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Alt 01.04.2023, 19:32   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Liebe

Markus Müller sagte nichts, als er mir gegenübersaß. Die Gefängnisleitung hatte ihn überreden müssen, sich mit mir zu treffen. Er hatte sich lange dagegen gesperrt, ehe er nachgab, entschlossen, mir mit Schweigen zu begegnen und in der Hoffnung, dann seine Ruhe zu haben.

Er wirkte entspannt. Meine Eingangsfragen – Name, Geburtsdatum, Urteil nebst Begründung und sonstige Basics, nickte er einfach ab, mochten sie korrekt sein oder nicht. Es schien ihm nicht wichtig zu sein.

"Ich bin in eigener Sache hier", begann ist das Gespräch, "und alles, was zwischen uns gesprochen wird, bleibt unter uns und hat keinen Einfluss mehr auf das Urteil, weswegen Sie hier sind."

Müllers Augen waren mit voller Aufmerksamkeit auf mich gerichtet und verrieten nicht die leiseste Emotion. Seine Lider blinkten in auffällig langen Abständen, was mich irritierte. "Wie Sie wissen, bin ich Kriminalpsychologin und sammele Daten für ein Buch."

Müller erwiderte nichts. "Der Schwerpunkt meiner Forschung liegt auf Delikten, in denen es zu Totschlag oder Mord aufgrund von Beziehungskonflikten kam", fuhr ich fort. "Ich möchte den Ursachen auf den Grund gehen und weshalb es nicht möglich war, den Konflikt anders zu lösen." Noch immer dieses intensive Starren. Wie konnte ein Mensch so lange Blickkontakt halten, ohne ein einziges Mal zu blinzeln?

Ich sah in mein Notizbuch. "Sie sind seit sechs Monaten hier, verurteilt, Ihre Lebensgefährtin im Affekt getötet zu haben. Ich möchte mit Ihnen darüber sprechen, wie es dazu kommen konnte." Ich lächelte in der Hoffnung, ihm zu schmeicheln. "Sie sind mein erster Fall für das Buch. Und selbstverständlich bleibt Ihr Name anonym."

Müller schwieg.

Ich tat, als müsse ich in meinen Notizen weiter nachlesen, obwohl ich seinen Fall bis auf den Grund kannte. Er hatte sich schuldig bekannt, indessen war das Motiv schwammig geblieben. Arbeitslosigkeit, Geldsorgen, ständiger Streit, Alkohol, Ärger mit den Kindern ... Nichts Ungewöhnliches. Bis es zur Eskalation kam und zum völligen Blackout. Erinnerungen nur noch in Bruchstücken abrufbar.

"Bis zur Tat lebten Sie und Iris Breunig seit fünfzehn Jahren zusammen, und nach Ihrer Aussage und der Bestätigung von Zeugen war es die große Liebe, die sie zusammengebracht hatte."

Müllers hellblaue Augen bekamen einen grauen Stich. Doch seine Lider blieben statisch, und in seinem Gesicht zuckte kein Muskel. "Iris war an jenem Sonntagmorgen mit der Zubereitung des Mittagessens befasst gewesen. Sie beide hatten schon während des Frühstücks ordentlich Wodka zu sich genommen. Aus Gründen, die Sie dem Richter nicht nennen konnten, zogen Sie unvermittelt eines der Messer aus dem Messerblock und rammten es Iris mehrmals in den Rücken."

Müller blieb reglos, also wiederholte ich: "Sie zogen ein Messer aus dem Messerblock und rammten es Iris in den Rücken."

Ich fragte nicht nach dem Wieso, sondern wiederholte nochmal den Tatbestand. "Sie stachen Iris hinterrücks nieder."

Und da kam Müller in Bewegung.

"Immer wieder." Seine Augen begannen zu blinzeln. "Nochmal und nochmal." Über sein Gesicht breitete sich ein seliges Grinsen. "Es war schön."

Seine plötzliche Öffnung überwältigte mich. Ich durfte ihn jetzt nicht verlieren. "Was war schön, Markus? Erzähl es mir."

"Ihr Erstaunen war schön. Sie drehte sich um und sah mich an, so erstaunt wie am ersten Tag, als wir uns zum ersten Mal sahen und ineinander verliebten. Da sah ich meine Iris wieder. Einen kurzen Moment war sie wieder da. Alles war wieder da. Wie damals. Es war wie ein Wunder."

Jetzt blinzelten Müllers Lider, und seine Augen strahlten wie der blanke Himmel. "Es war so einfach. Ich musste nur zustechen, und schon sah sie mich wieder an und erkannte mich. Und ihr Gesicht war voller Liebe."

"Hast du das dem Richter erzählt, Markus?"

Er schüttelte den Kopf. "Welchem Richter?"

"Dem Richter, der deine Verhandlung geführt und dich verurteilt hat."

"Verurteilt? Weswegen?"

"Du hast sie umgebracht, Markus. Erstochen."

Er schüttelte den Kopf, nicht heftig, sondern langsam, als müsse er darüber nachdenken, was er verneinte. Dann sackte er zusammen, und sein Gesicht wurde blank. In seine Augen trat das wasserhelle Blau zurück, und seine Lider machten keinen Zuck. Er starrte ins Leere, als er sagte: "Ich will auf mein Zimmer."

Er meinte seine Zelle.
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 03.04.2023, 09:56   #2
männlich dunkler Traum
 
Benutzerbild von dunkler Traum
 
Dabei seit: 02/2021
Ort: mit beiden Beinen in den Wolken
Alter: 60
Beiträge: 1.596


... puuh, du machst mir Angst. Meine Frau vermisst diesen Blick von mir auch, ich trau mich nicht mehr in die Küche.

beaux rêves
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