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Alt 15.03.2023, 03:01   #1
männlich Heinz
 
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Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.878


Standard Kleine Geschichten aus meinem Leben

Es war geschafft!
Meine wunderschöne und kluge Freundin Hermine und ich konnten unsere Idee, in Rostock unter der Überschrift „Armenische Tage“ eine dreitägige Feier zu veranstalten, in die Tat umsetzen.
Anlass zu dem Jubelfest im Jahre 1981 war die 1700-jährige Zugehörigkeit Armeniens zum Christentum.
Schon im Jahre 301 n. Chr. wurde das Christentum in Armenien nach der Taufe von König Tiridates III. zur Staatsreligion erhoben. Somit ist die „Armenisch-apostolische Kirche“ die „älteste Schwester“ der christlichen Religionen.
Grund genug für meine armenische Freundin und mich, im Herbst 1981 (der in Hayastan, so die landesübliche Bezeichnung für Armenien, unweit des Carahunge Steinkreises in fast eintausend-achthundert Metern über dem Meeresspiegel in einen Kratersee getaucht wurde und den Namen Hayk verliehen bekam), nächst der Botschafterin Armeniens, Karine K. Kazinian *) großartige armenische Künstler (Sänger und Sängerinnen, Tänzerinnen, einen begnadeten Maler, Geigen- und Klaviervirtuosen, einen Dudukspieler) und zwei namhafte Laudatoren zu verpflichten, Sponsoren zu finden und ein zahlreiches Publikum zu gewinnen.
Zu den musikalischen Glanzlichtern gehörten Karine Babajanyan, Sopran, Sergey Khachatryan, Violine, und seine Schwester Lusine Khachatryan, Klavier, und der alles überstrahlende Tenor Gor Arsenyan.
Als Laudatoren, ich konnte mein Glück nicht fassen, hatten im Vorfeld Ralph Giordano und Hans Peter Minetti (der Sohn des Bernhard Minetti) zugesagt. Ralph Giordano war von mir angesprochen worden, weil er sich eingehend mit der „armenischen Frage“ beschäftigt und einen großartigen Artikel „Armenien - kleines Land mit großem Erbe“ veröffentlicht hatte.
Diesen Feuerkopf unter seiner Löwenmähne für eine Laudatio zu gewinnen zählte ich zu meinem größten Erfolg. Um Details zu klären, rief ich ihn an:
„Herr Giordano, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie groß meine Freude ist, Sie in Rostock begrüßen zu dürfen! Wir wollen, Ihre Erlaubnis vorausgesetzt, unserer Veranstaltung die Überschrift `Armenien - kleines Land mit großem Erbe` geben.“
„Da machen Sie sich mal keine Sorge, sagen Sie mir, wann ich aufzutreten habe und sorgen Sie für ein anständiges Hotel. Nach sechshundert Kilometern brauche ich eine kleine Pause.“
"Herr Giordano, nach der Begrüßung durch die Botschafterin und dem Lied „Hayastan“, von meinem Freund Gor Arsenyan gesungen, wären Sie an der Reihe.“
„Und wer ist nach mir dran?“
„Ich schicke Ihnen noch heute das Programm zu, aber ich darf Ihnen natürlich sagen, dass nach Ihnen Hans Peter Minetti ein armenisches Gedicht rezitieren wird.“
„Weeer? Hans-Peter Minetti? Da werden Sie auf mich verzichten müssen. Der olle Kommunist hat noch immer nicht kapiert, dass die Feinde meiner Feinde nicht automatisch meine Freunde sind!“
In meinem Kopf rasten die Gedanken: Ralph Giordanos Feinde, die Feinde eines Juden, sind die Nazis. Die Kommunisten sind auch Feinde der Nazis. Sind die Kommunisten damit nicht die „geborenen“ Freunde der Juden?
„Herr Giordano, ...“, er unterbrach mich:
„Junger Mann, ich kann mir vorstellen, was Ihnen durch den Kopf geht. Wir werden darüber sprechen, denn die Vorgeschichte zu erzählen würde jetzt zu lange dauern.“
„Ich ahne, dass es da Informationen gibt, die mir bisher nicht zugänglich waren.“
„Soviel vorweg: Hans Peter und ich, nebenbei auch Helmut Schmidt, unser Bundeskanzler, waren an derselben Uni in Hamburg. Da sind zwischen uns schon die Fetzen geflogen.“
„Herr Giordano, ich hatte keine Ahnung und...“
„Wie sollten Sie auch! Nur: Mit dem Hans-Peter kriegen Sie mich nicht auf eine Bühne.“
„Herr Giordano, was auch immer Ihr damaliger Kommilitone Ihnen angetan hat, ich darf doch bei einem Juden voraussetzen, dass er die Bibel kennt, und da steht: `Da trat Petrus zu ihm und sprach: Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist's genug siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: Nicht siebenmal, sondern siebzigmal siebenmal.` Meinen Sie nicht, ...“, Giordano unterbrach mich:
„Erzählen Sie mir nichts von der Bibel! Ich ...“, diesmal unterbrach ich ihn:
„Herr Giordano, Sie wohnen doch in Köln und wie der Teufel es will, tritt Minetti in paar Tagen in Köln auf. Meinen Sie nicht, dass... „
„Sie sind ja ganz schön hartnäckig. Ich denke darüber nach.“
Die beiden alten Knaben, für mich als damals knapp Vierzigjährigen waren die beiden Fünfundfünfzig- bzw. Achtundfünfzigjährigen „alte Knaben“, haben sich tatsächlich nach einem Soloauftritt Minettis in Köln zusammengesetzt und sich ausgesprochen. Mein Gott, war ich stolz auf mich!
Nach ein Paar Wochen rief Giordano mich an:
„Junger Mann, Sie dürfen sich auf die Schulter klopfen, aber - und das tut mir aufrichtig leid - ich kann, und es hat mit Hans-Peter überhaupt nichts zu tun, nicht kommen. Meine Laudatio, das hat er mir zugesagt, wird er in meinem Namen vortragen.“
Den Grund für die Absage erfuhr ich später: Ralph Giordanos Frau war schwer erkrankt und ist drei Jahre später, 1984, gestorben und Ralph Giordano war bei der aktiven Sterbehilfe dabei. „Die Liebe“, so äußerte sich Giordano nach über fünfundzwanzig Jahren, „ließ mir keine Wahl.“
Die Episode Helmut Schmidt, Bundeskanzler, Hans-Peter Minetti, von 1974 bis 1989 Leiter der Staatlichen Schauspielschule Ernst Busch in Berlin, 1984 bis zur Wende Präsident des Verbandes für Theaterschaffende, und damit einer der mächtigsten Männer des Theaters der DDR, ist eine andere Geschichte.

Die Dreitageveranstaltung „Armenien - kleines Land mit großem Erbe“ war ein voller Erfolg.
Meine Aufgaben waren, zusammen mit Hermine, die Programmerstellung, die Gewinnung der Künstler, die Anmietung der benötigten Räumlichkeiten, die Pressearbeit, Einsatz als „Conférencier“, gemeinsame Rezitation eines Auszuges aus den „Hairen“ (einer armenischen Gedichtesammlung des Dichters Khutchak) und, was mir große Freude machte, die „Betreuung“ der armenischen Botschafterin, ihre Exzellenz Karine Kazinian.
Die Dame war mit ihrem Accompagnement schon am Vormittag eingetroffen und ich bekam Hermines Befehl: „Kümmere dich um die Botschafterin!“
Die Mercdesniederlassung in Rostock stellte mir ein tolles Fahrzeug inkl. Fahrer zur Verfügung und ich fuhr mit der Botschafterin nach Warnemünde, weil sie mal die Ostsee zu sehen wünschte.
Von Warnemünde aus schipperten wir mit einer Fähre Richtung Rostocker Hafen, wo in einem Edelrestaurant ein fürstliches Mahl auf uns wartete. Auf der Fähre:
„Sagen Sie mal, was trinkt der Mecklenburger für gewöhnlich auf einem Schiff?"
„Exzellenz, der gewöhnliche Mensch trinkt ein Bier.“
Die Botschafterin ließ sich eines bringen, das es auf der Fähre nur in Halbliterkrügen gab.
Ihre Exzellenz sprach übrigens sehr gutes Deutsch, nur mir fiel es zunehmend schwerer, diese attraktive Dame ständig mit „Exzellenz“ anzusprechen.
„Exzellenz, gibt es auch eine leichter auszusprechende Anrede, zum Beispiel auf armenisch?“
„Ja, ganz einfach! Ich heiße Karine und wie heißt du?“
„Die Armenier sagen Hayk zu mir.“
„Hayk, dann bestell noch ein Bier und dann sind wir Karine und Hayk.“
Karine wollte nun auch bald ins Hotel, um ihr blaues Seidenkleid gegen die Abendgarderobe auszutauschen. Das kam meinen Wünschen sehr entgegen, auf mich wartete der Smoking.
Auf dem Weg zu meinem Zimmer lief mir Hermine über den Weg.
„Heinzdchan“ (zärtlicher armenischer Diminutiv, etwa Heinzschatz), wo ist die Botschafterin?“
„O Gott! Wir sind von der Fähre runter und sie ist ausgerutscht und in das Brackwasser gesaust.“
Hermine wurde leichenblass und mir tat es augenblicklich sehr leid, sie so veräppelt zu haben. Bevor ich zu einer großen Entschuldigungsrede ansetzen konnte, kam Karine aus ihrem Zimmer:
„Hayk, du bist ja noch gar nicht umgezogen! Schau mal auf die Uhr.“
„Karine, ich übergebe dich an Hermine. Ich bin in zwanzig Minuten in der Empfangshalle.“
Wie schnell aus fahler Blässe ein abendrötlicher Teint werden kann, ist doch sehr erstaunlich.
Ein Anliegen hatte Hermine noch:
„Heinz“, das „dchan“ ließ sie weg, „das Gedicht ‘Wir sind klein, aber wir sind Armenier` habe ich gestrichen. Es klingt doch sehr nationalistisch. Kannst Du das Herrn Minetti sagen?“
Das war ein Klacks, Hans-Peter, mal nach der Anzahl der Gedichte gefragt, die er auswendig rezitieren kann, sprach von mehreren hundert Gedichten und ein Ersatz war schnell gefunden.
Karine, die Botschafterin, hielt ihre Ansprache natürlich auf deutsch und am Schluss ihrer Rede kam:
„Meine Damen und Herren, für uns ist es selbstverständlich, dass wir im Gastland die Sprache der Gastgeber benutzen. Lassen Sie mich am Ende meiner Begrüßungsworte ein kleines Gedicht in unserer Sprache rezitieren, damit Sie den Klang unserer Sprache auch einmal hören.“
Und Karine rezitierte genau das Gedicht, das für Hans-Peter vorgesehen war, in armenischer Sprache und Minetti blieb nichts anderes übrig, er brachte das alles noch einmal auf deutsch.
Hermine war, wie man so schön sagt, von den Socken und wurde erst wieder sanft und zugänglich, als sie Khutschaks Verse aus meinem Mund in unserem Zwiegespräch hörte:
„Du bist wie duftendes Ambra, du bist wie Rubin und Smaragd, ...“.

Geändert von Heinz (15.03.2023 um 14:21 Uhr)
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