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Alt 18.05.2023, 08:16   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Hamsterkauf

Im fünften Schuljahr freundete ich mich mit meiner Klassenkameradin Gaby an, weil sie mir von ihren Tieren erzählt hatte. Tieren hatte ich immer nahegestanden, ob im Bilderbuch oder, als ich größer war, auf dem Bauernhof und bei Zoobesuchen. Tiere waren großartig, und deshalb ließ ich mir von Gaby gerne zeigen, mit welchen Tieren sie es zu tun hatte.

Sie versorgte eine Voliere mit Wellensittichen, die ein Züchter im Dachgebälk des Mietshauses unterhielt, in dem sich Gabys Mutter eingemietet hatte. Dafür, dass Gaby die Sittiche täglich mit Futter und Wasser versorgte, bekam sie ein bisschen Taschengeld.

Aber sie hatte auch einen Hamster. Das war ein possierliches Ding, das mir gefiel. "So einen will ich auch." Gaby hob nur die Schultern. "Dann kauf dir doch einen."

Ein Hamster war damals für fünf Mark zu haben. Und wo er zu haben war, wussten wir auch: Beim Zoo-Kempe, der ersten Adresse der Stadt für Haustiere aller Art. Oft gingen wir dort vorbei, um zu schauen, was wir im Straßenfenster geboten bekamen. Wenn wir Glück hatten, waren es nicht nur die langweiligen, ewig an Salatblättern kauenden Kaninchen, sondern auf unsicheren Pfoten eiernde Hundewelpen, mauzende Katzenkinder und manchmal an dürren Ästen wippende Äffchen. Meistens flogen in den Schaufenstern jedoch Vögel umher, die gerade in der Mode waren.

Der Preis stimmte. Ich hatte mein Taschengeld zusammengekratzt und für glatte fünf Mark einen Hamster gekauft, der mir in einem Pappkarton mit Luftlöchern mitgegeben wurde. Ehe ich zu Hause angekommen war und nicht wusste, wie und wo ich diesen Kamerad unterbringen konnte, hatte er sich halb durch seine Verpackung genagt und war kurz davor, auszubrechen.

Gaby schnippte die Finger. "Ich hab was!". Sie schleppte einen ausgedienten Vogelkäfig herbei, ein Ungetüm aus schwerem Holz und wahrscheinlich aus einem anderen Jahrhundert, aber ich war ihr unendlich dankbar. Ich setzte Kunibert – so hatte ich meinen Hamster getauft - , in dieses Verteidigungssystem hinein, das ich ächzend nach Hause trug, die Schultern gewappnet, um das zu erwartende Gefecht mit meinen Eltern zu meinen Gunsten zu entscheiden.

Es ging nicht aus wie erhofft. Mein Eltern nahmen Kunibert zwar auf, aber mit deutlich negativer Begeisterung. Und sie machten mir schonungslos klar, dass ich die Konsequenz meiner Tierliebe zu tragen hatte.

Und die sah so aus, dass ich kein Auge mehr schloss. Mein Kuni war nachtaktiv, und wenn ich schlafen wollte, begann er, seine Vorräte zur sortieren, sein Fitnessprogramm im quietschenden Laufrad zu absolvieren und seine Zähne am Gitter seines Gefängnisses zu wetzen, vorzugsweise am Törchen, dessen Stangen er mit seinen Pfötchen umklammerte und kräftig daran rüttelte.

Raus kam er nie. Aber der Typ gab nicht auf!

Erst tagsüber, wenn wir alle unsere Schul-, Gelderwerbs- und Familienpflichten erfüllten, schlief Kuni den Schlaf der Gerechten. Dann lag er eingerollt in einer Ecke seines Käfigs oder in dem Holzverschlag, zu dem eine Stiege hinaufführte und in dem er, die Backen vollgestopft, seine Vorräte gebunkert hatte.

Und er stank! Es ist unglaublich, welche Qualität die Duftmarke eines Tierchens ausströmen kann, das man mit Leichtigkeit auf einer Handfläche tragen konnte, als handele es nur ein paar Handschuhe. Aber dieses Bündel aus Fell und irgend etwa darunter, das im Grammbereich gewogen werden konnte, war eine olfaktorische Herausforderung, die jede Nase an die Grenzen ihrer Toleranz brachte.

Nachts ging der Terror von vorn los. Entnervt lagerte ich Kuni zu meiner Großmutter aus, die eine wesentlich größere Wohnung hatte als wir. Als er jedoch unauffindbar ausgebüxst war und vor der freiwilligen Rückkehr in seine Schlafkoje ein faustgroßes Loch in die Wand von Großmutters Küche genagt hatte, war sie nicht mehr amüsiert.

Doch bevor jemand auf die Idee kam, ihn in einen Sack mit dem jüngsten Katzenwurf zu stecken, diesen mit Steinen zu beschweren und in den Main zu werfen, fand ich für Kuni einen Platz in der Hamsterfamilie einer Freundin.

Damit war das Thema "Haustier" für einige Jahrzehnte abgehakt.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
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