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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 16.05.2023, 09:41   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Stadtstreicher

Ich weilte nie in einem Garten,
sah nie des Kirschbaums Blütenpracht,
versank nicht in dem lieblich zarten
Bouquet, vom Flieder dargebracht.
Auf Rosen war ich nie gebettet,
nur stets der Armut angekettet.

Mein Leben war kein Zuckerschlecken,
es zwang mir ab, jahrein, jahraus
mich brav zur Decke hin zu recken,
doch dazu fehlte mir das Haus:
Für Miete war mein Lohn zu karg,
erst recht zum Sparen für den Sarg.

Das Ende scheint sich anzutasten,
mein Schlafsack ist vor Kälte steif,
noch eine Nacht, darin zu rasten,
dann sind wir für das Zielband reif:
Er war mir Freund in jeder Not
und bleibt mein Heim bis in den Tod.

16.05.2023
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Alt 16.05.2023, 17:52   #2
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Das Gedicht ist dir sehr gut gelungen.

Sterben müssen wir alle. Arm ist der, der nicht gelebt hat. Ob es ein Landstreicher wohl besser hat als ein Stadtstreicher?

LG
Faber
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Alt 19.05.2023, 14:24   #3
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Faber Beitrag anzeigen
Ob es ein Landstreicher wohl besser hat als ein Stadtstreicher?
Gute Frage, Faber. Darüber kann ich nur spekulieren. Früher hatten Landstreicher sicherlich die Möglichkeit, hier und da nach Arbeit zu fragen und sich eine Mahlzeit und ein Nachlager im Heuschuppen zu verdienen. Ein Zuckerschlecken war das nicht, auch wenn diesen frei durch die Lande ziehenden Menschen etwas Romantisches angeheftet wurden. Es gab in meiner Jugendzeit ein populäres Jugendbuch mit dem Titel "Rasmus und der Landstreicher", das genauso gerne gelesen wurde wie "Robinson Crusoe", aber natürlich ein falsches Bild von einem derartigen Leben vermittelte.

Stadtstreicher kenne ich noch aus meiner Jugend. Oft zogen sie mit einem Musikinstrument, meistens einem Akkordeon, von Hof zu Hof, spielten zwei bis drei Melodien und sammelten dann die in Papier gewickelten Münzen ein, die ihnen aus den Fenstern zugeworfen wurden. Wenn sie Durst hatten, klopften sie an ein Parterrefenster und baten um ein Glas Wasser, das ihnen nie verwehrt wurde. Man fragt sich, warum sie so ein Leben führten, denn in der Aufbauzeit nach dem Krieg gab es Arbeit genug, und Arbeiter fehlten an allen Ecken und Enden. Für den Hausbau wurden italienische Gastarbeiter angeheuert, und in den Fabriken arbeitete man 48 Stunden pro Woche im Akkord. Vielleicht waren es verkrachte Künstler oder Kriegsversehrte, die in der Industrie nicht einsatzfähig waren.

Heute benutzt man Begriffe wie "Landstreicher" oder "Stadtstreicher" nicht mehr. Sie sind einfach nur Bettler, Gammler oder Penner, die irgendwo sitzen und in einem Pappbecher Geld sammeln. Da geben die Innenstädte mit ihrer Laufkundschaft auf jeden Fall mehr her als die Kleinstadt oder das Dorf.

Danke für die Beschäftigung mit meinem Gedicht.

Ilka
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Alt 20.05.2023, 00:43   #4
Ex-Pennywise
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Beiträge: 599

Moin Ilka,

sehr bedrückend. Vor Allem die letzte Strophe. Der Schlafsack war im Grunde das Wichtigste in seinem Leben. Überlebenswichtig.
Schade, dass dem Gedicht unsagbar viel Wahres entnommen werden kann. Hier in Köln ist das auch ein großes Thema.
Wie immer sehr gut geschrieben.

Gruß

Pennywise
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