|
|
Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
|
Themen-Optionen | Thema durchsuchen |
12.11.2016, 15:32 | #1 |
Wessis in Halle und Schmalkalden
In Calbe wir hier sind,
wo ich gelebt als Kind und die breite Saale fließt im weiten Tale; sie mir nun viel größer schien, auch schöner unser Haus als einst, da wir nicht wußten ein noch aus. Im großen Dom so gern der Vater ließ erklingen Musik zu Ehren des Herrn. Doch Freiheit schien ihm gar zu fern, weil seiner Stimme Kreuz man wollt' erzwingen; lieber diente er dem Herrn, unter dessem Kreuz uns sollte wohl gelingen, zu verlassen diesen roten Stern. Dass niemand habe die Absicht, zu bauen eine große Mauer, glaubten wir ihm nicht, wurd's im Land doch immer grauer. Mit Sack und Pack und Kind und Kegel hofften wir, dass über Tegel der Wachmann in Berlin sehe so genau nicht hin. Im Westen es gut angetroffen; die Freud war groß als wieder alles offen. Wollten nach der großen Wende wieder auf vertrautem Gelände und an der Kindheit Wände stehn, in manch bekanntes Auge sehn. Im schönen Meiningen, wo die Mutter ward' geboren, erklang in des Theaters neuem Glanz Tannhäuser, mit seltsam verstörendem Tanz. Die seinen Bildern entschwebende Kraft des geraden Strahls schien neu zu bemessen die Größe des Saals der Moritzburg, wo federleicht und betörend schön uns umwehte des Perspektivismus gleichmäßiger Zauber aus Feiningers vierfachem Original, davor ich stand wie vor'm heil'gen Gral. Wo einst im Schmalkaldischem Kriege man feierte die Siege, fanden auf dem Marktplatz wir städtebaulichen Schatz. Und welche Siege feiern wir heute? fragten sich hier auf ihre Weise mit Volker und Christine vier Wessileute auf ihrer östlich kulturellen Reise. Den des Kapital- über den Sozialismus? Den beider über den Faschismus? Ach könnt' ich ihn noch einmal fragen, den klugen Mann, er tät's mir sagen wie damals in der Oberstuf', als zum pädagogischen Behuf' der höheren Einsicht er ins Milchbartgsicht mir ohne Fatalismus sagte: „Klappt denn bei uns nicht jeder Ismus?“ Schlug mich so in seinen Bann dieser promovierte Mann, weil aufklärend er fragen konnte, doch sich darin nicht eitel sonnte. „Gehn Sie niemandem auf den Leim,“ der Lehrer für Geschichte weiter: „fragen Sie offen oder insgeheim: 'Wem nützt denn das?' und bleiben Sie schön heiter.“ Er lächelte noch etwas breiter, sein Beruf ihm machte Spaß. |
|
14.11.2016, 03:24 | #2 |
Habe die von mir verachteten Inversionen überlesen, sonst hätte ich deiner Reise nicht folgen können.
An Calbe gedacht, an die Paddelei von der Unstrut bis zur Oberbaumbrücke. An den ewigen Feiniger, dessen Bilder niemand vergisst, der sie sah. An Schmalkalden, dass ich nur als Bohrmaschine kannte. An den Sieg des Kapitalismus über den Staatskapitalismus. An die Proletarier - die für Geld Arbeitenden. An den dummen ungeforderten Ulbrichtsatz; noch dümmer wäre nur gewesen: "Wir haben die Absicht eine Mauer zu errichten". An den Tag, an dem ich auch endlich auf diese Frage kam: Wem nützt das? Danke, talking haed, für die Erinnerungen! |
|
14.11.2016, 03:40 | #3 |
Nachtrag zu deinem klugen Geschichtslehrer:
Der mindestens ebenso kluge Günter Gaus auf eine der seltenen an ihn gerichteten Fragen, über Sinn und Wirkung seines Tuns & Denkens: (Sinngemäß meiner Erinnerung nach) Ich darf mir selbst nicht auf den Leim gehen, über den Erfolg* meines Tuns & Denkens keine Gedanken machen, weil sonst Tun & Denken zu eingeschränkt wären. *) Nicht gemeint ist die Sinnhaftigkeit. Erfolgreich oder vernünftig zu sein - das ist zu trennen. Mithin geht, wer nur das Machbare für das Vernünftige hält, gespannter zur Wahlurne. Gute Nacht & Ende |
|
14.11.2016, 12:57 | #4 |
na, da hste mir ja anständig was zum nachdenken gegeben, zB deinen unauffälligen aber wirksamen hinweis auf staatskapitalismus.
und dann der "ewige feininger", wunderbar. und grass, nicht einem selbst auf den leim zu gehen (nicht von sich selbst geblendet sein?) kriegt man inversionen (wenn ich bloß wüßte, was das ist) mit deinem bohrhammer weg? freut mich, deine reise unterstützt zu haben. saale/unstrut: stimmt das, da gibt's wein? bei uns in westfalen, ff, steht ff respektabel für frisches veltins. Also prost! und einen schönen tag; Dank für deine anregungen! LG th |
|
14.11.2016, 23:02 | #5 |
Wessis in Halle und Schmalkalden
Hallo ihr zwei,
wenn ich nicht zwei Jahre in Halle gelebt (Franckesche Stiftungen) und in einem Chor sogar Händels "Seid froh: Der Freiheit heller Schein" gesungen hätte, wahrscheinlich hätte ich mich nicht getraut, mich dazu zu melden. Aber selbst eine Weinverkostung an der Unstrut habe ich vor ein paar (drei oder vier) Jahren mitmachen dürfen und die Weinkönigin der Region hatten wir zu einem speziellen Treffen auch geladen. Das Sonnenobservatorium von Goseck und Nebra gehörten zu der privaten Veranstaltung auch dazu. Übrigens: wahrscheinlich handelt es sich um Günter Gaus: 2001 trat er aus der SPD aus wegen der Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder zur „uneingeschränkten Solidarität“ mit der US-Regierung. Der Mann hatte noch Charakter. Deine Zeilen, talking head, haften. Auch bei denen, die immer hier geblieben sind, wie ich (oder vielleicht auch Dabschi). Auch, wenn die Örtlichkeiten nicht stets die gleichen sind. Können sie ja nicht. So klein war die DDR auch wieder nicht. Viele Grüße Lewin. |
|
14.11.2016, 23:36 | #6 |
Danke, Lewin, muss ich also nicht vom verwirrten/verwirrenden Grass zum klaren Gaus hinführen.
Aber im letzten Absatz wird dein Kommentar weich. "Hiergeblieben" konnotiert immer "Zurückgeblieben" und suggeriert eine Gemeinsamkeit, die es nur im Personalausweis gibt. Mithin gehörte jede sesshafte Venloer Braut zu den "Hiergebliebenen". Ja, die Observartorien - Totes Holz im Kreise der Touristen. Ansonsten: Tumbe, xenophobische "Reckjon", trotz der Weinberge überschaubar. Ach, so: Mein Sprachfimmel: Hallo, Ihr beide,... Oder geht mit Zahlwort auch: Hallo, Du eins,... heute nicht mehrheitstauglich - fx |
|
15.11.2016, 00:52 | #7 |
sack und asche, gleich zwei verwirrrungen bei mir; habe einfach bei "Günter" nicht gelesen, sondern fortgesetzt, was bekannter klingt, war ich doch kürzlich erst in einer ausstellung. lesen müsste man können.
und dann ff; dein kürzel ist doch fx! aber dafür gibt's selbst in westfalen keine biersorte! ganz lieben dank euch! hatten damals 2 nächte in Halle und Umgebung; übernachtung in Halle-Neustadt im best-western mit erstkassiger anbindung ans zentrum. freunde warnten uns: "nach neustadt, in die größte platte der DDR, da macht ihr urlaub?" und siehe da: platte super in schuss, gute infrastruktur, hotel klasse So klein war die DDR auch wieder nicht. Zitat Lewin stimmt, aber hallo! hab' mir grad mal deinen händel 'reingetan, sooo schön! Liebe Grüße an euch, th |
|
15.11.2016, 01:01 | #8 |
wo wille ist, gibt es keine missverständnisse.
ff |
|
15.11.2016, 02:44 | #9 |
Zu den Inversionen, talking haed.
"In Calbe wir hier sind, wo ich gelebt als Kind" Ich vermute, dass die Benutzung der rethorischen Figur der Inversion einem Missverständniss aufsitzt. Das also - wissentlich oder unwissentlich - der Umbau des gewöhnlichen Satzbaues nimmermehr der Hebung eines Gedankens dient, vielmehr oder ausschließlich der Fertigstellung eines Reimes. Ich vermute, dass der künstlerische Klang der Inversion, dem halbgeübten Ohr suggeriert: Lyrik, Kunst, Besonderheit. Nach meinem Ermessen liegt das Besondere, die Kunst der Lyrik aber im Gegenteil; sie liegt im einfachen, geraden Satz und Gedanken. Dass dieser Gedanke verschlüsselt sein kann, widerspricht seiner Geradheit nicht. Der "Trick" einen Reim gebunden hinzubekommen, liegt im sogenannten Zeilensprung, dem Enjambement. Versuche einen Gedanken nicht am Zeilenende enden zu lassen, sondern ihn weiterzutragen, bestenfalls durch den ganzen Text, bestenfalls besteht der Text (als Übung!) aus einem einzigen Satz. Den Text zu singen, hilft, wenn man nicht schummelt mit z.B. " wir si-hi-ind..." Zudem gebiert der durchgeführte Gedanke, Gedanken und Verse, die sonst nie ans Licht kämen. Im gegebenen Falle, talking head, könnte es also so gehen: Als ich nicht wusste ein noch aus als Calbes Kind im Saalehaus und dieser Fluss mich zog und bog und Vater Kreuz und Freiheit wog, als ich wir nicht wussten aus noch ein und wird der Herr im Hause sein, wenn wir den Dom verlassen und uns am Kreuze fassen, da schien ein Stern nicht rot - nur klar durch alles, was noch Mauer war... Na, ja - vielleicht etwas fett. Und ein richtiger Zeilensprung, in dem ein (Halb)Satz erst in der Folgezeile endet, ist mir auch nicht gelungen. Ist halt Arbeit. Aber, es sind normale Sätze, so dass man sich auf deren Inhalt konzentrieren kann. O! Larkinsche Länge erreicht. Jetzt aber Schluss! |
|
16.11.2016, 17:02 | #10 | |
Zitat:
Die Benutzung kann nirgendwo aufsitzen, nur die Benutzer können einer Sache aufsitzen. Gut das Ilka-Maria schläft. |
||
17.11.2016, 10:32 | #11 | |
Zitat:
"Als ich nicht wusste ein noch aus als Calbes Kind im Saalehaus und dieser Fluss mich zog und bog und Vater Kreuz und Freiheit wog, als ich wir nicht wussten aus noch ein und wird der Herr im Hause sein, wenn wir den Dom verlassen und uns am Kreuze fassen, da schien ein Stern nicht rot - nur klar durch alles, was noch Mauer war..." Zitat fx Dein Sprachgefühl hat's in sich! Hier fließt's wie die Saale und hat Feiningers Strahlkraft des gleichen Maßes. An dem Feininger-absatz frickel ich noch immer 'rum - Hilfe von fx in Sicht? (oder von ff - frisches du weißt schon - oder lieber fh fr. Hallsch) Sprachfimmel: hilfreich! Gib ihm Futter! Wille bei Mißsverständnissen: wohltuend! Drücke gerade den Knopf "Gefällt mir", unter "guter Gedankenaustausch". Hab gerne mitgelesen. Zitat Jonny Freude und Dank! oh, Frau mit Brötchen im Anmarsch...der tag kann kommen! Liebe Grüße, talking head |
||
Lesezeichen für Wessis in Halle und Schmalkalden |
|
Ähnliche Themen | ||||
Thema | Autor | Forum | Antworten | Letzter Beitrag |
"Talstrasse" - Halle | stephanius | Gefühlte Momente und Emotionen | 0 | 24.08.2016 22:56 |