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| Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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#1 |
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Ich glaubte, sie an mich zu binden,
doch was ich band, war sie ans Meer. Sie trank das Salz von tausenden Phiolen, der Sehnsucht leer, als wurde ihr befohlen, mit dem Wind zu gehen. Die Züge zogen auf den Getriebeschienen der Triolen als ein Echo langsam aus dem Heer. |
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#2 |
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Sehr stark! Vor allem die ersten zwei Zeilen und die unerwartete Wendung "sie ans Meer". Wow! Gefällt mir. Eines der besten.
LG Rudi |
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#3 |
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#4 |
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Hallo Dama,
das Gedicht ist beeindruckend konzentriert und vielschichtig. "Sie trank das Salz von tausenden Phiolen, der Sehnsucht leer" Sehr starkes Bild. Grüße Lizard |
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#5 |
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Jetzt habe ich erst verstanden, wie viel das Komma bedeutet in:
"Sie trank das Salz von tausenden Phiolen, der Sehnsucht leer" Es können die Phiolen der Sehnsucht sein oder auch, dass sie selbst leer der Sehnsucht ist. Ich meine, dass der Genitiv sowohl von "Phiolen", als auch von "leer" abhängen kann. Das eröffnet mir ganz neue Möglichkeiten die Interpunktion zur semantischen Differenzierung und Ambiguisierung zu nutzen. Danke! War dir diese mögliche Doppeldeutigkeit der Lesarten klar? |
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#6 | |
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Zitat:
Es freut mich sehr, dass du nun noch besser nachvollziehen kannst, welche Rolle das Komma für die semantische Wirkung in dieser Gedichtstelle spielt. Deine Überlegungen zum doppelten Genitivbezug treffen genau den Kern dessen, was durch diese kleine Interpunktion erreicht wird: eine bewusst erzeugte Mehrdeutigkeit. Tatsächlich können sowohl die Phiolen – als Gefäße der Sehnsucht (das Meer im Gefäß) – gemeint sein, als auch die Sprecherin, die „leer der Sehnsucht“ ist. Die Interpunktion dient hier als feine Linse, durch die sich mehrere Bedeutungsebenen entfalten. Was Kontext betrifft: (Beziehungsebene, Unnahbarkeit, Konflikte – das "Heer"): Einerseits besteht der Wunsch nach tiefer und dauerhafter Verbundenheit, der mit Bemühungen („doch was ich band“) einhergeht, andererseits bleiben diese Bemühungen ohne spürbare Wirkung („war sie ans Meer“). Hier zeigt sich, dass die angesprochene Person in ihrer Unabhängigkeit verharren und sich ihrem eigenen Leben hingeben möchte – das Meer fungiert hier als metaphorische Ebene von Weite, Freiheit und Ungebundenheit. Das Salz lässt mich zudem an die englische Umgangssprache denken, wo „salty“ für Bitterkeit, Toxicity, Schmerz oder negative Erfahrungen steht, die uns prägen und letztlich in die freiwillige unreflektierte oder unfreiwillige reflektierte Unabhängigkeit treiben. Der Wind wiederum symbolisiert das Unberechenbare, Unvorhersehbare, die Freiheit und permanente Veränderung. Die Situation steht unter Druck, denn offenbar bahnt sich eine Veränderung an – vielleicht eine Abkehr vom Meer oder eine neue Richtung. Die Züge auf den Schienen verweisen auf vorgezeichnete Bahnen, feste Muster, denen man nicht einfach entfliehen kann. Und das Heer im Gedicht könnte für Konflikthaftigkeit, innere oder äußere Kämpfe stehen, vielleicht sogar für einen „Beziehungskrieg“. Es ist schön, dass du dich so intensiv mit dem Text auseinandergesetzt hast und dich von der Interpunktion zu neuen Interpretationsmöglichkeiten inspirieren lässt. Genau solche Nuancen machen die lyrische Sprache so spannend und vielschichtig. Vielen Dank für deine aufmerksame Lektüre! Ich habe bald etwas mehr Zeit, dann schaue ich bei dir rein und nehme mir etwas mehr Zeit für einen profunden Kommentar. Liebste Grüße dama |
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#7 |
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Hi dama,
vielen Dank für deine ausführliche Antwort! Ich freue mich diese kleine aber entscheidend sinntragende Einheit deines Textes erkannt zu haben. Ich glaube, man muss dazu sagen, dass diese Doppeldeutigkeit auch deshalb funktioniert, weil das Komma durch den Zeilenübergang gestützt wird. Das heißt, allein am Komma liegt es vielleicht nicht 100%. Die Methode, zusammengehörige Einheiten so zu trennen finde ich wirklich interessant und habe ich so auch noch nicht gesehen. Zu deiner Interpretation: Ich finde es zulässig aber auch immer etwas schwierig, wenn der Autor sein Werk erklärt, weil ja doch der Leser entscheidet, wie er was interpretieren möchte. Einen alleinigen Interpretationsanspruch seitens des Autors gibt es m.E. nicht. Deshalb dazu noch eine Nachfrage: Hast du dir alle diese Elemente vor Schreiben des Gedichtes überlegt und dann umgesetzt oder hast du das selbst im Nachhinein an dem Text erkannt? Wenn ich schreibe, dann setze ich mich nämlich meist hin und schreibe aus "leerem Kopf" das auf, was gerade kommt und versuche dabei "nicht viel zu denken". Und ja! bitte setze dich mit meinen Gedichten auseinandern, vor allem die Liebesgedichte verstauben unkommentiert.... Da kannst du dich gerne austoben. Vielleicht findest du ja etwas, das dich anspricht.Liebe Grüße und bis bald! Rudi |
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#8 | |
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Forumsleitung
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Zitat:
ich will mich dem Lob der Kommentatoren gerne anschließen: Deine lyrische Miniatur liest sich sehr schön und lässt die Emotionen des Lyrischen Ich spüren, ohne dass es sich dazu versteigt, das Wesen des Lyrische Es, von dem es berichtet, zu werten oder in Jammer zu verfallen. Somit ist das Gedicht beispielhaft dafür, wie man den Schmerz eines Verlustes und die Trauer um das Loslassenmüssen auf eine geradezu sanfte Art unter einen Hut bringen kann, anstatt in Bitterkeit oder Wehleidigkeit zu verfallen. Eigentlich wäre es nicht nötig gewesen, die Metaphern zu erklären, denn ihre Emotionalität wird reibungslos transportiert und geht unter die Haut. Besondes reizvoll ist das Spiel mit dem Paradox der "Bindung an das Meer", die in Wahrheit eine Loslösung bzw. das Streben nach Freiheit ist. Solche Paradoxe gehen oft daneben, aber hier funktioniert diese Stilfigur. Über die Wichtigkeit einer mit Überlegung gesetzten Interpunktion, hier speziell des Kommas, wurde bereits ausführlich räsoniert. Trotzdem will ich nochmal darauf eingehen, denn nicht jeder Poetrianer teilt diese Meinung. Es stimmt jedoch, dass das Setzen eines Kommas den Sinn eines Satzes verschieden interpretierbar machen kann. Der Klassiker, den Deutschlehrer gerne bringen, geht so: "Er schreibt und er schreibt" vs.: "Er schreibt, und er schreibt." Im ersten Fall ist die Aussage, dass es sich um nur eine Person handelt, die unentwegt schreibt. Im zweiten Fall bedeutet der Satz, dass von zwei Personen die Rede ist, die jede für sich gerade etwas schreibt. Ich kenne noch mehr Texte, die absolut wortgleich sind, aber durch veränderte Kommasetzung eine völlig andere Bedeutung bekommen. Wenn wir schon beim Komma sind: Brauchen die letzten beiden Verse ein Komma? Ich denke: Wenn es um einen Vergleich geht - und so fasse ich diese Verse auf - sollte kein Komma stehen. Steht nämlich vor "als" ein Komma, läutet dies einen Nebensatz ein, das Bindewörtchen bekommt also eine ganz andere Funktion. Und da fragt sich der Leser: "Als ein Echo langsam aus dem Heer ... ja was denn? Warum hört der Nebensatz plötzlich auf? Was tut das Echo, wo ist das Verb?" Also dieses Komma besser streichen? Der Autor hat das letzte Wort. LG Ilka |
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#9 |
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Hallo Rudi, liebe Ilka,
das Komma vor "als" darf gern weg. Ich stimme Dir zu! Normalerweise erkläre ich meine Werke nicht. Rudi aber ist, wie mir bereits mehrfach auffiel, sehr interessiert, weswegen ich am Faden etwas gezogen habe, um das Unterkleid marginal zu offenbaren. Etwas Aufdrößelung schadet manchmal nicht. Vielen Dank für die Gedanken und die sehr konstruktive Kritik, die ich sehr gern annehme und Dich mit der Umsetzung beauftrage, insofern noch möglich. Und jetzt wartet schon der nächste Termin. Bald aber habe ich frei! Liebe Grüße dama |
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#10 | ||
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Forumsleitung
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Zitat:
Ich habe nur meinen Senf dazugegeben. Und darin steht nicht, dass du deine Gedichte nicht erklären solltest. Ich schrieb lediglich, dass es auch ohne Erklärung beim Leser ankommt. Zumindest bei mir. Für alle kann ich natürlich nicht sprechen. Das Komma nehme ich raus. Okay? Zitat:
LG Ilka |
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#12 | |
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Zitat:
Thematisch war es von Sekunde eins klar, nur die Umsetzung nicht. Dir einen schönen Abend! |
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