringst hier etwas durcheinander. Einerseits das Wort Atom, andererseits den Genderismus.
Mir scheint, Du bringst hier Genderismus und Political Correctness durcheinander. Mit Gendersprache hat mein Gedicht nichts zu tun.

Das Atom steht hier etwas außen vor, da hast Du recht. Aber wenn ich von Zigeuner, Rasse, Eskimo und Neger spreche, dann geht es um Sprache als Politik gewordene Political Correctness.
Und vor allem geht es darum, wer ein Recht bzw. eine Berechtigung dazu hat, mir vorzuschreiben, wie ich alteingesessene Begriffe des deutschen Sprachschatzes zu gebrauchen habe.
Meine Frage ist: Wer maßt sich das an und mit welchen Mitteln?

Ich bin vor nicht langer Zeit in Alaska in einem Bus gefahren, der Fahrer war ein Indigener und wir sprachen über ein gesellschaftliches Problem. Ich wollte ein braver Junge sein und fragte ihn, wie er als Inuit dazu stehe. Woraufhin er mich anknurrte: “ich bin kein Inuit, ich bin ein Eskimo.”
Die Sprachbereiniger argumentierten damit, dass Eskimo “Rohfleischfresser” bedeute und die Indigenen beleidige. Ich weiß jetzt aber, dass es in der Sprache der Cree “Schneeschuhflechter” bedeutet.
Womit also haben die Sprachbereiniger sich legitimiert? Mit dem Mittel einer dreisten Lüge.
Zitat:
Zitat von Rumpelstilz Beitrag anzeigen
Bleib nicht bei den Wörtern, sieh hinter die Wörter. Frag dich, was will man mit ihnen erreichen? Das wäre die richtige Frage, und die Antwort liegt auf der Hand.
Was die Wörter betrifft, so geht es vor allem um deren Umdeutung.
Irgendwelche geisteswissenschaftliche Dozenten amerikanischer Universitäten denken sich fortwährend etwas Schrulliges aus und alsbald schwappt es nach Europa über und wird zur politischen Doktrin. Wer oder was ermächtigt die amerikanischen Geistesarbeiter und ihre hiesigen Kollegen zu derlei Absurditäten? Es ist eine Selbstermächtigung auf der manischen Suche nach irgendjemandem, der sich beleidigt fühlen könnte. Den Spaß könnte man ihnen lassen, dann aber gerät das Ganze zur politischen Indoktrinierung und dagegen sollte man sich beizeiten wehren.
Ich bemühe mich laufend, "hinter die Wörter" zu blicken und finde - nichts.
Vielleicht kannst Du es mir bündig erklären, da die Antwort ja “… auf der Hand liegt”.

Zur typisch deutschen Atomphobie sollten wir uns bei anderer Gelegenheit austauschen. Es würde diesen Rahmen hier sprengen.

Gruß,
Erhard
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Alt 22.03.2023, 19:56   #5
männlich Erebos
 
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Lieber Erhard Gratz,

vom Stil habe her habe ich nichts an dem Gedicht anzumerken, weswegen ich dir umso mehr meine Meinung zu seinem Inhalt geben möchte.

Das Atom wirkt fast etwas deplatziert im restlichen Kontext, aber ich nehme einfach mal an, dass es in die Richtung der "Kernenergie" gehen soll(verzeih, wenn ich es falsch verstanden habe), wo es ähnlich der "Gentechnik" einen gewissen Rochus gibt. Beides Themen die bei gleicher wissenschaftlicher Faktenbasis, aber unterschiedlicher Gewichtung von Punkten, schon zu allerlei Diskussion führen können.

Das Wort "Rasse" ist in dem menschlichen Kontext ein veraltetes wie falsches Wort. Als jemand der die Sprache liebt, könnte man sich diesem also einfach entledigen, in dem man der Argumentation folgt, dass es in dem Zusammenhang unzureichend ist, da es keine beschreibende Eigenschaft mehr besitzt. Oder wenn man könnte auch beginnen das Wort Rassist für sich neutral zu verstehen, als "Jemand der in Rassen unterteilt" -> Was man ja auch nicht tut, weil es in Sprache auch immer um Konnotationen geht und die sind bei beiden Worten negativ.

Die restlichen Worte sind alles Fremdbezeichnungen (lediglich bei Eskimo gibt es die von dir beschriebene etymologische Möglichkeit, aber auch da nicht eindeutig.).
Der Punkt ist doch aber ein anderer. Was möchte man mit Sprache erreichen? Wenn mir jemand sagt, dass das Wort mit dem ich versuche ihn zu beschreiben, ihn beleidigt, warum sollte ich es dann verwenden? Vor allem wenn die Alternativen keine verrückten Kopfgeburten sind, sondern bspw. einfach "Sinti und Roma". Der einzige Zweck der die weiter Benutzung hätte, wäre für einen selbst ein trotziger und für den Adressaten ein zumindest provozierender, wenn nicht beleidigender.
Das jemand ein Wort in seiner Kindheit unschuldig benutzt hat und darin nicht schlimmes sah, keine Frage. Aber nur weil etwas alt ist, ist es nicht direkt in Ordnung. Ich fände es schön, wenn die Argumentation nicht immer wäre: 'Wir machen etwas, weil das schon früher so war' sondern 'Wir machen etwas, weil es das Richtige ist'.
Und wie Werte und Gesellschaft im Wandel sind, so ist es Sprache natürlich auch, deswegen verändert sich alles und das ist in Ordnung. Es geht ja auch keiner umher und nennt die Kinder von unehelichen Empfängnissen (von denen es ja mittlerweile mehr gibt) allenthalben "Bastarde", nur weil es von der Bedeutung früher funktioniert hätte. Mittlerweile ist es nun mal ein Schimpfwort und auch das ist in Ordnung.

Natürlich finde ich es gut, wenn man sich kritisch mit solchen Wandlungen auseinandersetzt und nicht jede Pirouette mit dreht, ohne auch nur einmal nachzudenken. Und ich versuche alles immer erst mit hermeneutischen Wohlwollen zu verstehen und davon auszugehen, dass es eine gute Intention gibt.
Aber die Debatte, dass "Neger" als massives Schimpfwort empfunden wird, hatte ich schon vor 20 Jahren und die Diskussion gibt es bestimmt auch weitaus länger. Da hilft das Argument auch wenig, woher das Wort kommt.. wenn es einfach im Laufe der Zeit seine Unschuld verloren hat und mittlerweile im besten Fall mit schlechter Konnotation ankommt, dann hat es in meinem persönlichen Wortschatz nichts verloren. Und natürlich sind wir in einem freien Land und man kann fast alles ohne Strafe sagen, aber dazu gehört dann auch die Freiheit der anderen auf deine Worte zu reagieren.

Ich hoffe dir hat meine Perspektive einen Mehrwert gegeben.

LG,
Erebos
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Alt 23.03.2023, 08:25   #6
weiblich Rumpelstilz
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Standard Wortevergifter

Hallo Erhard Gratz,

natürlich, die Sprache, die man uns vorsetzt, ist ein wichtiger Moment in unserem heutigen Leben. Dass sie benutzt wird, um die Verhältnisse zu verschleiern, ist den meisten Menschen auch klar. Aber eben nicht allen. Aber jedem Menschen, der bis 3 zählen kann, ist das klar.

Ich bin aber der Ansicht, dass das Gedicht beim ersten Schritt bleibt, es benennt die Dinge. Aber was diese Wörter in der Bevölkerung anrichten, dies zu benennen, davor schreckst du zurück. Für mich die Frage: Wovor hat der Autor Angst? Ja, die Meinungsfreiheit befindet sich derzeit in einem sehr schmalen Korridor, und am Ende gibt es kein Licht. Aber wenn du ein solches Gedicht schreibst, kannst du nicht vor dem unbedingt nötigen zweiten Schritt zurückschrecken. Sonst verpufft dein Gedicht, du verschenkst - nicht nur, dir selbst darüber klarzuwerden, WARUM eigentlich die Herrschenden die Wörter umdeuten, sondern bedienst, ob gewollt oder nicht, diesen engen Meinungskorridor. Das ist meine hauptsächliche Kritik an deinem Gedicht.

Die Bezeichnungen, Neger, Eskimo, Zigeuner gehören weitestgehend in den Kreis des Genderismus, auch wenn darüber schon vor seinem Aufkommen diskutiert wurde. Und dabei stellst du in deinem Kommentar selbst fest, dass da mit Gewalt eine Unangreifbarkeit durch scheinbar "neutrale" Bezeichnungen hergestellt werden soll, zum Beispiel Inuit statt Eskimo. Dass damit allerdings eine zweite Diskriminierung erfolgt, das begreifen unsere Dussel und Sprachänderer gar nicht. Es ist in jedem Fall Diskriminierungsabsicht oder besser gesagt Rassismus, wenn man allein auf die äußere Erscheinung des Menschen abhebt.

Ansonsten hast du ein Thema aufgegriffen, was auch besonders für uns Autoren von Bedeutung ist. Aber wie gesagt, nur ein erster Schritt, falls du die Absicht hattest, deine Leser aufzuklären und gegen die Verhunzung der Sprache zu protestieren. Und das nehme ich doch stark an. Ich bin der Meinung: Wenn schon, denn schon.

Lieben Gruß, Rumpelstilz
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Alt 23.03.2023, 13:56   #7
Friedrich
 
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Hallo Erhard Gratz,

Dein Gedicht spricht mir aus der Seele. Es ist auch sprachlich gelungen und metrisch einwandfrei.

Beim Stichwort "wortvergiften" muß ich an George Orwells Roman 1984 denken. Dort versucht die regierende Ingsoc-Partei ständig die Sprache zu verändern, um die Leute besser unterdrücken zu können. Es gibt sogar ein Neusprech-Wörterbuch (Newspeak Dictionary) und die Partei ist ständig auf der Lauer, jemand zu erwischen und zu bestrafen, der falsche Gedanken hat (Thought-Crime). Und unsere selbsterkorenen Sprachwächter sind genau dieser Schlag von Leuten. Einer sagt ein falsches Wort z.B. Neger oder Zigeuner und schon schlagen sie zu. Am 1. März dieses Jahres gab es einen Farbanschlag auf eine Wuppertaler Apotheke: sie hieß "Mohrenapotheke". Mit roter Farbe wurde auf die Fensterscheibe das Wort "Rassimus" gesprüht. Der Apotheker kann noch von Glück reden, daß sie ihm die Ladenscheibe nicht zertrümmert haben.

Früher gab es den Sarotti Mohr, Mohrenköpfe und sogar Negerküsse und das war alles ganz unschuldig. Doch dann kamen die Wortvergifter.

Den Schlag Menschen, den ich meine, gab es auch zuhauf in der untergegangenen DDR und zwar bei der Staatssicherheit und ihren Zuträgern, den informellen Mitarbeitern. Stets bereit, andere zu denunzieren.

Das vergiftete Wort ist wie ein Geßlerhut, den man grüßt, indem man es vermeidet. Man sagt: "Sinti und Roma" und der Wortvergifter sagt lächelnd: "na, geht doch." Ich habe aber keine Lust, einen solchen Wortvergifter zu grüßen, indem ich ihm nach dem Mund rede. Je mehr Leute sich allerdings beeinflussen - besser manipulieren - lassen, um so schwieriger wird es, solches beizubehalten. Wenn ich im Beisein meiner Frau das Wort "Neger" sage, zuckt sie zusammen, als hätte sie etwas gestochen. "Sag doch nicht so was". Und da merke ich immer wieder, welchen Einfluß die Wortvergifter haben. Andererseits ist der einzige Weg, ihrem Einfluß zu begegnen, doch allein der, daß man sie ignoriert und weiterhin so spricht, als gäbe es sie nicht. Ich wünschte, es gäbe mehr Leute, die da mitmachen.

Lieben Gruß

Friedrich
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Alt 23.03.2023, 14:47   #8
weiblich Inka
 
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Standard Also...

Lieber Erhard Gratz,

Du traust Dich (Deine Frau nicht?), die „Dinge“ beim Namen zu nennen. Ich wagte es mit meinem Beitrag „Verbotene Wörter“ nicht – ich Feigling!

Zufällig flog mir vor einigen Tage dieses entgegen - falls es jemanden noch nicht bekannt ist:
https://www.youtube.com/shorts/5Uqxb8n0rdU

Was kommt da noch???

Ab und zu kommt ein Leparello von einer Pizzaria ins Haus geflogen und bei den Angeboten steht tatsächlich unter Nr. 504: Zigeuner - Zigeunersauce = EUR 10,40. Erstaunlich.

Ein Geßlerhut war mir bisher auch nie begegnet. Jetzt kenne ich ihn.

Liebe Grüße von Inka

P.S. Übrigens hieß mein bereits 2004 verstorbener Bruder auch Erhard, wurde aber immer „Sohni“ genannt, was er im Erwachsenenalter eigentlich nicht mehr mochte. Bei mir machte er eine Ausnahme.
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Alt 23.03.2023, 15:22   #9
weiblich Ilka-Maria
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Bei Orwell kommt die Sprachregelung von der Partei, völlig richtig. Aber für das heutige "Neusprech" kann man nicht die Politiker ("die Herrschenden") verantwortlich machen. Will man die Quelle dieser Umerziehungsmaßnahmen feststellen, sollte der Blick zu den Universitäten gehen, die fast immer die Geburtsstätten von Ideologien und der Forderung nach gesellschaftlichen Veränderungen sind. Wer sich nicht anpasst, ist von da an ein "Misfit" und wird mundtot gemacht - Karriere aus und vorbei. Mittlerweile können reihenweise Professoren, ehemals geschätzte Gastredner und Journalisten, die sich einer wahnwitzigen Sprachregelung nicht unterwerfen wollten, ein Lied davon singen, wie sie von einer Studentenmeute mit Lärm, Buh-Rufen, Beschimpfungen und dem Vorwurf, rechtsradikal zu sein, so lange gestört wurden, bis sie ihren Vortrag abbrachen und den Saal verließen.

Es zählt nicht mehr, dass sich so ein "Ertappter" für ein unbedachtes Wort, das er irgendwann einmal unbewusst von sich gab, öffentlich entschuldigt. Er bleibt ein Täter und muss gnadenlos vernichtet werden.

Wenn das so weitergeht und sich der letzte Bürger diesem Irrwitz (man könnte auch von "Religion" sprechen) gebeugt hat, halten wir schon bald völlig den Mund und laufen nur noch als Sprachzombies durch die Gegend.
__________________

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Alt 23.03.2023, 17:47   #10
männlich Erhard Gratz
 
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Liebe Rumpelstilz,

was das Herangehen an das Gedicht betrifft, kann ich Dir versichern, dass ich vor nichts “zurückgeschreckt” bin und der Autor auch vor nichts “Angst” hatte.
Ich wollte nur kein Lehrgedicht schreiben.

Lass es mich so erklären: B. Brecht hat einmal sinngemäß gesagt, dass nicht die Figuren auf der Bühne klüger werden sollen, sondern dass er den Zuschauer zum Nachdenken anregen will. Deshalb hat er auch über der Bühne ein Transparent anbringen lassen: “Glotzt nicht so romantisch!” Dadurch, dass er nicht belehrend eine Lösung präsentierte, wollte er den etwas unbefriedigt zurückgelassenen Zuschauer anregen, selbst über die Problematik nachzudenken und einen eigenen Standpunkt zu beziehen.

Du hingegen erwartest von mir ein Agitpropgedicht, in dem eine Lösung mundgerecht dargereicht wird. Damit aber würde ich meine Leser wie unmündige Kinder behandeln. Da ohnehin jeder eine originäre Meinung zu gesellschaftlichen Fragen hat, würde es darauf hinauslaufen, dass jeder reflexartig damit beginnen würde, seine Weltsicht zu verteidigen.
Ich will Dich aber nicht belehren, sondern einen Zustand herbeiführen, bei dem die eigene Weltsicht skeptisch hinterfragt werden kann. Kein Weltbild ist in Stein gemeißelt und das beste was erreicht werden kann ist, sich selbstkritisch infrage zustellen.

Deine Behauptung, die diskutierten Nomen gehörten in den “Kreis des Genderismus”, muss ich ausdrücklich als falsch zurückweisen. “Zigeuner*Innen”, “Neger und Negerinnen” wären Gendersprech. Im Gedicht geht es aber, mit Nietzsche zu sprechen, um die Umwertung von Werten. Und das ist schlimmer als alle Genderpossen.

Gruß,
Erhard
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Alt 24.03.2023, 16:51   #11
männlich Erhard Gratz
 
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Lieber Erebos,

ich habe Deinen Beitrag mehrmals gelesen um zu vermeiden, dass ich Dein Kernargument verfehle und wir aneinander vorbeireden.

Dein Kernargument scheint mir zu sein, dass Sprache immer im Wandel ist, Konnotationen sich umkehren können und wir uns damit abfinden sollten. Dem ist so nicht zu widersprechen, aber geht es wirklich darum?
Zitat:
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Was möchte man mit Sprache erreichen?
Wer ist “man” und was ist mit “erreichen” gemeint? Eine Sprachgemeinschaft bildet sich auf natürlichem Wege und der Nutzen einer Sprache ist, dass die Menschen miteinander verbal kommunizieren und nicht nur auf Gesten angewiesen sind.
Eine Sprache ändert sich stetig von unten, ohne einen bestimmten Zweck oder höchsten den, das Kommunizieren bequemer zu machen, incl. Lautverschiebungen etc. Die Worte “man” und “erreichen” suggerieren dagegen eine Potenz und einen dahinter stehenden Willen. Dies jedoch ist einer Sprache natürlicherweise fremd, es sei denn, es bedient sich jemand der Sprache zu einem Zweck.
Zitat:
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Wenn mir jemand sagt, dass das Wort mit dem ich versuche ihn zu beschreiben, ihn beleidigt, warum sollte ich es dann verwenden?
Wenn mir dieser “Jemand” sagt, dass er sich durch ein Wort beleidigt fühlt, werde ich das Wort selbstverständlich nicht mehr gebrauchen. - Aber sagt es denn dieser “Jemand”?

Ich hatte das Glück, fast die ganze Welt zu bereisen. Aus diesen persönlichen Erfahrungen hat sich mein Blick auf die Welt bestätigt oder korrigiert, - je nachdem. Deshalb bitte ich um Nachsicht, wenn ich in meinen Beiträgen öfter auch auf meine Lebenserfahrungen zurückgreife.

Ich habe in einer Teestube in Shanghai von meinem chinesischen Bekannten eine Belehrung über die chinesische Teezeremonie erfahren und gelernt, dass erst der dritte Aufguss der eigentlich beste sei. Der Bekannte drückte das folgendermaßen aus: “Der erste Aufguss für die Japaner, der zweite für die Langnasen (das sind wir) und der dritte für die Chinesen.” Ich habe es mit einem Schmunzeln quittiert.
Hätte ich nun beleidigt sein sollen? Der Sprachpolizist hätte mein Verhalten für in Ordnung befunden. Er würde aber aufjaulen, wenn ich die Chinesen als “Schlitzaugen” bezeichnen würde.

Ich bin aus meiner Erziehung heraus ein Freund taktvoller Redeweise und beleidige niemanden. Die akademischen Sprachregulierer aber urteilen und verurteilen zugunsten (oder zulasten) Dritter, von denen sie lediglich vermuten, dass sie beleidigt sein könnten.
Selbstverständlich gibt es ausgesprochene Schimpfwörter. Aber Neger war in Deutschland nie ein Schimpfwort, bis es die Sprachintellektuellen auch hierzulande dazu machten. Auch in den USA war “Negro” kein Schimpfwort, “Nigger” oder “Niggr” dagegen ja.
Jetzt sind hiesige Sprachakademiker und ihre Adepten in den Medien sogar dabei, den “Indianer” umzudeuten. Ich fragte im Monument Valley einmal einen Gesprächspartner, ob er ein Indianer sei. Seine Antwort war: “Yes, I’m American Indian.”

Dieser Indianer, auch ein “Jemand”, hätte sich über den deutschen Sprachregulierer vermutlich gewundert. Ich habe nichts dagegen und könnte auch nichts dagegen ausrichten, dass sich Sprache auf natürlichem Wege verändert. Ich habe nur etwas dagegen, dass selbsternannte Sprachhüter sich darin überbieten, einer Majorität von normal Empfindenden ihre Doktrinen zu oktroyieren und sie damit in moralische Bedrängnis zu bringen.

Damit ist das “man” benannt und plötzlich bekommt auch der Satz wieder einen Sinn: “Was möchte man mit Sprache erreichen?”
“Man” hat offenbar macht- oder personalpolitische Interessen oder will mehr Aufmerksamkeit für neue Lehrstühle erreichen oder ist schlicht mit der wissenschaftlichen Forschung nicht ausgelastet, was auch immer, - diese Kreise sind dafür nicht legitimiert. Ich lasse mich in meiner Freiheit nicht einengen. Und nur dafür spricht auch mein Gedicht.

Gruß,
Erhard
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