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Alt 14.03.2023, 07:48   #1
weiblich Ilka-Maria
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Ich bin erledigt. Vier Stunden vor dem Bildschirm für eine halbe Seite Text. Einen leidlichen Text, der so starr und leblos ist wie meine Finger, die sich vor der Tastatur zu ekeln scheinen.

Mir fällt nichts mehr ein.

Ich hatte meinem Lektor das Exposé für einen neuen Roman per E-Mail geschickt, und er hatte mich postwendend angerufen: "Schreiben Sie's. Ihre Leser warten auf Nachschub." Eine Anspielung auf die fünf Bestseller, die mir eine Fangemeinde und volle Körbe an Fanpost bescherten. Ich musste eine Sekretärin einstellen, die den Papierkram und den Wust an E-Mails erledigte und meine Lesungen organisierte.

"Deadline ist in drei Monaten", hatte mein Lektor hinzugefügt, "dann schaffen wir den Druck und das Marketing noch bis zur Buchmesse."

"Haben Sie das Exposé richtig gelesen?", wollte ich einwenden, aber da hatte er bereits aufgelegt. Natürlich nicht, beantwortete ich mir die Frage selbst. Nach fünf Bestsellern rechnete der Verlag beim sechsten Buch mit einem Selbstläufer.

Es war die dünnste Idee, die ich jemals in einem Exposé niedergeschrieben hatte, aber das war meinem Lektor egal. Ich habe einen Vertrag und muss liefern. Pro Jahr einen Roman. Doppeltes Honorar, wenn es zwei werden. Wir hatten uns auf eine Masche geeinigt, die längst gang und gäbe ist: Ich hatte einen Protagonisten geschaffen, der meine Romane durchzog, mit dem sich meine Leser identifizierten und auf den sie gespannt waren und immer noch sind, was er als nächstes erleben würde. Serien-Quark, möglichst in kurzen Kapiteln wie bei Filmsequenzen, damit er sich für eine Drehbuch-Adaptation besser verkaufen lässt.

Aber mir fällt nichts mehr ein. Ich sitze vor meinem Bildschirm, der mich anstarrt, obwohl es umgekehrt sein sollte, krümme meine Finger über der Tastatur, die mich ebenfalls anstarrt, als wolle sie sagen: "Wieso behelligst du mich noch?". Und höre, wie im Hintergrund Rudi freudig bellt, weil Sigrid offensichtlich ihren Mantel angezogen und die Hundeleine vom Schlüsselbrett genommen hat: Zeit zum Gassigehen.

Ich schaue ihnen durch das Fenster nach. Draußen scheint die Sonne, zwitschern Spatzen, die sich in einem Baum versammelt haben, grüßen sich Leute, kehrt der Hausmeister den Gehweg, liefern DHL-Fahrer Pakete aus und wischt ein Nachbar die Scheiben seines Autos blank. Ein paar Schulkinder sind auf dem Heimweg, schwätzend, lachend. Genug! Ich setze mich wieder vor meinen Computer, bemüht, mir eine Welt auszudenken, die so lebendig ist wie die dort draußen.

Aber mir fällt nichts ein.

14.03.2023
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Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.03.2023, 08:51   #2
weiblich DieSilbermöwe
 
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Hallo Ilka,

das ist genau der Grund, warum ich niemals für Geld schreiben würde bzw. für einen Verlag. Da muss man liefern...und das tue ich mir nicht an.

LG DieSilbermöwe
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 14.03.2023, 15:21   #3
männlich Manni M.
 
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Was soll man schreiben, wenn man schreiben muss, aber draußen immer wieder dasselbe passiert und im Inneren überhaupt nichts mehr? Diesen Umstand hast du wunderbar eingefangen. Ich glaube, so geht es vielen Schriftstellern, die sich vertraglich zum Abliefern verpflichtet haben, besonders, wenn sie bereits Erfolg hatten und sowohl ihre Leserschaft als auch die wirtschaftlichen Interessen des Verlags befriedigen müssen. Man wird dadurch in einer Art Dauerschleife gefangen gehalten, die im schlimmsten Fall bloß routinierten Mist hervorbringt. So etwas stelle ich mir schrecklich vor. Das hat nichts mehr mit Kreativität zu tun. Der Autor wird zum Fließbandarbeiter degradiert.

LG
Manni
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Alt 14.03.2023, 15:54   #4
weiblich Ilka-Maria
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Ort: Arrival City
Beiträge: 31.082


Danke euch beiden fürs Kommentieren.

Es ist mittlerweile noch viel schlimmer, das "Fließband" wurde bei vielen Verlagen perfektioniert. In einem Schreibzimmer sitzen fünf oder mehr "Autoren" an ihren PCs, jeder bekommt per Inhaltsangabe den Teil an einem Buch zugewiesen, den er nach vorgegebenem Tenor und für eine bestimmte Zielgruppe zu schreiben hat, und nach Fertigstellung werden die Teile zusammengepfriemelt. Das ist preiswert und braucht weniger Zeit, als man einem einzelnen Autor einräumen müsste.

Wer ein bisschen Geld mit dem Schreiben verdienen will, sollte sich auf Heftchen-Romane konzentrieren. Klischees jeder Art, Ärzte, verarmter Adel und schöne Mädchen aus der Unterschicht, die mit dem hochgeborenen Fräulein oder der Millionärstochter konkurrieren müssen, gehen immer über die Theke.

Oder Drehbücher schreiben. Da kommt man mit 90 bis 120 Seiten gut hin, denn die Faustregel besagt: Pro Seite eine Minute Filmlänge. Zwar landen die meisten Drehbücher in Schubladen oder in Kisten, aber wenn man es schafft, eins zu verkaufen, kann man damit auf einen Schlag ordentlich Geld verdienen, von 3.000 Euro bis zu fünfstelligen Zahlen. In den USA gab es zuweilen Drehbücher, deren Rechte für Beträge von 500.000 bis 1 Mio. Dollar übertragen wurden.

Aber auch hier sollte sich der Autor nicht wundern, wenn der Film am Ende nicht mehr viel mit seinem Drehbuch zu tun hat. Nicht nur Regisseur und Schauspieler fummeln an dem Stoff herum, sondern "script doctors" bekommen den Auftrag, ihn zu überarbeiten, bis er ins Programm des Studios passt und die Produzenten damit zufrieden sind. Wer so ein Projekt finanziert, redet nämlich mit.

Die Buchverlage, die noch nicht auf "Schreibstube" umgestellt haben, arbeiten grundsätzlich nur mit ihren Vertragsschreibern zusammen, und die Agenturen betreuen ebenfalls nur eine bestimmte Anzahl Autoren, damit sind sie voll ausgelastet. Dort als Anfänger reinzustoßen ist wie ein Sechser im Lotto, egal wie begabt man ist. Schreibwettbewerbe kann man ebenfalls vergessen, denn diese zielen meistens auf Förderung junger Autoren ab, also auf Nachwuchs im Alter von 25, höchstens 30 Jahren.

Deshalb sind die Self-Publishing-Verlage wie die Pilze aus dem Boden geschossen. Wer veröffentlichen, sich aber nicht von einem unseriösen Vorschussverlag abzocken lassen will, kommt nicht umhin, diese Möglichkeit zu nutzen und die ganze Arbeit - also auch das Cover, den Klappentext und diverse Informationen über Inhalt und zur eigenen Person - selbst zu machen und über eine Software einzugeben. Das kann Anfangs "tricky" sein, aber man lernt schnell, damit umzugehen. Es kostet nichts, und das ist gut so, denn an den Veröffentlichungen kann man kaum etwas verdienen. Die Verlage räumen von den Verkaufsumsätzen den Rahm ab, für den Autor bleiben ein paar lumpige Cent.

Wer Zeit und Laune hat, Marketing zu betreiben und Lesungen zu veranstalten, bekommt vielleicht einige Bücher - sofern er sie als Hardcopy fertigen lässt - direkt los. Aber das ist nicht jedermanns Sache und muss auch eingeübt sein.
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