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Alt 05.01.2025, 14:11   #1
männlich Der Elend
 
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Standard Halja - Teil 1 - Prolog

Sie hatte sich ihre Sporen redlich verdient. Ihr Spiegelbild erzählte ihre Lebensgeschichte. Jede kleine Narbe und Schramme war ein Andenken an ein prägendes Ereignis. Merena Maja betrachtete ihr Gesicht und las aus diesem den langen, steinigen Weg ab, der sie hierhergebracht hatte. Schon als kleines Mädchen träumte sie davon, einen Beitrag für das Paradies zu leisten, das sie in Glück und Reichtum gedeihen ließ, das sie sowohl förderte als auch forderte und half, die beste Version ihrer selbst zu werden. Pyzny war ihre Heimat, für die sie alles erforderliche unternehmen würde. Lächelnd und nicht frei von Stolz musterte sie die rote Schramme auf ihrer Stirn. Sie hatte sich diese vor einigen Jahren zugezogen, als sie half, die obsolete Religion der Puterik in ihre Schranken zu weisen. Nur die seitdem im Reich verbreitenden Lehren der Maja besaßen noch Geltung. Auch dank Merenas Hilfe würde das so bleiben. Sie betrachtete die längliche, dünne Narbe, die sich von ihrer Stirn über ihr strahlend blaues Auge bis zum linken Mundwinkel hinunterschlängelte. Bei einem Kampf mit einem Heimatlosen Reisenden wurde sie von dessen Klinge gestreift, die ihr diese Erinnerung bescheren sollte. Die Narbe entstellte ihr helles, lebendiges Gesicht nicht und erfüllte Merena mit dem Wissen, die Fäulnis innerhalb des Reiches beschnitten zu haben. Eine dunkle Tätowierung am linken Ohr sprach von der Wertschätzung, die ihr Volk dafür zum Ausdruck brachte. Die Herrscherin Maja selbst hatte ihr diese Ehre zuteilwerden lassen. Es war der größte Augenblick ihres Lebens gewesen – gemeinsam mit dem Moment, als eine hohe Daondare, die Kriegsfürstin Fiadora Modowka, ihr Interesse für die aufstrebende Soldatin gezeigt hatte. Merena hätte es sich nie träumen lassen, eines Tages mit der Frau in einem Bett wach zu werden, die sie schon verehrte und bewunderte, seit sie als gewöhnliche Rekrutin in den Dienst der Maja getreten war. Nun kämpften sie füreinander und liebten einander. Merena strich ihr helles Haar ein wenig zurück und begutachtete zufrieden den blauen Bluterguss, der sich dunkel von ihrer Kopfhaut abzeichnete. Er war ihr jüngster Verdienst, als sie dabei half, den größten Feind der Maja tiefer in sein Reich zu drängen, sodass Pyzny weitere Gebiete für sich nutzen und beanspruchen konnte. Die junge Soldatin tat alles, um ihr Paradies zu vergrößern und jene zurückzuschlagen, die es gefährdeten. Gemeinsam mit dem Bündnis aus vier weiteren großen und einflussreichen Zivilisationen war das Reich der Maja zu einem von ungeahnter Größe und Reichtum herangewachsen. Merena leistete einen unschätzbaren Beitrag für das Gedeihen ihrer Heimat. Dies blieb nicht unbemerkt und würde zeitnah eine noch größere Wertschätzung erfahren.
Mit einem Becher Wasser in der Hand blickte sie hinter sich und sah zu ihrer geliebten Daondare, die noch immer selig schlummerte. Das Bett war unordentlich, warm und einladend, die Wände dunkel. Der gesamte Raum wirkte gemütlich und trostspendend. Von Rührung ergriffen, ließ Merena den Blick auf Fiadora ruhen. Sie war ebenfalls von einigen Narben gezeichnet, die ihre Geschichte erzählten. Fiadora Modowka war die berühmteste und gefährlichste der elf Daondare. Beide Frauen konnten gemeinsam Großes für ihre Zivilisation vollbringen. Ihre Blessuren zeichneten sie aus, adelten sie im Vergleich zu den meisten anderen Maja. Merena sah wieder in den Spiegel und betrachtete sich selbst mit einem Lächeln. Es würde nicht lange dauern, bis die Maja das größte Volk des Bündnisses sein sollten. Wohlhabender als die gewinnorientierte Allianz, einflussreicher als die mächtigen Khaarn, ehrwürdiger als das uralte Königreich und fortschrittlicher als die kleine, aber bereits nicht mehr wegzudenkende Orbitan. Sie würden das feindliche Reich der Stühnen, in das sie so tief vorgedrungen waren und Stück für Stück weiter eroberten, bald Richtung Heimat verlassen. Merena würde in der Hauptstadt für ihre Leistungen ausgezeichnet werden, Modowka von ihren heldenhaften Taten berichten. Noch einmal sah die Soldatin zu ihrer schlafenden Angebeteten. Merenas Leben sollte alles bereithalten, was sie sich für dieses wünschte und immer gewünscht hatte. Ein letztes Mal betrachtete sie ihr Gesicht. Sie war glücklich und voller Stolz.
Ihr Atmen bis zum Schnarchen steigernd, erwachte Modowka schließlich von selbst und sah verschlafen zu ihrer Gefährtin, die sie in der letzten Zeit so liebgewonnen hatte. Sie beide fühlten, dass da noch mehr war und mehr sein sollte. Zu Merenas Freude wusste sie, dass die Daondare darüber ebenso glücklich war, wie sie selbst.
„Ich habe viel zu lange geschlafen“, sagte sie mit einer Mischung aus heiterer Gemütsruhe und zaghaftem Bedauern. „Ich will nur ungern aufstehen, aber ich muss. Wir können uns das noch nicht erlauben. Ich kann mir das nicht erlauben.“
„Meinst du, dass sie wiederkommen?“
Merena setzte sich auf das Bett. Modowka streichelte sanft ihr blondes Haar und gab ihr einen Kuss. So verschlafen wirkte sie nicht so gefährlich, wie sie es als einer der höchsten Kriegsfürsten der Maja letztlich war. Eher verletzlich und unschuldig. Merena wurde sich in Momenten wie diesen besonders gewahr, wie sehr sie sie bereits liebte. Der Blick der Daondare verriet, dass sie sich bei ihr geborgen fühlte.
„Wir sind zu nah an ihrem Reich. Sie werden es sich nicht gefallen lassen, dass wir noch tiefer eingedrungen und nicht wieder verschwunden sind. Ebenso werden sie wissen, dass wir mehr wollen. Ich darf mich nicht auf diesem Sieg ausruhen.“
„Natürlich.“
Merena fuhr mit den Fingerspitzen durch Modowkas dunkles Haar, das ihr in Strähnen ins Gesicht fiel. Alles hätte sie dafür gegeben, um noch mehr Zeit in Ruhe mit ihr zu verbringen. Sie wusste, dass es bedeutete, nun auf sie zu verzichten. Doch wollte sie genau das nicht.
„Ich will wirklich nicht aufstehen“, klagte die Daondare, sich die Augen reibend.
„Haben wir noch einen kleinen Moment?“
Merena sah sie erwartungsvoll an, was Modowka lächelnd erwiderte. Sie verkrochen sich ein letztes Mal unter der schweren, warmen Decke und liebten sich.

„Ich habe geholfen, mehr als zwanzig Maja in diese Welten zu setzen“, sprach die Daondare, auf dem Rücken liegend und an die Decke starrend. „Es sind alles gesunde
und gut behütete Kinder, von ihrem Volk erzogen. Manche sind bei ihren Vätern oder Müttern geblieben, andere nicht. Ich sehe jedes meiner Kinder, trotz meiner Stellung. Doch mit dir, Merena, will ich es anders“, sie richtete sich auf. „Mit dir kann ich es mir vorstellen, einen oder am liebsten gleich viele Erben großzuziehen. Stell dir das vor, du und ich und viele kleine Mädchen, die uns umgeben. Jeder Tag mit ihnen wird sich wie der kostbarste unseres gesamten Lebens anfühlen.“
Merena drehte sich zu der Daondare um, nachdem diese Worte gesprochen wurden, während sie sich vor dem Spiegel ankleidete. Sie hatte ihr Glück nicht nur gefunden, sondern wusste es auch zu wahren. Leichten Schrittes lief sie zu Modowka.
„Ich hätte auch gern einen kleinen Knaben, der seine Schwestern behütet.“
„Meinst du, dass sie jemanden dafür brauchen werden?“
„Nicht, wenn sie nach ihren Müttern kommen. Aber du
weißt doch, Pyzny ist nicht die ganze Welt. Du wirst mir selbstverständlich helfen, den Vater auszusuchen. Wir sollten ihm eine besondere Nacht gewähren.“
Kindlich spielte Merena mit dem Kragen ihrer Geliebten.
„Sobald wir in die Hauptstadt zurückkehren, will ich, dass du meine Maja wirst. Ich will mit dir dieses Leben bestreiten.“
„Nichts lieber als das“, erwiderte Merena, mit einer kleinen Freudenträne im Gesicht, die die Daondare ihr zärtlich mit dem Daumen von der Wange strich. „Nichts in den Reichen, was mich glücklicher machen könnte.“
Sie tauschten einige verliebte Blicke, küssten sich noch einmal, kleideten sich an und begaben sich, durch die warmen und gut ausgeleuchteten Gänge, zur Brücke des Schiffes. Dort angekommen, wurden sie sogleich erwartet. Einer der Offiziere der Maja Modowka, Marowic Talarcyk, salutierte vor seiner Daondare und machte Meldung.
„Wir haben Nachricht von der Orbitan. Offenbar befindet sich eines ihrer Schiffe in der Nähe. Sie bitten, an Bord gelassen zu werden.“
„Die Orbitan? Interessant. Das könnte hilfreich sein. Haben sie gesagt, was sie wollen?“
„Sie wollen offenbar mit uns besprechen, wie wir dieses Gebiet am besten halten können. Es handelt sich nur um ein einziges Landungsschiff, das zu uns ausfliegen will.“
Modowka ging, vorbei an den zahlreichen summenden
Bedienpulten, an denen verschiedene Maja wichtigen Aufgaben nachgingen, zu der großen Fensterfront und sah hinaus in die unendliche Dunkelheit, die nur von einem
einzigen wertvollen roten Planeten erfüllt wurde. Dieser wurde zum Teil verdeckt durch ein mächtiges Schiff, riesig in seinen Ausmaßen, lang und rundlich zulaufend an der Frontseite, in der Mitte von einem Flottenberg gekrönt und von mächtigen Schubdüsen an der Rückseite angetrieben, die hellblau leuchteten. Das Schiff glänzte in unheilvollem Schwarz. Die Daondare kannte dieses Modell der Orbitan: ein Träger, das in allen Reichen bekannte Meisterstück jener Zivilisation, deren Mitglieder es erbaut hatten. Es handelte sich nicht um irgendeinen davon.
„Das ist die Nespithe …“, merkte sie beeindruckt und ein wenig beunruhigt an. „Ich bin erstaunt, dass überhaupt Morphine hier draußen sind. Und dann Lord Zala selbst?“
„Ob das ein gutes Zeichen ist?“
„Nun“, brummte die Daondare. „Da es sich um unsere Verbündeten handelt, gehe ich mal davon aus. Ich habe nichts dagegen, an Lord Zalas Seite zu agieren. Dann ist uns der Sieg über diese Weiten definitiv gewiss.“
Sie sah zu dem Offizier und gab die Anweisung, das Landungsschiff an Bord zu lassen. Eine Eskorte sollte den unerwarteten Besuch zu ihr auf die Brücke geleiten. Zu ihrer Überraschung war es nicht Lord Zala selbst, der wenige Minuten später vor ihr stand, sondern seine berüchtigte und nicht weniger gefürchtete Adjutantin Phini; eine Morphine, wie üblich einem gewöhnlichen Maja sehr ähnlich, mit kräftigem, langem schwarzem Haar und den nahezu überall im Bündnis berühmten, stechend weißen Augen, die bei ihr groß und markant ausfielen. Sie war in schlichte schwarze Funktionskleidung gehüllt, die ihre Figur betonte. Auf ihrem Rücken trug sie ein langes Präzisionsgewehr, mit dem sie besser als jeder andere umzugehen wusste, das war weithin bekannt. Modowka hörte, wie einige ihrer Crewmitglieder leise über ihren Gast tuschelten.
„Hilfe, die ist süß.“
„Frag sie doch mal, ob sie mit dir ausgeht.“
„Du Witzbold.“
Die Daondare gebot Ruhe und begrüßte die Adjutantin förmlich. Merena konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass etwas nicht stimmte. Besorgt sah sie zu der Morphine, dann zu Modowka und schließlich wieder zu ihr.
„Ich danke Ihnen für Ihr herzliches Willkommen“, sprach Adjutantin Phini mit ihrer sanften, aber bestimmten Stimme. „Wie ich sehe, haben Sie eine weitere Sonne samt dazugehöriger Kolonien im Reich des Feindes erschlossen. Meinen Glückwunsch. Doch werdet ihr damit nur noch mehr seines Unmuts auf euch ziehen.“
„Gedenkt ihr denn, euch endlich am Krieg mit ihnen zu
beteiligen? Oder sind Sie nur hier, um die angebliche Neutralität der Orbitan nicht zu riskieren, während Sie weiter mit uns arbeiten?“
„Wir gedenken unter Umständen zu helfen, damit ihr das halten könnt, was erobert wurde und wird. Einen Kriegseintritt werden wir jedoch weiterhin nicht riskieren. Wir sind als Zivilisation dafür noch zu klein“, sie trat ganz nah an die Daondare heran, wodurch diese Phinis Duft nach Lavendel und Zimt wahrnehmen konnte und ihre winzige Narbe am rechten Mundwinkel bemerkte. „Unsere Verluste wiegen schwerer als eure.“
„Ich verstehe“, antwortete Modowka und sah, als würde sie eine nahende Gefahr spüren, zu Merena. „Sie sind also hier, um mit uns zu besprechen, wie wir diese Gebiete gemeinsam besetzen und beanspruchen können. Welche Hilfe dürfen wir erwarten?“
„Um auf die erste Aussage einzugehen: nicht ganz.“
Die Adjutantin ging sicher und unbeirrbar an einigen sie aufmerksam musternden Maja vorbei zu der großen Glasfront.
„Mein Auftrag ist etwas … heikler. Ich bin nur hier, um unser Vorhaben gründlich umzusetzen.“
„Euer Vorhaben? Das da wäre?“
Die Adjutantin lächelte auf beunruhigende Art und Weise und drehte sich zu der Daondare um, als die Nespithe von einer Sekunde auf die andere aus dem Sichtfenster verschwand und eine große Anzahl feindlicher Schiffe erschien, mit Modellen in allen Formen, Farben und Größen. Eine typische Flotte der Stühnen.
„Es ist leider etwas zu umfangreich, um zu erklären, was
genau angedacht ist. Ich kann nur sagen, dass alles mit Ihrer Ermordung durch den Feind beginnt, ehrenwerte Daondare. Da dieser jedoch nicht fähig ist, das zu vollbringen, werden wir mehr als nur ein wenig nachhelfen.“
Noch bevor die Daondare verstand, was genau ihr gerade gesagt wurde, zückte die Adjutantin im Bruchteil einer Sekunde ihr längliches Gewehr und schoss ihr sauber zwischen die Augen. Modowkas Körper ging zu Boden, während weitere Schüsse fielen. Nach und nach wurde jedes einzelne Crewmitglied, in einem blutigen Nebelschleier versinkend, von der Adjutantin getötet, während die Schiffe des Feindes das Flaggschiff unablässig beschossen und alle anwesenden Begleitschiffe Modowkas vernichteten. Jeder, der versuchte, Phini aufzuhalten, musste feststellen, dass sie in ihren Bewegungen zu flink war, um erwischt zu werden, während ihre Schüsse jedes ihrer Ziele ohne Ausnahme trafen. Sie war als Schützin weit bekannt, gefürchtet und legendär; dass Merena sie jemals gegen sich in Aktion sehen würde, hätte sie in ihren dunkelsten Träumen nicht erwartet.
Merena flüchtete aus der Brücke heraus in die Gänge des vibrierenden Schiffes, in der Hoffnung, eine der Rettungskapseln zu erreichen, bevor alles in Stücke gerissen würde. Ein Kampf wäre sinnlos gewesen. Sie verstand nicht, warum die Morphine scheinbar an der Seite des Feindes kämpften. Zu viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf, während sie, getrieben von nackter Todesangst, vor der Adjutantin floh. Nur einen Gedanken konnte und wollte sie nicht zulassen: Dass die Frau, die ihr vor wenigen Augenblicken noch versichert hatte, sie zu ihrer Maja zu nehmen, die sie so lange liebte, wie sie sie kannte, nun tot war. Alles fühlte sich so unwirklich an, zu schrecklich um wahr zu sein. Ihr ganzes Leben zerbrach in diesem Moment. Merena wusste nicht einmal mehr, warum sie floh. Es war ihr Instinkt, der sie am Leben hielt, da der Wunsch mit Modowka gestorben war.
Immer wieder spürte sie die schweren Erschütterungen im Schiff, die sie umherwarfen und schmerzhaft zu Boden gehen ließen. Sie hatte weder Kraft, noch Willen, um aufzustehen. Heiße Tränen liefen ihre Wangen herunter. Tränen, die keine Liebende zärtlich wegstreichen würde. Der Lärm der Explosionen und des Alarms war unerträglich. Schreie von Freunden, Verbündeten und langjährigen Gefährten jagten durch den Bauch des einst so sicheren Schiffes, während der fleischgewordene Tod die einstige Zuflucht in ein Massengrab verwandelte. Im nächsten Augenblick merkte Merena, wie sie beinahe gewaltsam aus dem Gang gezogen wurde. Jemand hob sie auf die Beine, nahm sie an die Hand und zerrte sie in eine der Rettungskapseln, die nicht mehr weit gewesen waren. Wie sie in diese flüchteten, musste sich Merena, überwältigt von all den Eindrücken, übergeben. Sie brachte nur das Wasser hervor, das sie in Modowkas
Gemächern getrunken hatte. Wieder weinte sie. Die
Trauer verdrängte den Schock.
„Leise, bitte, nicht zu laut!“
Merena sah hoch und erkannte das Gesicht der Maja Lahrah Tugchov, einer Offizierin für Kommunikation. Panik war in ihren dunklen Zügen zu erkennen. Ihr Wille zu leben war nicht gebrochen und sie würde nicht allein fliehen. Merena nahm sich zusammen und blieb still. Zitternd saß sie in der engen Kapsel, die mit fünf gut gepolsterten Sitzen ausgestattet war. Sie war niedrig, sodass beide sich hinkauern mussten. Die Pfütze des Erbrochenen zerfloss auf dem Boden, immer wieder aufgerüttelt von der Wucht der Explosionen.
Tugchov versuchte verzweifelt, die Kapsel zu starten, doch bewegte sich diese nicht aus ihrer Bucht heraus. Es war ihr, als hätte eine fremd einwirkende Kraft sie deaktiviert. Die kleinen Rettungsschiffe waren so konzipiert worden, dass sie sogar starten konnten, wenn das Hauptschiff in tausend Einzelteile zerschossen wurde. Etwas stimmte nicht. Nichts stimmte mehr.
„Sie startet nicht, verdammt, sie startet nicht!“
Merena sah zu der Maja, von der sie gerettet wurde.
„Die Morphine und die Stühnen … sie haben sich verbündet, aber das kann nicht sein. Ihre Schiffe, sie …“
„Nein“, wiedersprach Tugchov. „Das sind keine
Stühnen. Das sind nicht einmal ihre Schiffe. Sie sehen nur aus wie solche, aber sie sind viel, viel zu fortschrittlich
dafür! Anders kann ich mir das, was hier gerade passiert, nicht erklären.“
„Wir müssen Meldung machen! Wir müssen Pyzny darüber in Kenntnis setzen!“
Ungeduldig sah die Offizierin zu ihr.
„Denkst du, das haben wir nicht versucht? Sie haben unseren Kanal blockiert, noch bevor die Schiffe auf unserem Radar waren. Doch ging kein Signal von der Nespithe aus. Ich habe versucht, zur Brücke zu gelangen und Meldung zu machen, aber da war es bereits zu spät. Diese Flotte gehört nicht zu den Stühnen. Es ist eine Finte, doch erschließt sich mir der Zweck nicht.“
„Du meinst … Verrat von Seiten der Orbitan?“
„Wie gesagt, eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Sie haben unseren Funk gestört und nun auch unsere Technik und ich weiß, dass die Stühnen nicht über die nötige Technologie dafür verfügen, ganz im Gegensatz zur Orbitan“, eine weitere schwere Erschütterung erfasste die Maja Modowka. „Wenn nicht bald ein Wunder geschieht, werden wir mit diesem Schiff untergehen!“
„Aber warum sollten sie uns das antun?“
„Frag mich was Leichteres. Mir waren diese Deadeyes nie geheuer. Ich fühle mich mehr als bestätigt und hoffe, darüber noch Meldung machen zu können … wenn ich diese verfluchte Kapsel endlich zum Start bewegen kann! Du könntest mir auch mal helfen!“
Doch Merena rührte sich nicht. Sie saß in der Lache ihres eigenen Erbrochenen, unfähig, etwas zu unternehmen. Sie kannte die Orbitan und ihre Morphine gut. Sie hatte sie mehr als einmal im Gefecht erlebt, jedoch bisher immer auf ihrer Seite. Wenn sie jemanden zum Feind hatten, so standen dessen Chancen meist schlecht. Der Auftritt der Adjutantin belegte dies mehr als eindrucksvoll.
„So viel weiß ich“, setzte Merena an. „Sie wollten einen Daondare ermorden …“, ihre Stimme zitterte heftig. „Und es so aussehen lassen, als wäre es der Verdienst der Stühnen …“
Tugchovs Gesichtsausdruck verriet Fassungslosigkeit. Sie atmete einen Moment tief durch und widmete sich wieder dem Bedienpult der Kapsel.
„Wir müssen unbedingt, wirklich unbedingt weg von hier!“
„Als ob sie die Kapsel nicht abschießen würden!“
„Hast du eine bessere Idee?“
Doch sollte es zu keiner Antwort kommen. Die Tür zur Rettungskapsel öffnete sich. Adjutantin Phini erschien in dieser. Zufrieden lächelte sie auf die beiden Frauen herab, als sie ihr Gewehr in Anschlag nahm.
„Tut mir leid, ihr zwei. Ich kann leider keine Zeugen gebrauchen.“
__________________________________________________ ___________
Anmerkung des Autors: Dies ist der Prolog zum fertigen Roman. Sollte Interesse an mehr bestehen und daran, wie die Geschichte weitergeht, so lasst es mich wissen.
Der Elend ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 05.01.2025, 21:40   #2
weiblich Ilka-Maria
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Willkommen auf Poetry, das du bereits mit einigen deiner Texte beehrt hast. Dieser hier dürfte der längste dieser Texte sein, und ich kann nur hoffen, dass sich einige leidensfähige User an ihn wagen.

Deinem Hinweis nach handelt es sich um einen Prolog. Er hat ca. 19.000 Zeichen, das sind nach Normseiten für das übliche Buchformat etwas über zehn Druckseiten - meiner Erfahrung nach zu lang für einen Prolog. Ich habe nach ca. 8.250 Zeichen aufgehört, ihn zu lesen, denn er erfüllt nicht seinen Zweck. Er ist überladen mit Figuren und Informationen, die den Leser erschlagen, anstatt ihn zu ködern. Und es passiert rein gar nichts, jedenfalls soweit ich mich auf den Text eingelassen habe (immerhin vier Buchseiten). Die Figuren sind zudem ohne Tiefe, und bei ihren Zuschreibungen wäre mehr Phantasie vonnöten als "ein strahlend blaues Auge" oder ein "lebendiges, helles Gesicht".

Der ideale Prolog wäre nach meiner Leseerfahrung nicht länger als vier bis sechs Seiten, enthielte wenige Personen - idealerweise nicht mehr als drei - und käme auf einen Spannungspunkt, der auf das zukünftige Geschehen verweist und den Leser zu fesseln vermag. Sozusagen ein Teaser, dessen Handlung in sich geschlossen ist und von der ein Leser noch nicht weiß, inwiefern sie in den Roman hineinwirkt.

Ein schönes Beispiel ist der Prolog in "Riptide" von dem Autoren-Duo Preston/Child:

Zwei Brüder wollen auf einer unbewohnten Insel ein Abenteuer erleben und dringen in eine Höhle ein. Sie phantasieren von einem Seeräuberschatz, den sie finden wollen. Beim Erkunden passiert ein Unglück, und der jüngere Bruder verschwindet. Der ältere Junge hat sein letztes Streichholz verbraucht und kann nicht helfen, er muss zurück. Seinen Bruder sieht er nie mehr wieder.

Das alles haben die Autoren auf sechs Seiten geschildert. Die beiden Figuren kommen in dem nachfolgenden Roman nicht mehr vor. Aber der Leser will wissen, was es mit der Höhle auf sich hat. Und richtig: Das x-te Team macht sich Jahre später auf den Weg zur Insel, hochgradig mit Technik ausgerüstet, um den Schatz zu bergen, der dort gut gesichert schlummert. Ein Drama nach dem anderen passiert, und wie alle Teams vor ihm scheitert auch dieses Team an der Aufgabe. Im Verlaufe des Geschehens wird jedoch von dem kleinen Jungen, der einst dort verschwand, die Kappe gefunden. Und damit schließt sich der Kreis.

Prologe sollen den Roman wie einen Aperitif öffnen, also Appetit machen. Epiloge, die Desserts, sollen ihn schließen. Alles andere gehört in die Kapitel des Hauptteils.

Besten Gruß
Ilka
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Alt 05.01.2025, 22:18   #3
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Vielen Dank für die konstruktive Kritik.

Liebe Grüße und einen schönen Abend noch.
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Alt 06.01.2025, 13:31   #4
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Standard hallo Elend

... Ilka scheint alles gesagt/ geschrieben zu haben.

Bei dieser Textlänge ist die Lesbarkeit schlecht, ich verrutsche meist beim Lesen in den Zeilen. Schon deshalb gab ich schnell auf.
In solchen Texten brauche ich mehr Umbrüche, Absätze. Man sollte sich also beim Einstellen des Textes an die Formatierung machen.

Das wenige, dass ich las, sprach mich nicht besonders an. - siehe Ilkas Kommentar

dT
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Alt 06.01.2025, 14:12   #5
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Zunächst: Es ist positiv, dass Der Elend nicht gleich beleidigt auf meine Kritik reagiert hat, wie das manchmal bei anderen Schreibern der Fall ist. Das ist anerkennenswert. Selbst wenn er seinen Text verteidigt hätte, nehme ich an, dass er nicht der Typ ist, der dabei in eine unsachliche Defensive gegangen wäre.

Ich habe noch eine Anmerkung:

Um einen Leser an den Haken zu bekommen, ist es vielleicht erfolgversprechender, ein Exposé der Erzählung oder des Romans zu präsentieren (das Ende muss, wie bei einem Klappentext, dabei nicht verraten werden). Ein Exposé sollte möglichst knapp sein, für Erzählungen/Novellen/Drehbücher/Theaterstücke sind zwei bis drei Seiten angemessen. Bei Romanen dürfen es ein paar mehr sein, je nachdem wie umfangreich er ist.

Beim Exposé sollten möglichst nur die wichtigsten Figuren genannt werden, also Protagonist, Antagonist und idealerweise nicht mehr als zwei Nebenfiguren, egal wieviele Charaktere insgesamt in der Story vorkommen. Keine Dialoge! Keine Ausschmückungen! Das Exposé schildert nur den Konflikt und die daraus resultierende Kernhandlung. Erlaubt ist allenfalls ein dialogischer Beispielsatz, der den Protagonisten charakterisiert.

Das Exposé ist IMMER im Präsens zu schreiben!

Zeigt ein User Interesse an der Story, kann der Autor ihm dann als Leseprobe einen Auszug aus der Story gewähren, die er für besonders spannend, geheimnisvoll oder sonstwie fesselnd hält. Es muss also nicht ein Prolog oder Kapitel eins sein.

Dies ist der Weg, wie Autoren sich bei Verlagen bewerben, um deren Interesse an ihrem Manuskript zu gewinnen.

LG
Ilka
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Alt 06.01.2025, 14:41   #6
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Zitat:
Sie tauschten einige verliebte Blicke, küssten sich noch einmal, kleideten sich an und begaben sich, durch die warmen und gut ausgeleuchteten Gänge, zur Brücke des Schiffes. Dort angekommen, wurden sie sogleich erwartet. Einer der Offiziere der Maja Modowka, Marowic Talarcyk, salutierte vor seiner Daondare und machte Meldung.
Ich habe hier mal eine Passage aus dem Text genommen, um zu zeigen, was daran den Leser stören könnte (ohne Bezug auf den Kontext, sondern als für sich stehende Sätze).

Dabei will ich keine Wertung der Arbeit abgeben, die Der Elend sich mit dem Schreiben gemacht hat. Er sagt, sein Roman sei fertig, und da muss ich sagen: Alle Achtung! Die meisten Schreiber, die sich an so einem Projekt versuchen, weil sie eine gute Idee zu haben glauben, geben spätestens in der Mitte auf.

Also:

Der erste Teil des ersten Satzes ergibt ein merkwürdiges Bild. Man stelle sich vor, ein verliebtes Paar tauscht eine ganze Weile verliebte Blicke aus und kommt dann auf die Idee, sich zum Abschied zu küssen. Wäre es umgekehrt nicht sinnvoller und romantischer? Viele, viele Küsse, dann noch ein verliebter Blick, weil der Abschied schwer fällt ...

Der Akt des Ankleidens muss nicht unbedingt erwähnt werden, da es in diesem Fall selbstverständlich ist, dass die Akteure ihren Aufgaben nicht nackt nachkommen.

Mit der Schilderung des Gehens durch die Gänge könnte man eine Menge Atmosphäre reinbringen. Frage: Wie kommt man durch "Gänge" zu einer Schiffsbrücke, quasi der Kommandozentrale eines Schiffes? Ergibt sich vielleicht aus der Story insgesamt.

"Sogleich" und "erwartet" passen nicht zusammen. Bei jemandem, der wartet, passiert nichts sogleich. Wer immer die beiden Charaktere erwartet hat, nahm sie (sogleich) in Empfang.

Dies nur mal als Gedankenstupser. Wer schreibt, sollte das, was er schreibt, gleichzeitig im Geiste bildlich umsetzen, um einen Indikator dafür zu haben, ob es stimmig ist.
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Alt 06.01.2025, 14:57   #7
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Hallo nochmal.

Erstmal vielen Dank für die ehrliche Kritik, die ist Gold wert. Natürlich reagiere ich nicht beleidigt, das wäre ja vollkommen unsinnig.

Zu den Anmerkungen von Herrn/ Frau Traum: Die Umbrüche habe ich so eingestellt, allerdings hat das Programm diese nicht übernommen. Schade, aber geschenkt, ist ja schließlich ein frei verfügbarer Text.

Zu Frau Ilka: Erstmal vielen Dank, dass Sie sich so eingehend mit dem Stil auseinandersetzen. Das werde ich alles definitiv beherzigen. Der Prolog selbst ist auch schon wieder 2 Jahre alt und gar nicht mehr so zeitgemäß (für meinen Stil), ich wollte nur mal sehen, wie er auf Fremde wirkt. Ich merke, dass es also noch einiges zu machen gibt und werde mich zeitnah dran setzen, Unstimmigkeiten zu überarbeiten und ihn generell zu verbessern.

Deshalb noch einmal an alle Kommentierenden: Vielen Dank für euer Feedback. Dafür bin ich hier und damit kann ich arbeiten und wachsen.

Ich wünsche euch allen eine angenehme Woche.
Der Elend ist offline   Mit Zitat antworten
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