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Alt 03.08.2022, 20:14   #1
männlich Flocke
 
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Standard ICH, FLOCKE, AVATAR meines HERRN!

Ich möchte voraus schicken, dass es Paul Murphy mit seinem Gedicht(?): "Ein Gespräch mit meinem Gedicht" war, der mich zum Schreiben dieses Essays motivierte. Ich danke dir.
Avatare führen ein ungemütliches Leben. Sie können sich zwar auf eine ansprechende, glotrreiche Geschichte berufen. Aber heutzutage leben sie in totaler Abhängigkeit von ihren Schöpfern. Und diese behandeln sie oft genug einfach nur unangemessen und schlecht!
Ich will ihnen Aufmerksamkeit schenken. Wir hören beispielhaft von meinem Avatar, wie er sein Leben sieht. Manche seiner Bemerkungen haben mich tief verwirrt und getroffen.


Es ist nicht einfach, ein Avatar zu sein.
Immer wieder, bald jeden Tag muss ich hoch zu diesem nervige Gesicht schauen, das da als Riesenfratze über mir hängt. Kein Wunder, dass mein Nacken steif wie Zement geworden ist. Aber ich kann meinen Blick nicht kontrollieren. Es ist wie ein Zwang. Und ehrlicherweise muss ich zugeben, ohne diesen Gesichtsträger könnte ich überhaupt nicht gehen und ich könnte nicht reden. Er ist mein Meister und ich nur sein Vertreter hier in unserer Welt, unserer Heimat, dem Poetry Forum.
Immerhin ermöglicht er mir regelmäßige Einsatzzeiten. Ich müsste ihm eigentlich dankbar sein.
Denn andere Avatare verrotten allmählich in den dunklen Kellerräumen des Poetry Forums, einsam von Kohle und Staub bedeckt zwischen den mächtigen Kategorien „Düstere Welten und Abgründiges“, „Geschichten, Märchen und Legenden“ und „Theorie und Dichterlatein“. Sie hatten nur ihre ein oder zwei Auftritte. Dann wurden sie von ihren Meistern vergessen, verdrängt, weggeworfen. Ihnen wurde sozusagen der göttliche Auftrag entzogen.

Mit "Avatar" benannte man in früheren Jahren ja die Inkarnation eines Gottes auf Erden. Die Götter bastelten mit einem Handwerkerset aus Haut, Knochen und Fleisch menschlich anmutende Abbilder ihrer selbst, versahen sie mit Gefühlen und körperlicher Kraft und schickten sie in die wirkliche Wirklichkeit! Sie waren die wahren Avatare.
Auch die hinduistischen Avatare waren Inkarnationen der Götter auf Erden. Sie dienten ihnen als Medium, als Fahrzeug, wenn sie mal inkognito auf die Erde absteigen wollten. "Vishnu" zeigte sich als Avatar immer dann, wenn die Weltordnung ins Schwanken geriet, mal rückte er als Schildkröte, mal als wilder Eber und manchmal auch in menschliche Gestalt die Welt wieder zurecht. Sein Behuf war es, die Welt auf elegante Weise zu retten, um den ewigen Kreislauf von Gehen und Vergehen redlich weiter rollen zu lassen.

Zeus, der größte Gott, den die Machos je finden konnten, hatte ein anderes Motiv, um als Avatar auf Erden zu erscheinen. Er besprang als Avatar, was das Zeug hielt, alle weibliche Wesen, die seinem Weg ahnungslos querten. Der arme Kerl war hoffnungslos seinem Trieb ausgesetzt. Nach ihm gab es nur noch Goethe, der sein sexuelles NIveau annähernd erreichte.

Und heute? Es wäre aberwitzig, wenn man den Freaks da oberhalb des Bildschirms etwas Göttliches unterstellen wollte. Sie sind mitnichten Götter, sie haben nicht mal mehr das Niveau von Hotzenplotz Verbrecherbande.

Und heute, was ist aus diesen kraftstrotzenden Göttern geworden? - Menschenähnliche Geschöpfe! Degeneriert und machtlos, schattenhaft und langweilig! Wir Avatare sind unsere eigenen Leichenträger geworden!

Wieder zwingt mich mein Meister, ihn anzuschauen, wieder sehe ich in seine kleinen, braunen Schweineaugen, sie stieren. Der - ein Gott? Ich würde diesem tumben Hornochsen lieber mal einen kräftigen … und so was von einem Tritt ...
Aber er bleibt unerreichbar!

Er nennt mich "Flocke"! Demütigend ist das, das ist doch kein Name! Weiße Karnickel, sabbernde Meerschweinchen und verzogene Kleinsthunde im farbig passenden Trenchcoat werden so genannt. Doch ich weiß wohl, dass viele meiner gebeutelten Leidensgefährten sich mit noch scheußlicheren Nick-Names quälen müssen. Mein Mitgefühl lässt nicht zu, sie hier zu nennen, geschweige denn sie persönlich vorzuführen.

Wenn ich es recht bedenke, geht es mir eigentlich gut. Mein Meister lässt mich leben und ich darf hin und wieder auf die Straße; trotzdem ärgere ich mich, weil ich mich nicht gegen seine Ansinnen wehren kann. Er besteht darauf, dass ich sanft, freundlich und emphatisch auftrete. Und einen freundlichen, höflichen, netten, lieben und vertrauenswürdigen Eindruck mache. Meine Gesamterscheinung soll einen „schlanken Fuß“ machen, meint er augenzwinkernd. Er liebt diese zusammengschusterten Metaphern.
Aber vor allem – das ist ihm am wichtigsten! - soll ich sein vermeintlich umfassendes Wissen sozusagen im Vorübergehen ungezwungen immer wieder spielerisch und nebenbei andeuten. Ich sollte aber auf keinem Fall damit protzen!. Er hofft, dass er auf diese Weise sich unterschwellig in die Aura der Weisheit betten könnte.

"Gelassenheit" ist sein zweites Mantra.
„Einfach loslassen!“ zitiert er häufig sich selbst.
"Hasen nasse Nasen hassen;
nasse Nasen Hasen hassen!", halte ich dann verzweifelt dagegegen, aber niemand vernimmt meinen grandiosen Schüttelreim.

Glaubt mir, er ist kein relaxter, entspannter Typ, das weiß ich genau.
Ich könnte platzen, wenn er diesen Eindruck vermitteln will.
Gerne würde ich dann zuschlagen, laut schreien, fluchen, toben; kurz gesagt: Dass endlich eine Ruhe ist!

Ich habe ihn schon oft auf das Unflätigste hin fluchen und ablästern gehört! Aber das tat er immer nur hinter der vorgehaltenen Hand!
Weichei, abgewatschtes.
Er lügt!
In der Kneipe der wirklichen wirklichen Wirklichkeit kriegt er bei jeder Bestellung das große Stottern und sein Gesicht wird rot befeuert.

Letztens hat er tatsächlich eine „Elegie“ verfasst. Er hoffte wohl auf Lob und auf erschlichene Anteilnahme.
"Wie ein Stück Treibholz versinke ich am nahen Ufer !
Meine Seele verglüht, zitternd umfängt mich der Schmerz!
Duftmarken toben in mir, steigen und kühlen das Blut!"
usw.
Was für ein Kitsch!


Achtung, ich glaub, da kommt er!
Mein Gott hat der eine miese Laune!
Er wollte unbedingt, dass ich darauf hinweise, dass Avatar dem Sanskrit entnommen ist, wie folgt geschrieben wird: अवतार, und "Abstieg" eine mögliche Übersetzung von Avatar ist.

Oh weia, oh weia! Das habe ich vergessen!

Geändert von Flocke (03.08.2022 um 21:34 Uhr)
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Alt 03.08.2022, 23:10   #2
männlich dr.Frankenstein
 
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Ort: Zwischen den Ostseewellen ertrunken
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Beiträge: 5.465

Ich glaube schon das du aus mehreren Göttern bestehst. Die Mischung is das schwierige beim Abstieg. Wenn Zeus von Hera gezwungen wird Jeans zu kaufen oder der tote Hund bei Pluto unterm Bett liegt, dann kann Chronos schon mal verzweifelt drein schauen, beim Gedichte gärtnern.
dr.Frankenstein ist offline   Mit Zitat antworten
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