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07.07.2016, 20:21 | #1 |
M wie Mathe oder M wie Mobber
Es war damals in der 7. Klasse. Für mich zum zweiten Mal die 7. Klasse. Mit mir sitzengeblieben waren Dietmar und Corinna. Letztere hieß mit Nachnamen Ziegenpeter, und hübsch war sie auch nicht. Für eine 15-jährige war sie richtiggehend hässlich. Und pummelig noch dazu.
Niemand mochte sie, ich auch nicht, musste aber in der neuen Klasse neben ihr sitzen. Schlecht in der Schule waren wir alle beide, abschreiben war also auch nicht drin. Ich ergab mich in mein Schicksal, neben ihr sitzen zu müssen, selbst, als sie mir aus irgendeinem Grund in den linken Busen kniff und zwar ganz schön hart. Es gab einen riesengroßen blauen Fleck, und ich konnte sie von da an noch weniger leiden als vorher. Zu der Zeit gefielen mir solche Spielchen noch nicht, und selbst wenn - von einer Frau? Igitt. Und von Corinna Ziegenpeter? Dreimal igitt igitt, und ich schüttelte mich vor Ekel noch oben drein. Unser Klassenlehrer war unser Mathelehrer. Ich mochte ihn nicht und Mathe auch nicht. Aber was er eines Tages brachte, ließ mich nur noch glotzen. Bis dahin hatte ich so etwas für undenkbar gehalten. Oder zumindest für höchst unwahrscheinlich. Niemand war nett zu Corinna und sie war zu keinem nett. Aber dass der Mathelehrer anfing, sie zu mobben (obwohl man das damals noch nicht so nannte), erstaunte mich doch. Er fing an, sich über sie lustig zu machen. Wenn er sie aufrief, dann nicht mit ihrem Vornamen, sondern "Fräulein Ziiiiiiieeeeegenpeter". Der Klasse reichte das, um sich totzulachen. Und er kam mächtig in Fahrt. Ich weiß nicht mehr alles, aber eines weiß ich noch: Eines Tages setzte sie sich zur Wehr. Er fing wieder wie üblich an, sich über sie lustig zu machen. Und sie gab Kontra. "Ich mag es nicht, wenn man Witze auf meine Kosten macht", sagte sie, und die Klasse wollte sich wieder totlachen, sie sagte noch einiges anderes, und die Klasse kicherte die ganze Zeit dabei. Aber der Lehrer war konsterniert, als sie ihn damit konfrontierte. Ich sah ihn gespannt an. Die Reaktion der Klasse interessierte mich nicht, aber seine. Er war verunsichert, wusste nicht, was er sagen sollte. Einem Kind rollte der Stift vom Pult auf den Boden. Er hob ihn auf, ich seh es noch vor mir wie heute. Er benutzte diesen Augenblick, um sich zu fangen. Und von da an ließ er Corinna Z. in Ruhe. Mir hat er sich als der Lehrer eingebrannt, der, anstatt eine Schülerin zu schützen, begeistert beim Mobben mitmachte, ja, es sogar antrieb. Ich mochte Corinna nie. Aber ihm hätte ich gerne ins Gesicht gespuckt. Ihr nicht. |
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07.07.2016, 23:25 | #2 | |
Forumsleitung
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Zitat:
Statt dessen geht ihr die Puste aus wie einem angestochenen Luftballon. Ich hatte mal eine vergleichbare Situation erlebt. Die Schülerin hieß Christa Grabarczik oder so ähnlich, und sie sprach mit Akzent. Sie hatte in Englisch Probleme und fast immer schlechte Noten, aber sie strengte sich an. Als sie beim Abhören der Vokabeln fehlerfrei vortrug, bekam sie trotzdem Note fünf. Die Klasse war empört. Und da erhob Christa mit hochrotem Kopf ihre Stimme und sprach: "Sie vergeben Noten nicht nach Leistung, sondern nach Sympathie und ob ihnen ein Gesicht gefällt. Sie stecken bis zum Hals in Vorurteilen!" Die Klasse klatschte Beifall, und vor uns stand ein Lehrer, dem es die Sprache verschlagen hatte und dem die Schamröte ins Gesicht stieg. Eine andere Situation war, als eine meiner Mitschülerinen wegen Schwätzens von der Musiklehrerin mit den Worten getadelt wurde: "Du da hinten mit der Mähne ..." In der Tat hatte diese Schülerin prachtvoll dickes, langes Haar. Da hatte sich die Lehrerin prompt einiges anhören müssen, was ihr denn einfiele, persönlich zu werden. Es hätte genügt, die Schülerin bei ihrem Namen anzusprechen. Also: Was in deiner Geschichte ist wirklich vorgefallen? Mit welchen Worten hat sich deine Protagonistin gewehrt? |
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08.07.2016, 07:58 | #3 |
Die Geschichte geht nicht in die Knie
Guten Morgen, Ilka, die Geschichte geht ganz und gar nicht in die Knie, es sind ihre Schlüsselworte ("ich mag es nicht, wenn man Witze auf meine Kosten macht") und auch die, worauf der Lehrer sich dann erst besinnt, dass da jemand mit Gefühlen vor ihm sitzt.
Außerdem ging es mir vorrangig gar nicht darum, sondern um das Benehmen und die Reaktion des Lehrers. Ich habe den Focus auf etwas anderes gelegt als du. Edit: Und niemand hat oder hätte ihr Beifall geklatscht. Nicht mitzukichern, war schon das Höchste. Der Lehrer benutzte es, sich über sie lustig zu machen, um sich bei der Klasse beliebt zu machen und schaffte das sogar. Bis zu diesem Zeitpunkt. In der Geschichte gibt es keine Helden. Nur einen Antiheld. |
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08.07.2016, 10:50 | #4 |
der höhepunkt des textes ist nicht der moment, in welchem corinna dem lehrer contra gibt. es sind die drei letzten sätze. die haben es in sich!
lg Sonnenwind |
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08.07.2016, 11:12 | #5 | |
Forumsleitung
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Zitat:
diese Stelle meinte ich gar nicht, sondern die fett hervorgehobene: "... Sie sagte noch einiges anderes ..." Es ist eine der großen Sünden jedes Autors, den Leser neugierig zu machen und dann weiterzuschreiben, als hätte es den Hinweis nie gegeben. Die Erwartungen werden enttäuscht, und das Interesse an der Geschichte geht verloren. Ich dachte jedenfalls, da müsste noch etwas Handfesteres kommen als diese reichlich zahme Ermahnung, nicht als Witzfigur dienen zu wollen. Möglich, dass die Geschichte eine wahre Begebenheit erzählt, das sollte aber kein Hindernis sein, sie für den Leser, der das nicht weiß, spannender zu schildern. LG Ilka |
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08.07.2016, 18:38 | #6 |
Lieber Sonnenwind,
vielen Dank! Genau darauf wollte ich hinaus. Liebe Ilka-Maria, nun, damit hast du vielleicht recht. Ich wusste es halt nur wirklich nicht mehr, was sie alles sagte - sie sagte einiges - hängengeblieben ist bei mir mehr das unterschwellige Kichern der ganzen Klasse, als sie redete. |
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27.08.2016, 15:17 | #7 |
R.I.P.
Dabei seit: 07/2014
Alter: 73
Beiträge: 2.273
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Wenn ich das lese, liegt mein Fokus klar auf dieser tollen Schülerin und nicht auf dem Lehrer.
Wie du den Moment beschreibst, als sie sich gegen seine Lustigkeit zur Wehr setzt, wie du die Spannung spürbar machst und den Moment fixierst, in dem sich der Lehrer vom K.O.-Schlag erholt, finde ich ausserdem klasse gemacht. Wenn ich mir ansehe, wie die beiden Opponenten diese Affäre bewältigt haben, sehe ich eigentlich bei beiden nur Positives. Du deutest jedoch an, dass erst der Bleistift dem Lehrer die Chance gegeben habe, eine komplett falsche Reaktion (entweder beleidigtes Pochen auf Autorität oder wortreiche Reuebekundungen) zu vermeiden. Das ist, wie gesagt, super erzählt, macht den Lehrer in meinen Augen aber nicht so klein, wie du in deiner Bilanz am Ende ihn siehst. Als Lehrer ist man wie als Privatmensch darauf angewiesen, dass die Mitmenschen ihre Wünsche formulieren. Deinem "Fräulein Ziegenpeter" hast du hier ein starkes Denkmal gesetzt, indem sie das so klar macht. Aus Sicht eines Ex-Lehrers mit Interesse und auch mit Freude gelesen. Url |
27.08.2016, 15:33 | #8 | |
R.I.P.
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Zitat:
Und die Mädels dann in die Rolle von Opponentinnen zu rücken ... Mir gefielen die drei letzten Sätze in dem Bericht auch am besten. Die "schlagen ein". Thing |
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27.08.2016, 17:29 | #9 |
R.I.P.
Dabei seit: 07/2014
Alter: 73
Beiträge: 2.273
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Ach Thing
Wer keine Probleme hat, macht sich welche. Dabei haben wir doch jeder seine eigenen, ohne dass du da dieses Wort Lustigkeit bemühen musst. Lustigkeit ist für mich gleichbedeutend mit Wurstigkeit. "Deutsch sein heisst auch: Wenig Feuer, viel Rauch, aus Überzeugung lustig sein und vaterländisch wurstig sein." (Ist von mir, nicht von CdP) Von diesem Lehrer erfahren wir nicht viel. Ausser seiner pädagogisch falschen, übergriffigen, unprofessionellen Art "vertraulichen Gebarens" gegenüber einer pubertierenden Schülerin. Wir wissen nicht, ob er diese Schülerin beleidigen, niedermachen oder sonstwas wollte ausser "lustig sein". Wir wissen aber, dass die betreffende Schülerin ihm nicht als Teil einer mobbenden Gruppe begegnete sondern als einem "unterlegenen Gegner", dem sie arschcool Paroli bot. Was du zusätzlich hineininterpretierst, ist deine eigene Angelegenheit. Tschüss! Url |
28.08.2016, 12:56 | #10 |
Ich hatte weiter oben geschrieben, dass der Lehrer sich so benahm, um sich auf Corinnas Kosten bei der Klasse beliebt zu machen. Das war nicht "Lustigkeit", das hatte einen Hintergrund. Und wenn es mir als 15jaehriger Schülerin klar war, dürfte er erst recht gewusst haben, was er sich da leistete.
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28.08.2016, 13:00 | #11 | |
R.I.P.
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Zitat:
die Pobleme, die ich habe, haben mit Poetry nichts zu tun. Und in Deinen Text habe ich nichts hineininterpretiert! |
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28.08.2016, 14:21 | #12 |
R.I.P.
Dabei seit: 07/2014
Alter: 73
Beiträge: 2.273
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Was soll man da noch sagen?
Gegen solch schlagende Argumente will ich mich nicht verteidigen (wofür eigentlich?) Url |
28.08.2016, 15:06 | #13 |
R.I.P.
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Was macht Dir zu schaffen?
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