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19.06.2015, 00:46 | #1 |
Was ich essen darf
A: Wieso bist du eigentlich Vegetarier?
B: Ich bin kein Vegetarier. A: Nicht? B: Nein. . . . . A: Kam mir immer so vor. B: Nein. Ich esse nicht alles, aber Fleischverzehr lehne ich nicht grundsätzlich ab. A: Was isst du denn nicht? B: Ich habe mich lange mit dieser Frage beschäftigt und bin zu dem Schluss gekommen, dass es drei ethisch relevante Kategorien gibt, in die ich alle Tiere einteilen muss: Es gibt zum einen Tiere, die die Welt nicht bewusst erleben, wie vermutlich Insekten und Spinnen. Diese können möglicherweise Schmerzreize wahrnehmen, aber was den Schmerz schlimm macht, ist nicht der Reiz, sondern das bewusste Erleben des Reizes, was wir Leid nennen. Solche Tiere können also kein Leid empfinden, Schmerz ist wohl nur so etwas wie eine Fehlermeldung im System: "Achtung! Kritischer Fehler im mittleren Körpersegment." Solche Tiere habe ich mir selbst erlaubt zu essen. Auch dürfte ich sie zertrampeln oder quälen (ohne Leid ist es ja kein wirkliches Quälen). Aber ich verzichte darauf. A: Wie großzügig von dir! B: Außerdem gibt es solche Tiere, die die Welt bewusst erleben, aber keine Selbstidentität haben. Die meisten Säugetiere dürften dazu zählen, aber irgendwo zwischen Spinne und Hund wird die Einteilung schwammig; das ist im Moment noch mein Problem. Jedenfalls denke ich, dass diese Tiere Leid erfahren können, aber da sie keinen "Ich"-Begriff haben, keine Vorstellung davon, dass sie existieren, ist es ihnen wohl auch egal, ob sie lebendig oder tot sind. Daher gehe ich davon aus, dass ich nichts Verwerfliches tue, wenn ich sie esse, aber wenn dadurch den Tieren Leid zugefügt wird, widerspricht das meinen Moralvorstellungen. Solche Tiere darf ich also nur essen, wenn sie betäubt geschlachtet oder schmerzlos getötet wurden und sie ein artgerechtes Leben führen konnten. Wild und Bio - das würde ich essen. Aber dazu fehlt mir das Geld. Daher wohl der Eindruck, ich sei Vegetarier. Es fehlt mir auch nicht wirklich. A: Ich bin mir ja nicht sicher, ob du die Sache richtig angegangen bist... B: Ich bin ja noch nicht fertig. Die dritte Kategorie umfasst Tiere, die darüber hinaus auch eine Selbstidentität haben, die also wissen, dass sie sind und mehr oder weniger wer sie sind. Da fallen mir v.a. Menschen und die anderen Menschenaffen ein, aber auch Delfine. Diese Tiere sind sich ihrer Existenz bewusst und ihnen darf nicht die Wahl zwischen Leben und Tod genommen werden (es sei denn durch natürliche Prozesse, versteht sich). Ich darf mir nicht anmaßen, einen anderen Menschen zu töten, ob aus Hunger oder einem anderen Grund. A: Irgendwie missfällt mir der Gedanke, da zwischen den niederen und den höher entwickelten Tieren zu unterscheiden. Das wirkt auf mich sehr herablassend. B: Ganz und gar nicht. Die Unterscheidung mache ich auch nicht zwischen so genannten niederen und höher entwickelten Tieren, sondern zwischen verschiedenen Bewusstseinsformen. Das ist für mich ethisch relevant. Stell dir z.B. eine hoch entwickelte außerirdische Spezies vor, die in einem Raumschiff tausende Jahre lang durch den gesamten Weltraum fliegt und schließlich auf der Erde landet. A: Warum sollten die das tun? B: Um die Erde zu kolonisieren. A: Ich verstehe. Und wie sehen sie aus? B: Bitte? A: Wie sie aussehen? B: Was spielt denn das für eine Rolle? A: Du erzählst doch eine Geschichte. Da muss ich doch wissen, wie sie aussehen, damit die Geschichte lebendig wird. B: Ich formuliere doch nur ein Beispiel. A: Aber ohne konkrete Alien-Viehcher ist das Beispiel unplausibel. B: Na gut, na gut. Ich schätze, sie haben eine ringförmig gekrümmte Wirbelsäule, um sich in der zylinderförmigen Zentrifuge, die dieses Raumschiff darstellt, rollend fortzubewegen. Daher werden ihre Augen wohl zur Seite stehen, der Mund, oder sagen wir lieber, die Stoffwechselscheide würde in das Innere des Wirbelrings zeigen und dort, wo bei uns der Rücken wäre, hängen etwa 20 bis 30 nachwachsende Tentakel heraus. A: Welche Farbe haben die Aliens? B: Natürlich grün. A: OK. B: Jedenfalls erfordert der möglichst effektive Umgang mit den knappen Ressourcen an Bord, dass sie keinen eigenen Willen und keine Selbstidentität haben. Diese Alien-Viehcher müssen in der Lage sein, ihre Bedürfnisse zum Wohl der Allgemeinheit absolut zurückzustecken. Sie würden sich auf Kommando fortpflanzen, wenn die Population zu klein würde und wären bedenkenlos selbst zu einem Freitod bereit, wenn die Population zu groß würde. Aufgrund diverser Genmanipulationen würden sie sich ausschließlich mit dem Kollektiv identifizieren. Und diese Aliens kommen dann zu uns auf die Erde, um uns zu töten und unsere zivilisatorischen Möglichkeiten zu nutzen. A: Und was ist jetzt mit diesen seelenlosen, rollenden grünen Tintenfisch-Genozid-Aliens? B: Die dürfte ich essen. |
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19.06.2015, 13:07 | #2 |
R.I.P.
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Lieber Schmuddelkind -
Klasse 1 A!
Dafür, daß Du Dich so rar machst, bringst Du es geballt. Die Widersprüche machen das doppelt doll. Kompliment v. Thing |
12.08.2015, 10:18 | #3 | |
Vielen Dank für das Kompliment, Thing.
Tut mir leid, dass meine Antwort etwas spät kommt! Hatte (habe noch immer) viel um die Ohren - sehe gerade: du bist ja gar nicht mehr da! Na ja, vielleicht liest du das ja noch... Zitat:
LG und alles Gute! |
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Stichworte |
außerirdische, vegetarismus, verkopft |
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