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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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12.07.2013, 14:30 | #1 |
Das Erinnern beginnt
Mein Land hat keinen griechischen Wein,
keinen schottischen Whisky und keinen russischen Wodka. Mein Land hat keine Schnittblumen aus Schweden, kein Eis vom Südpol und keinen chilenischen Regen. Hier tanzen keine Krieger in der Weite der Steppe, während die Trommeln rufen. Hier feiert man keine abgedrehten Volksfeste und zieht nicht wie Nomaden umher. Hier wartet man nicht tagelang auf den Regen, zieht sich keine Palmenblätter an und watet nicht durch ein sumpfiges Moor. Es ist auch ohne Eselskarren auf der Straße, ohne den reifen Mond der Zigeuner und ohne das Krächzen der Wolkenkratzer. Da bin ich geboren und fresse mit goldenen Löffeln die Gedanken der ungeborenen Enkel und die Abenteuer meiner Vorfahren. Ich glaube ich hielt die Zukunft der Menschen für einen Moment in meiner Hand. Morgen werden sich ein paar mehr Genossen nennen. Als das Erinnern begann, endete die Kindheit. In den silbernen Schuhen fröhlich Walzer tanzend sah ich den Spatzen zu, wie sie im Hinterhof in den Mülltonnen pickten. Ich erwachte schmezhaft, als mich mein Vater aus dem Traum holte. Die Mauer, die mich bis dahin gehalten hatte, zerfiel im Lachen seines Gesichts. Doch ich hatte mein Gold gefunden und als ich es ihm zeigte, zerfiel es zu Dreck. Ich weiß es noch: Die langen weißen Krankenhausgänge, der Geruch nach Elend und Tod und die Greisin, die im Zimmer nebenan schrie und schließlich starb. Die kommt zu Gott, dachte ich. Und die Hand, die ich hielt, war faltig und alt. Die Schwestern liefen umher mit Besen und ich stand da mit einem Knoten in meinem Bauch. Ja, Herrjott nochmal, nun isser tot! Das EKG sprach vom Vergessen. Das Kranknehaus war ein Labyrinth und ich hörte die Lieder der Vögel und war wieder klein. Und die zitternden Alten standen Schlange, doch ein Glied fehlte in der Kette, die ich mir um den Hals gelegt hatte. Starr standen die Menschen und verteilten Bonbons gegen die Angst, und man stieß mir die Faust zwischen die Zähne: Das sind Verrückte, mein Kind, die meinens nicht so! Wo war Gott!! Im einsamen Regen ging ich über den Jahrmarkt zwischen Schießbuden umher, während das erschossene Ziel mühsam über den Weg kroch. Ich stieg in einsame Gondeln, hundert an der Zahl und ihre Räder kreischten und klopften an die Wolken. In meinem Gesicht zerrieb sich die Erde zu Brocken. Niemand außer mir war zu sehen. In meinem Mund stieg das Wasser der falschen Versprechen. In den Pfützen stand Vergebung. Und an mir vorbei trug der Schausteller Ampeln am Mund. Noch hatte ich nichts vergessen, was lebt! Ich hatte gefunden, dass in mir was lebt! Mit der Schultüte im Arm und einer Schleife im Haar las ich die Zeilen und trat ein neues Leben an. In jedem Bekleidungsgeschäft tauschte ich mich um wie ein Buch und mit der Zeit trank ich Wein statt Wasser. Es war meine Zeit der unzählbaren Freunde. Die alten Sirenen klangen düster und in einem entfernten Land trat die Revolution ein, doch hinter unserem Wissen verblasste die Welt und auf den Brettern, (die nur für uns die Welt bedeuteten) probten wir unseren Lebensabend. Die weißen Seiten waren noch nicht beschrieben, der Drehbuchautor kannte uns nicht. Immer wieder standen wir auf der Bühne, unsere Füße steckten in Beton, doch hatte die Maskenbildnerin vergessen, mich schön zu machen und so war ich das kleine Kätzchen, das dazwischen lief und schrie, während die anderen schliefen. Letzlich aber kam unser Auftritt vor unsichtbaren Publikum, unsere Schuhe waren voll Dreck, doch wir hatten uns bemüht, den roten Nagellack zu Hause zu lassen, auch die Rastazöpfe waren aufgelöst, Tatoos werden heutzutage sowieso nur noch in die Seele gestochen. Also sahen wir gut aus, während wir die Blätter unseres Lebens schmückten. Das Herz schrie: Sei friedlich! Und ich dachte wieder an die Greisin und ich wusste es nun: Wo Gott ist, ist kein Tod! In der Zeit, die mich verwirrte, lernte ich, die Liebe ist Wahnsinn. Und so schrieb ich, um den Wahnsinn zu entfesseln, wie Eichendorff oder wie Goethe, mit meinem kleinen pinken Stift, in den ichg früher meinen Namen ritzte. Ich lernte das Leben zu verstehen. Jene Stimmen, die mich riefen, klangen wie Hilfeschreie. Und so stieg ich von der Bühne, ungeschminkt und ungekämmt... Die Freiheit war zu süß, 7um zu zweifeln und jene Wünsche nahmen Gestalt an, die auf dem Krankenhausflur entstanden. Zur Erinnerung: Was ich jetzt mache, nennt man Kampf. Zum Anfang habe ich alles gefunden für mein kleines begreifliches Glück. geschrieben 2009 |
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