Berlin, 1991

[Ilka-Maria]

Wir hatten uns die Beine müde gelaufen, Jonas und ich. Dabei ist Berlin Mitte überschaubar und zu Fuß gut zu erforschen. Aber es hatte einfach zu viel Neues zu sehen gegeben. Wie ein Dackel an der Leine hatte ich mich von Jonas, der in Berlin aufgewachsen war, durch die Straßen führen und mir alles, von der Museumsinsel bis zu den Hackeschen Höfen, von ihm erklären lassen.

Jetzt brauchten wir eine Verschnaufpause und etwas Flüssiges. Die Kneipe, die wir kaperten, war dicht besetzt, aber wir fanden einen freien Tisch und bestellten Bier. Im Raum hing der Dunst unzählig gerauchter Zigaretten, aber das störte uns nicht, obwohl wir beide Nichtraucher waren. Nie wäre uns eingefallen, Raucher des Verbrechens an der Menschheit anzuklagen.

Nach etwa zehn Minuten trat ein Paar mittleren Alters an unseren Tisch, und der Mann fragte in Englisch, ob die Stühle uns gegenüber noch frei seien und man sich setzen dürfe. Wir kamen ins Gespräch: Ihr Mietwagen habe schon am ersten Tag den Geist aufgegeben, man habe Zeit damit verloren, ihn umzutauschen. Aber mittlerweile habe man ein Gutteil der Republik abgeklappert, bis man in Berlin angekommen sei.

"Wir haben nach der Mauer gesucht, aber sie noch nicht gefunden", beendete der Amerikaner seinen Bericht, und seine Frau nickte dazu. Jonas und ich sahen uns an und grinsten. Er räusperte sich, ehe er antwortete: "Gehen Sie zum Checkpoint Charlie. Dort gibt es das Mauer-Museum."

"Oh, you put the entire wall into a museum? That must be a big one!"

"Not really." Ich sah, wie Jonas das Gespräch genoss. Diese naiven Amerikaner! Und diese deutsche Arroganz, die sich nie ganz unterdrücken ließ. "Aber sie können dort ein Stück der Mauer kaufen und als Souvenir in die Staaten mitnehmen."

Die Miene des Amerikaners hellte sich auf. "That's great! You Germans are wonderful people."

Nach einer weiteren Runde wundervollen deutschen Biers, die Jonas auf seine Rechnung nahm, verließen wir die Kneipe und sagten uns "take care".

Als wir unter uns waren, schütten wir uns aus vor Lachen. "Die Mauer! Die suchten wirklich nach der Mauer!"

[dunkler Traum]

... echt jetzt, war die 91 schon komplett weg? Hätte gedacht, es war später, als man um ein Stück kämpfte, das man dann stehen ließ. War es bei der Oranienburger Straße? Weiß nicht mehr, zu lange her.

beaux rêves

[Ilka-Maria]

Ja, ein paar Meter der Mauer standen noch streckenweise. Aber nicht in Berlin Mitte, wo naive Amerikaner sie suchten.

[traudl]

Gern gelesen, überraschende Wendung.
LG, traudl.