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Alt 25.03.2023, 20:24   #1
männlich Erebos
 
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Standard Der Junge in den Bergen

Freitag
29. September

Der junge Morgen tauchte die Apenninen in strahlendes Licht. Fabiano ließ seinen Blick über die saftige Koppel gleiten, auf der vereinzelte Ziegen grasten. Der Himmel war fast makellos, lediglich in der Ferne, wo sein blau mit dem der Berghänge verschwamm, zogen die Wolken ihre Wege. Tief im Tal zeichnet sich die Stadt Marzabotto ab und zerfurchte mit Ihren Straßen, Wegen und Häusern die grüne Landschaft.
Er hockte sich mit einem Lächeln hin und lehnte seine Schulter gegen die steinerne Tränke, aus sein großer Bruder Wasser in einen Eimer schöpfte. Armando war mit seinen elf Jahren zwar nur zwei harsche Winter älter als er, trotzdem merkte man ihm jeden einzelnen Tag davon an.
Wo er sich in Spielereien verlor, wusste Armando zu arbeiten und egal, was Sie zusammen anstellten, so hatte Fabiano den Eindruck, dass sein großer Bruder den Überblick behielt.
Das war wahrscheinlich auch der Grund gewesen, weshalb sein Vater Armando die Herde anvertraut hatte, als dieser vor ein paar Tagen höher in die Berge gestiegen war.
Zuvor waren Fremde gekommen. Nicht viele, nur eine Handvoll Kindern, zwei älteren Herren und eine junge Frau. Ein paar der Jungen und Mädchen, kannte Fabiano flüchtig, von seinen Besuchen aus der Stadt, die Erwachsenen hatte er aber noch nie zuvor gesehen.
Die Neuankömmlinge hatten Gerüchte aus der Stadt mitgebracht, die vor einem bevorstehenden Rückzug der Deutschen gewarnt hatten. Die beiden Alten, die selbst einmal in den höher gelegenen Höfen gelebt hatten, wollten ihre Enkel in Sicherheit bringen.
Auf die Frage nach der jungen Frau hatten die Greise gezögert, bis die Dame selbst das Wort ergriffen und erklärt hatte, dass sie wegen den beiden Alten mitgekommen sei.
Fabiano hatte das erst nicht begriffen, bis ihn sein Bruder daran erinnerte, wie anstrengend selbst für junge Knaben der Weg zwischen Berg und Tal sein konnte.
Ihr Vater hatte sich mit den anderen Männern des Gehöfts alles in Ruhe angehört und dann beschlossen, dass alle sicherer wären, wenn die wehrhaften Männer in die Berge zögen. Es hatte eine lautstarke Diskussion zwischen seinem Vater und einem Hirten gegeben, der seine Frau nicht hatte verlassen wollen.
Fabiano hatte den Streit nicht verstanden, aber am nächsten Tag waren die Männer doch einheitlich gegangen.
„Träum nicht“, riss Armando ihn halb im Scherz, halb im Ernst aus der Erinnerung. Er hielt ihm eine hölzerne Kelle hin, aus der das Wasser zu beiden Seiten schwappte und gab Fabiano mit einem Schulterzucken zu verstehen, dass er trinken solle.
Fabiano nahm einen großen Schluck. Das Wasser war kalt und gut. Auch wenn der September sich dem Ende neigte, so würde es ein warmer Tag werden.
„Hast du Angst?“, fragte er seinen großen Bruder, der nun selbst trank und eine ziellose Weite in seinem Blick hatte.
„Nein“, sagte er karg. Als er sah, dass diese Antwort Fabiano nicht reichte, hockte er sich neben ihn.
„Keine Sorge, du musst dir keine Gedanken machen. Konzentriere dich lieber auf die Ziegen. Wenn eine von ihnen die Böschung hinunterfällt, gibt es genug, vor dem du Angst haben kannst, sei dir da sicher.“ Er lachte und das gab Fabiano Mut. Irgendwann würde er die Welt auch so sehen können, wie sein Bruder, davon war er überzeugt.
Mit neuem Mut und gewecktem Pflichtgefühl, zählte er die grauen Körper, Hufe und Hörner durch, die er aus seiner Position sehen konnte. Erst war er stolz, es war keine große, aber eine vollständige Herde. Dann bemerkte er, die Silhouette, die sich farblich vom Rest abhob und ihm wurde im selben Augenblick schlecht.
Er reckte seinen Hals, wohl darauf bedacht den Rest seines Körpers nicht zu erheben. Aber mit jedem Millimeter, den er mehr sah, wurde ihm klar, dass am Rand des Hanges jemand stand. Die Uniform ließ wenig Spielraum für Phantasie. Er drehte sich zu seinem Bruder und presste aus einer Mischung aus Flüstern und Zischen „Einer der Wölfe“ hervor. So hatten die Erwachsenen immer von den Deutschen geredet. Armando schaute ihn verwundert an, folgte dann seinem Blick und bekam für einen Moment ein ernstes Gesicht. Dann grinste er.
„Kein Wolf. Ein Mensch. Du. Ich. Er. Schau doch.“
Fabiano neigte sich zur Seite, um an den kompakten Ziegen vorbeizuschauen. Er sah den Mann, der atemlos seine Arme auf die Oberschenkel stütze. Ein Gewehr war auf seinem Rücken, aber sein Gesicht war das eines normalen Menschen. Er überlegte kurz, aber älter als 18 hätte er ihn nicht geschätzt, vermutlich jünger. Dennoch zuckte Fabiano zusammen, als sich sein Bruder neben ihm erhob.
„Was machst du denn?“, fragt er fast flehend.
„Du siehst doch, dass er erschöpft ist. Der Weg ist anstrengend, vor allem für Fremde.“
„Er ist gefährlich! Er hat eine Waffe!“, zischte er erst scharf und sagte dann kleinlaut „setzt dich bitte wieder hin.“
„Der Junge braucht Wasser. Du kannst ja hier bleiben und schauen was passiert, wenn man jemanden einfach nett behandelt“, antwortete sein großer Bruder, mit etwas Schelmischem auf den Lippen. Mit diesen Worten tauchte er die Kelle ein, packte den Eimer am Henkel und ging mit ruhigen Schritten auf den Unbekannten zu.
Fabiano nahm jede Bewegung nur in einzelnen Bildern wahr. Sein Bruder nährte sich dem Fremden. Der Soldat bemerkte es zunächst nicht. Doch als der den Jungen sah, der sich mit seinem hölzernen Eimer aus der Ziegenherde schälte, richtete er sich zunächst auf, dann legte er den Kopf etwas schief. Armando blieb zwei Meter vor ihm stehen, stellte den Eimer ab, füllte die Kelle und hielt sie dem Mann entwaffnend hin.
Der junge Mann schaute kurz verdutzt, dann schien er die Geste zu verstehen. Er trat an seinen Bruder heran, nahm die Kelle, trank und gab sie ihm zurück. Armando lächelte und ließ diese in den Eimer zurück gleiten. Im nächsten Bild griff der Soldat an seinen Koppelgürtel, zückte die Luger und schoss Armando in den Kopf. Die Kugel glitt durch den Knochen und riss ein paar Meter weiter ein Büschel Gras in die Luft.
Stupor.
Fabiano brauchte einen Augenblick, um sich aus der Erstarrung zu lösen und schüttelte sie dann weg, wie ein Hund den Regen. Erst geduckt, dann immer schneller rannte er den Hügel hinauf, weg von der Herde, weg von seinem Bruder. Der Soldat realisierte erst spät, dass sich da keine Ziege aus dem Pulk löste, welche nach dem Schuss ohnehin wild blökend über die Wiese sprengten.
Er gab ein paar wilde Schüsse ab, die ergebnislos über die Weide pflügten. Unsicher, ob er nachstellen sollte, stand er am Hügelkamm und schaute abwechselnd den Hang hinunter und dem Jungen nach.
Fabiano rannte unbesonnen weiter und erlaubte sich erst einen Blick zurück, als er die Koppel hinter sich hatte. Mittlerweile war dort, wo sein Bruder lag nicht nur ein Soldat, sondern eine kleine Menschentraube, wobei er den Mörder noch genau ausmachte. Dieser stand nur da, starrte auf Armando und bekam einen kräftigen Schlag auf die Schulter von einem seiner Kameraden. Fabiano hielt kurz inne, Tränen rannen über sein Gesicht, aber als er sah, wie der Tross sich aufteilte und in kleinen Gruppen an den Aufstieg wagte, rannte er weiter.

Fabiano schaute nicht mehr zurück. Er mied die großen Pfade, die seit Ewigkeiten von Eseln in den Morast geschliffen worden waren, und schlug sich in jede noch so spärliche Deckung, die ihm der Berg erlaubte. In der Ferne schallte die Glocke der benachbarten Kapelle und Fabiano dachte kurz an ein Bildchen seines Vaters, auf dem der Erzengel Michael mit seinem Schwert das Böse zurück in die Flammen peitschte. Plötzlich zerrissen mehrere Explosionen in der Ferne die Luft und donnerten über die Berghänge. Das Läuten der Glocke erstarb darin und als nur noch ein grummelndes Echo zwischen den Hängen lag, blieb sie still. Fabiano war bei diesem Schreck gefallen, doch war direkt wieder aufgestanden und weiter gelaufen, denn hinter dem nächsten Kamm lag sein Zuhause. Die kleinen Steine, die sich einen blutigen Weg durch seine Haut gesucht hatten, spürte er nicht.
Als er den Hof sah, stand schon jeder draußen. Alle hatten sich vor der Scheune versammelt. Doch als die junge Frau, die zu den Geflüchteten gehörte, Fabiano sah, ging sie schnellen Schrittes auf ihn zu. Er brach in Ihren Armen zusammen. Sie schaute ihn tief in die Augen und Fabiano hatte das Gefühl, dass all sein Schmerz, alles, was er gesehen und erlebt hatte, in Sie überging.
Die Frau nickte nur und schob Fabiano dann mit einer bestimmenden Handbewegung hinter sich. Er wunderte sich kurz, was das sollte, sah dann aber aus seiner neuen Position mehrere Uniformen über den Hügel kommen. Ihm war bewusst gewesen, dass er mit den Wildpfaden Zeit verlieren würde, hatte sich aber einen weitaus größeren Vorsprung ausgemalt. Er sah, wie die Frau zur Gänze aufstand und ihn in Richtung der anderen schubste. Sie selbst ging auf die Fremden zu. Fabiano wollte sie warnen, aber sie zischte nur in seine Richtung, was ihn zu den anderen Kindern schrecken ließ.
Die Frau blieb ein paar Meter vor den Soldaten stehen, hob beide Arme wie der Mensch nach Vitruv und schwieg. Die Deutschen schauten sich erst gegenseitig an, dann lachten sie und schrien etwas in Ihre Richtung.
„Nicht weiter!“, spie sie in einem gutturalen Ton aus, was weiteres Gelächter nach sich zog.
Einer der Soldaten nahm langsam sein Gewehr vom Rücken, legte an und schoss. Die Kugel traf die Brust der Frau und sie sank zu Boden. Als die Männer jedoch weiter in Richtung Hof gehen wollten, blieben sie erschrocken stehen. Die Frau erhob sich schwerfällig. Die Kugel hatte Ihre Kleidung zerfetzt, aber Blut war keines zu sehen. Fabiano merkte, wie die Luft flirrte, als würde ein Gewitter über die Berge ziehen. Die Frau stand nun wie zuvor, Ihre Haare bäumten sich gegen die Schwerkraft und schienen der Bewegung Ihrer Arme zu folgen.
Nun sagte sie etwas, dass Fabiano nicht verstand, aber die Deutschen schienen die Worte sofort zu erkennen. Alle Soldaten legten direkt an und Fabiano war sich nicht sicher, ob es Angst war, die in Ihren Gesichtern lag. Jeder von Ihnen drückte ab, keiner traf sein Ziel. Die Schüsse hallten über die Wiese, Gras spritzte empor, aber die junge Frau stand nur da, mit ihren blanken Händen. Sie machte einen Schritt auf die Angreifer zu, dann noch einen. Die Soldaten wichen zurück, schauten sich entgeistert an, dann waren Sie es, die rannten.
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Alt 26.03.2023, 15:32   #2
weiblich MuschelIch
 
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Hallo Erebos,

eine tiefgründige Erzählung mit einem faszinierenden Schluss.

Der Schluss geht in die Richtung von Sagen und Mythen, wie sie ja oft in den Bergen beheimatet sind.

Deine Sprache gefällt mir - sie ist klar und die gewählten Bilder gut.

Allerdings sind etliche Rechtschreibfehler vorhanden - zB. das Blaue des Himmels und einige wenige Ausdrucksfehler: Der Bruder kann zwei Winter älter sein, als Fabiano. Dass diese Winter hart oder harsch waren, irritiert an dieser Stelle.

Die Geschichte ist nun bei meinen Favoriten.

Liebe Grüße

MuschelIch
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Alt 26.03.2023, 16:51   #3
männlich Erebos
 
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Hallo MuschelIch,

ich danke dir für deine lieben Worte. In dem Text habe ich versucht ein Mysterium des Massakers von Marzabotto zu behandeln. Die deutsche Armee zog drei Tage lang über die Apenninen, ermordete Frauen und Kinder.. nur eine Gruppe wurde angetroffen und verschont. Niemand weiß weshalb.
Leider weiß ich, dass meine Texte nie ganz fehlerfrei sind, deswegen bin ich immer dankbar für jede Korrektur. Trotzdem bemühe ich mich natürlich um größtmögliche Lesbarkeit und hoffe, dass die Bilder und die Geschichte, auf der mein Fokus lag, funktioniert haben.
Ich habe mich gefreut, deine Perspektive auf den Schluss zu lesen.

LG,

Erebos
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Alt 27.03.2023, 19:35   #4
weiblich MuschelIch
 
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Hallo Erebos,

die Bilder und die Geschichte sind eingängig und intensiv -
und durch die - doch sehr wenigen - RS-fehler gar nicht beeinträchtigt.

Als ich "Massaker von Marzabotto" in die Suchmaschine eingegeben habe, kamen alleine unter Buchstabe Ma ... mindestens 9 Massaker. .....

Ich habe mich ein wenig geschämt, in Deiner Erzählung "nur" eine erdachte Geschichte vermutet zu haben. Der 2. WK hat so immens viele Auswüchse menschlichen Wahnsinns hervorgebracht.

Wie ich gelesen habe, ist das Gebiet in den Apenninen nicht wieder besiedelt worden. Wie auch - jeder Baum atmet das, was dort geschehen ist.

Danke für Dein Gedenken an das Hinmetzeln von hunderten von Menschen.

Liebe Grüße

MuschelIch

Geändert von MuschelIch (27.03.2023 um 21:44 Uhr)
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