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Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln.

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Alt 12.08.2015, 16:24   #1
männlich schusterjunge
 
Dabei seit: 08/2015
Beiträge: 4

Standard Wenn sich die Schlingen um Dich schließen

Kleine Verschlingungen von Einem, der es wissen muss!


Wenn sich die Schlingen um Dich schließen


Patient 8486! Das war er! Gestern ist er so registriert worden. Da war er hier angekommen. Aufnahmezeremonie. Eher uncool. Danach sollte sie losgehen, seine Behandlung.

Sein Behandlungsplan für die erste Woche sprach eine deutliche Sprache: Spaß soll es schon machen, aber natürlich ist man nicht nur zum Spaß da.

So musste er am zweiten Tag erst mal nach ganz unten. Ins Basement. Es war dunkel im Treppenhaus. Die Beleuchtung war spärlich, und an die wenigen Fenster klatschte ein heftiger Aprilregen. Obwohl neu fand er seinen Weg, vorbei an öden Flurwänden mit lieblos ausgewählten Bildern. Modernisierungsbaustellen und deshalb fehlende Hinweisschilder „schafften“ es nicht, ihn vom Ziel abzubringen. Unten angekommen, am Ende eines langen Ganges, konnte er deutlich an der Wand den Hinweis auf seine erste Therapie lesen. Patient 8486 war richtig, aber trotzdem ein bisschen unsicher.

Im Eingangsbereich stürzten sie förmlich auf ihn ein - verschiedenste Gerüche und Geräusche: Chlor, Heu, Melisse, Wasserplätschern, elektrisches Summen, leises Stöhnen. Als er ein freundliches Lachen aus den hinteren Räumen hörte, atmete er ein wenig auf.

Die dazugehörige Person kam näher. Dann erschien sie hinterm Empfangstresen. Nicht nur am Namensschild erkannte er: Das war die Frau für ihn. Wie er später registrierte, trugen alle Mitarbeiter des Hauses weißrote Dienstkleidung.

Auf sein schüchternes Hallo sagte sie kess, „Ja, wen haben wir denn da? Neu bei uns?“. Er nickte nur, hielt ihr seinen Behandlungsplan hin. Ein kritischer Blick. Erst auf das Papier, dann auf die Wanduhr. Stimmte was nicht?

Entwarnung! Sie sagte: „Setzen Sie sich. Geht gleich los!“, und lachte dabei kurz auf. Für Patient 8486 klang das wie eine Drohung. So wie: „Dich nehme ich mir gleich vor, Kleiner.“
Er nahm etwas nervös auf einem Stuhl Platz. Mitpatienten in Bademänteln oder leichter Sportbekleidung kamen und gingen. Er versuchte in ihren Gesichtern zu lesen, was ihm hier blühen könnte. Es gelang ihm nicht.

Nach kurzer Wartezeit hörte er es wieder. Das Lachen, das er schon kannte. Es riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Die Frau kam auf ihn zu und sagte munter, “So, jetzt sind Sie dran; kommen Sie mal mit nach hinten.“

8486 folgte ihr und wollte gerade vorsichtig fragen, da kam sie ihm mit der Information zuvor. „Der Schlingentisch wartet heute auf Sie. Er wir Ihnen guttun.“ Die Weißrote lächelte dabei. Er schluckte.

Nach wenigen Metern zog sie mit einem kräftigen Ruck die Kabinentür zur Seite. Und da stand das „Schlingen-Ding“ in seiner ganzen Pracht. Raumfüllend, unten mit schmaler Pritsche, darauf abgelegten Textilschlingen (immerhin kein Leder, dachte er mit Galgenhumor), an jeder Ecke einen stabilen Stahlpfosten und das Dach aus Eisengeflecht. Knebelbänder hingen herab. Sie baumelten leicht im Luftzug der geöffneten Tür, als wollten sie Patient 8486 begrüßen. Die Liegefläche darunter war eher eine schmale Pritsche als ein Tisch.

Nach wenigen routinierten Handgriffen sagte seine Dame: „Bitte Tür schließen, Schuhe ausziehen und hinlegen.“ „Nur die Schuhe?“, wollte er erst fragen; verkniff es sich aber gerade noch. „Jetzt kriegen Sie erst die Halteschlingen umgelegt, und dann lass ich sie schweben, wie eine Jungfrau.“ Ruckzuck war er an Becken, Knien und Fußgelenken in Schlingen gelegt, waren die Halteseile angezogen und wurde die Liegepritsche entfernt.
Und dann fühlte er es, nämlich gar nichts. Denn die Schwerkraft war sozusagen von Ihm genommen, jedenfalls von der Hüfte an. „Entspannen Sie sich schön,“ hörte er noch und war schon fast eingedöst.

Plötzlich schreckte 8486 auf. „Na, der Herr, schon ist die halbe Stunde rum, wie war es denn so?“, flötete die PTA munter. „Prima, hat gar nicht wehgetan“, hörte er sich verschlafen sagen. Während sie ihn aus den Schlingen befreite, dachte er mit einem breiten Schmunzeln: „Jetzt kann ich zuhause erzählen, dass mich noch nie eine Frau so schön hängen gelassen hat wie in der Reha-Klinik “.
Na dann weiterhin gute Wiederherstellung wünscht 8486.
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Stichworte
aufnahme, hängende behandlung, patient



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