|
|
Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger. |
|
Themen-Optionen | Thema durchsuchen |
13.09.2008, 10:34 | #1 |
Dabei seit: 09/2008
Beiträge: 4
|
Ein Engel der fällt
Ich habe es eigentlich nie besonders ernst genommen,
dass Du abends am offenen Fenster standest und den Himmel beobachtet hast. Du willst den Engel sehen, hast du mir gesagt. Und anfangs habe ich neben Dir gestanden und mit Dir den Himmel abgesucht, im Abendrot, bei Einbruch der Dunkelheit, in klaren Nächten bei Mondschein. Und ich habe ihn doch auch gesehen, strahlend, wunderschön, wie er anmutig tanzte, das Licht auf seinen Schwingen. Anfangs habe ich es gemocht, deinem Engel zuzuschaun, wie er über den weiten Himmel tanzt. Aber du schienst wie besessen davon, jeden abend hast du am Fenster gestanden, Sommer wie Winter, wenn nötig bis der Morgen wieder graute. Und von da an, begann ich mich um dich zu sorgen, Dein Verhalten beunruhigte mich. Du konntest an nichts anderes mehr denken, Du sprachst von nichts anderem mehr, für Dich gab es nur noch diesen tanzenden Engel, er war für Dich das Schönste an jedem Tag. Überhaupt sagtest Du, sei er das Schönste auf der Welt, so geheimnisvoll, so undurchschaubar, so unnahbar und doch so ergreifend, mit einem Lächeln, einer Bewegung brachte er dich in seinen Bann, immer und immer wieder. Ich jedoch konnte sehen, dass seine Schwingen an manchen stellen kahl und sein Haar zerzaust war, dass er in besonders dunklen Nächten zu taumeln begann und dass er nur sehr selten lächelte. Du hast das wahrscheinlich nicht gesehen und warst fasziniert wie eh und je. Und niemand kann sich vorstellen, wie erleichtert ich war, als der Engel eines Tages fiel... ...doch Du sahst ihn nie schöner als im Fall. Wie hätte ich wissen können, dass du losrennst, um ihn aufzufangen. Und wer weiß schon, dass einst ich ein Engel war? |