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Schreibwerkstatt / Hilfe Gedichte und diverse Texte, an denen noch gefeilt werden muss.

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Alt 23.10.2022, 16:49   #1
männlich Faber
 
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Standard Falsche Zeitform?

Der Gedanke ist fast reif,
Liegt mir beinah auf der Zunge.
Doch meine Lippen bleiben steif,
Nicht ein Hauch verlässt die Lunge.

So gerate ich ins Stammeln.
Die Gedanken sind verstreut
Wie eine scheue Vogelschar.

Ich muss sie mühsam wieder sammeln
Und beginne dann erneut,
Wo ich stehn geblieben war.

Im letzten Vers stimmt die Zeitform nicht. Eigentlich müsste es doch heißen „Wo ich stehn geblieben bin.“, oder? Seht ihr eine Möglichkeit, dass geradezubiegen? Das Bild mit den aufgeschreckten Vögeln möchte ich dabei gerne beibehalten. Oder stört es beim Lesen gar nicht und kann so bleiben?
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Alt 23.10.2022, 17:51   #2
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Faber Beitrag anzeigen
Ich muss sie mühsam wieder sammeln
Und beginne dann erneut,
Wo ich stehn geblieben war.

Oder stört es beim Lesen gar nicht und kann so bleiben?
Mir scheint die Aussage des Verses so oder so nicht zu dem Zuvorgesagten zu passen. Das Lyrische Ich ist nämlich an keiner Stelle stehen geblieben, sondern hat durchweg gehandelt: Es ist ins Stammeln geraten, weil seine Gedanken davongeflogen waren, also hat es sie wieder einsammeln müssen und will jetzt noch mal von vorn beginnen (vermutlich, sie zu ordnen und dann weiterzuführen, um den reifen Gedanken greifen zu können).

Die Schwierigkeit liegt bei deinen Strophen auch darin, dass zu Beginn von nur einem Gedanken die Rede ist, in der zweiten sind es aber viele Gedanken, die verstreut sind. Es hätte vielleicht so heißen können:

Das Ergebnis ist fast reif,
Liegt mir beinah auf der Zunge.
Doch meine Lippen bleiben steif,
Nicht ein Hauch verlässt die Lunge.

So gerate ich ins Stammeln.
Die Gedanken sind verstreut
Wie eine scheue Vogelschar.

Ich muss sie mühsam wieder sammeln
Und beginne dann erneut,
Wo ich schon kurz vorm Ziele war.

Bei dieser genaueren Benennung des Punktes, wann die Gedanken davonwirbelten (nämlich in der Vergangenheit), dürften beide Versionen (war/gewesen bin) in Ordnung sein. Das "mühsame" Einsammeln der geflüchteten Gedanken könnte einen längeren Zeitraum suggerieren, so dass die absolute Vergangenheit für mich okay wäre.

Vielleicht fällt dir aber noch etwas Besseres zu den problematischen Stellen ein.


VG
Ilka
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Alt 23.10.2022, 17:52   #3
männlich MonoTon
 
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Hallo Faber

Ich sehe nicht, dass es verkehrt ist, wenn man auf die symbolische und kontextbezogene Bedeutung achtet.

In der ersten Zeile ist vom fast (zukunftsform) die rede
darauf folgt ausschließlich die Gegenwartsform
und in der letzten Zeile liest man die vergangenheitsform

Ich denke hier wird rhetorisch sehr gut die Zeit genutzt, um etwas bevorstehendes und beängstigendes (fast, beinah) anzusprechen.
Während der Entstehung der Ausformulierung wird schon wieder alles als bereits "hinter sich gebracht" dargestellt.
Das Ende zeigt, dass die anfängliche (Zukunft formende) Angst, bereits wieder als Empfindung von gestern kategorisiert wird, da sie in die Vergangenheit form (war) gerät.
Ein sogenannter Teufelskreis, der aus denken und schweigen besteht.
Ich persönlich sehe keinen Grund, warum der Text in der Schreibwerkstatt steht.
Lg Mono
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Alt 28.10.2022, 13:07   #4
männlich Faber
 
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Hallo Ilka,

danke für deine Überlegungen zu meinem Gedicht, bei denen ich dir grundsätzlich rechtgebe. Aber ich glaube, ich lasse es erst mal liegen und nehme es mir ein anderes Mal noch mal vor. So ganz glücklich bin ich mit dem Gedicht nämlich noch nicht.

Schöne Grüße, Faber
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Alt 28.10.2022, 13:09   #5
männlich Faber
 
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Zitat:
Zitat von MonoTon Beitrag anzeigen
Ich denke hier wird rhetorisch sehr gut die Zeit genutzt, um etwas bevorstehendes und beängstigendes (fast, beinah) anzusprechen.
Während der Entstehung der Ausformulierung wird schon wieder alles als bereits "hinter sich gebracht" dargestellt.
Danke MonoTon für deine Analyse, aber du attestierst mir hier ein rhetorisches Feingefühl, über das ich noch gar nicht verfüge. Da war eher der Zufall am Werk als Können.

Grüße
Faber
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Alt 28.10.2022, 13:55   #6
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Faber Beitrag anzeigen
Aber ich glaube, ich lasse es erst mal liegen und nehme es mir ein anderes Mal noch mal vor.
Gute Idee. Mit Abstand sieht man meistens besser auf das Werk. Außerdem kann ich auch gut Mono Tons Argumenten folgen. Jeder Leser halt eben eine andere Art, einen Text aufzunehmen.
__________________

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Alt 04.02.2023, 12:14   #7
männlich dunkler Traum
 
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... sorry, muss mal kurz reinhacken.

"Und beginne dann erneut,
als ich schon kurz vorm Ziele war." - hier passt "wo" nicht!

Wo ich stehen geblieben bin, wäre Perfekt. Wo ich stehen geblieben war, wäre Plusquamperfekt. Beides möglich, je nachdem, wann du stehen geblieben bist/ warst. Wobei laut Deutschlehrer der Perfekt vorzuziehen ist.

wsT
dT
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Alt 09.02.2023, 22:22   #8
männlich Faber
 
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Zitat:
Zitat von dunkler Traum Beitrag anzeigen
Wo ich stehen geblieben bin, wäre Perfekt. Wo ich stehen geblieben war, wäre Plusquamperfekt. Beides möglich, je nachdem, wann du stehen geblieben bist/ warst. Wobei laut Deutschlehrer der Perfekt vorzuziehen ist.
Danke, dT. Das "war" fühlt sich für mich im Zusammenhang auch nach wie vor falsch an. Umschreiben könnte man es so:
Der Gedanke ist fast reif,
Liegt mir beinah auf der Zunge.
Doch die Lippen bleiben steif,
Nicht ein Hauch verlässt die Lunge.

So gerate ich ins Stammeln.
Die Gedanken sind verstreut,
Fort ist ihr geheimer Sinn.

Ich muss sie mühsam wieder sammeln
Und beginne dann erneut,
Wo ich stehn geblieben bin.
Allerdings wird so meine ursprünglich gedachte Absicht etwas verwässert...
Faber ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.02.2023, 21:05   #9
männlich dunkler Traum
 
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... ja, doof, die geliebte Vogelschar ist weiter gezogen.
Zum Glück hast du deine Gedanken nicht ins Wasser geschrieben, trotzdem könnte es schwer werden, den ursprünglichen Ansatz wieder zu finden. Kenne ich leider auch.
wünsche viel Erfolg
dT
dunkler Traum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 11.02.2023, 22:18   #10
männlich MonoTon
 
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Beiträge: 1.102

Ich mach die Verwirrung mal perfekt mit einer weiteren Version.

Der Gedanke war fast reif,
Lag mir beinah auf der Zunge.
Doch die Lippen blieben steif,
Nicht ein Hauch verließ die Lunge.

So geriet ich dann ins Stammeln.
Die Gedanken weit verstreut,
Fort war ihr geheimer Sinn.

Musste mühsam wieder sammeln
Und began sodann erneut,
Wo ich stehn geblieben bin.

Wie gesagt, ich finde die erste Version hat was.
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 12.02.2023, 16:02   #11
männlich dunkler Traum
 
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... ups, jetzt würde ich "war" vorziehen, da du in der Vergangenheit die Gedanken verloren hattest. Das heißt, du kannst die Vogelschar wieder einbauen, hurra.

dT
dunkler Traum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.03.2023, 00:31   #12
männlich Faber
 
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Zitat:
Zitat von MonoTon Beitrag anzeigen
Ich mach die Verwirrung mal perfekt mit einer weiteren Version.
Damit hätten wir jetzt einige Varianten beisammen. Und wie dunkler Traum bemerkt, ist auch wieder Platz für die Vogelschar! Werde demnächst mal schauen, ob ich mich für eine Variante entscheiden kann.
Faber ist offline   Mit Zitat antworten
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