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Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln. |
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03.07.2022, 01:30 | #1 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Der Postillon Chapelou
Frohlockend verkündete gestern
mein Dresdener Spezi, er hätte vier Karten für die Operette „Le Postillon de Lonjumeau“ für uns und zwei reizende Schwestern ergattert und wäre recht froh, mit uns einen glänzenden Chapelou in der Semperoper zu erleben. Wir würden, sprach er, auf des Glückes Wellen wie auf Wolken schweben, nie vergessen des Geschickes Wirken und geheimes Weben. Am Eingang zur Oper - ein großes Gedränge, halb Dresden, so schien mir, besetzte die Ränge und Logen des Hauses der Musen, die Luft vibrierte, in die Nasen stieg der süße Duft des Parfüms der reizenden Damen; die Herren der Schöpfung kamen im Smoking, die Gespräche verstummten, aus dem Orchestergraben brummten und summten die Bässe, Oboen und Geigen bis der Maestro die Bühne betrat und Schweigen gebot und so die Ouvertüre nun melodisch ertönte und die Ohren der Menschen verwöhnte. Die Kenner der Szene erwarten vom Tenor gespannt die Arie des Postillons und jedes Ohr prüft kritisch des Sängers Virtuosität und ob seine Stimme das hohe De übersteht. Er begann das Lied des Postillons mit sächsischen Esprit, jedoch den königlichen Ton erreichte er nie. Gar grauslich klang‘s und sehr verbissen riss er sein Maul auf, doch ganz beschissen kreischte er in winseltem Diskant - fürwahr, es war ein Grund für Schimpf und Schand! Ich traute meinen Ohren kaum: „Da capo!“ klangs aus tausen Kehlen, es war, als hätt ich einen bösen Traum. Ich will euch aber nicht verhehlen - die Sachsen jubelten begeistert gar bravissimo, dem Sänger schmeichelte der Beifall und sein Solo erklang noch mal - genauso schlecht gesungen und wieder hats in meinen Ohr‘n geklungen: Bravo und bravissimo, da capo, sings nochmal! Er tat es drei- und viermal, für mich wars eine Qual, doch unbeirrt erklamg die Ovation im Saal. Verzweifelt fragt ich meinen Freund: Hört ihr denn nicht, wie falsch der Knabe singt? Mit lachendem Gesicht sprach mein Dresdner: Natürlich hörn wir das, doch heute machen wir den Spaß! Auf sächsisch heißt‘s: Heut machen wir ihn fertsch. („fertsch“ = fertig) PS. Ein kleiner Hinweis: Hört Euch auf YouTube den Tenor Nicolai Gedda mit der Arie" Freunde, vernehmet die Geschichte..." an -der kann sie nämlich. Geändert von Heinz (03.07.2022 um 10:44 Uhr) |
04.07.2022, 13:47 | #2 |
Tja, lieber Heinz,
ich fürchte, DIESER Postbote hat sein Ziel nie erreicht... Sehr schöne Geschichte, die Du wunderbar in "Ich- Erzählung" in Verse gebracht hast. Mir ging es ebenfalls schon häufig so, dass ich als Opernbesucher dachte: "Oh Gott, ist das schlecht!" Und das Publikum jubelte... Von Tenor Joseph Schmidt gibt es übrigens ebenfalls eine schöne - wenn auch leicht antiquierte - Aufnahme. Liebe Grüße von Georg |
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04.07.2022, 14:28 | #3 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Lieber Georg,
eignetlich ein in Verse gesetzter uralter Opernbühnenwitz. Was mir an der Pointe gefällt, ist diese sächsische Durchtriebenheit - einen Möchtegerntenor durch Da capo-Rufe zur Wiederholung der Arie "zwingen" mit dem Hintergedanken: Den machen wir heute fertig. (Wobei: Ich habe es erst einmal selbst erlebt, dass ein Tenor während einer laufenden Vorstellung seine Arie zweimal singen musste und einmal auf einer DVD - Villazon mit seiner bravourös gesungenen Arie "Uns furtiva Lagrima", Die Aufnahme mit Josef Schmidt kenne ich natürlich. Die Arie ist wahrhaftig haslbrecherisch, aber es gibt sogar eine Tonaufnahme mit Rudolf Schock, der in jungen Jahren das hohe De brillant beherrschte. Heran getraut hat sich sogar mal Karel Gott und immerhin kann man sein Bemühen erkennen. Nicht ohne Absicht habe ich Nicolai Gedda erwähnt, der in meinen Ohren die beste Leistung abliefert. Du merkst: Ein Leben ohne Musik und Gesang soll es angeblich auch geben - für mich unvorstellbar. Liebe Grüße, Heinz |
05.07.2022, 11:47 | #4 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662
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Lieber Heinz,
"singe wem Gesang gegeben" hättest du dem missratenen Tenor entgegenschmettern können. Auf sächsisch natürlich, wenn das möglich ist. Ich habe als Kind oft die Schellackplatten meines Vaters aufgelegt und war u.a. von der von Josef Traxel gesungenen Operettenarie begeistert. Liebe Grüße Nöck |
05.07.2022, 12:04 | #5 | |
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Zitat:
Vor langer Zeit war ich einmal in die Frankfurter Oper eingeladen gewesen, man brachte "Carmen". Der Tenor, der den Don José spielte, hatte eine so schwache Stimme, dass er im Duett von seinen Partnerinnen völlig übertönt wurde. Im Gegenzug war die Carmen - trotz hervorragender Stimme - äußerlich und schauspielerisch ein stampfender Ochse und völlig unglaubwürdig, zum betörenden Traum eines Mannes zu werden. |
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05.07.2022, 13:46 | #6 |
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879
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Lieber Nöck,
ja, der Josef Traxel bringt das hohe De recht strahlend zur Geltung. Mir fehlt bei ihm die "Schmissigkeit" eines Josef Schmidt oder Nicolai Gedda. Was die Formulierung der Pointe angeht, bin ich noch nicht zufrieden. Mal sehen, ob mir da noch was einfällt. Liebe Ilka-Maria, Du Arme! Mit der Frankfurter Oper habe ich so meine Erfahrung. Mit meiner damaligen Freundin besuchte ich "Cosi fan tutte" und machte ihr zwischen dem ersten und zweiten Akt einen Heiratsantrag. Genau genommen ist Mozart dafür verantwortlich gewesen. Mit "Carmen" habe ich ganz unterschiedliche Erfahrungen. In Rostock wurde die Carmen von der Tochter Masurs gespielt und von meiner heimlich Geliebten Jamila Raimbekova, welche die Schwester des Tenors Michaela sang, schlicht an die Wand gesungen. In Baden Baden hatte ich versäumt, mir das Programm genauer anzusehen. Geboten wurde eine jämmerliche Kurzfassung, in der so wenig Personal war, dass die Carmen und die Michaela von einem Mezzosopran gesungen wurde. In Trier haben mich der Don Jose und die Carmen schlicht vom Sessel gehauen. Zudem war es die Deniere, in der es oft geschieht, dass die Sänger und Sängerinnen sich dreiste Scherze erlauben. Bei der Ermordung der Carmen fiel die beinahe eine Treppe hinunter. Der Tenor fing sie auf, ihr Kleid platzte (weil man ihr vorher die Nähte gelockert hatte) und zwei sehenswerte Brüste rutschten der Carmen aus dem Dekolleté. Der eigentlich tragische Schluss ging im Gelächter des Publikums unter. In Eriwan lud ich mit Hilfe meiner Freundin Rosanne (die mir als Dolmetscherin aushalf) die ausnehmend hübsche Carmen zu einem anschließenden Abendessen ein. Sie sagte zu und meine Freude war groß - bis sie (auch mit Hilfe meiner Dolmetscherin) noch einmal auf mich zukam und fragte, ob sie denn auch ihren Verlobten mitbringen dürfe. Dass mein Freund sich beinahe totgelacht hat, gehört zu meinen bitteren Erfahrungen in Armenien. Die beste Carmen war und ist (wenn auch nur auf DVD) für mich Maria Callas, die im kleinen Finger mehr erotische Spannung hat als der Rest der ganzen Soprangilde. Dank sei Euch für Eure Kommentare! Heinz |
05.07.2022, 13:52 | #7 |
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Die Callas ist bzw. war sowieso über jede Kritik erhaben. Die Exotin ihrer Fachwelt und eine außerordentlich attraktive Frau.
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