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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 14.07.2022, 14:55   #1
männlich r0s3nr0t
 
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Standard Meine Hand auf deinem Arm

Meine Hand auf deinem Arm
Und darunter Venen
Und darunter Knochen
Und dazwischen Fleisch
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Alt 15.07.2022, 10:08   #2
weiblich Candlebee
 
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Hallo r0s3nr0t,

Meine Hand auf deinem Arm
Und darunter Venen
Und darunter Knochen
Und dazwischen kaum noch Fleisch
Haut wie Pergament

Ich sah sofort meinen Opi vor mir, als er noch lebte, es aber dem Ende zuging. Hilflos, kraftlos, abgemagert im Pflegeheim. Aus deinem Gedicht lässt sich noch einiges rausholen. Vielleicht fällt dir mehr ein. Hab ich trotzdem gern gelesen.

Nette Grüße, Candlebee
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Alt 15.07.2022, 11:43   #3
weiblich Ilka-Maria
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Unter meinem Arm kommt entweder gar nichts oder z.B. eine Tischplatte, auf der er liegt - halt irgendetwas, falls er nicht einfach an mir herunterbaumelt.

Gemeint ist, was den Armknochen unter der Haut noch umgibt, und da ist bei mir zunächst das Bindegewebe mit den Fazien, das Muskelfleisch, die Gefäße und jede Menge Nervenbahnen. Weshalb das in Schichten dargestellt wird, als sei nur über dem Knochen etwas, darunter aber nichts mehr, und worauf der Autor damit hinaus will, ist mir völlig unklar. Mit Zuneigung scheint es nichts zu tun zu haben, dazu ist die Beschreibung zu nüchtern. Ein Festhalten kann ich auch nicht erkennen, denn dann wäre die Hand nicht auf dem Arm, sondern würde ihn umschließen. Also was will der Autor sagen?
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 15.07.2022, 14:02   #4
weiblich DieSilbermöwe
 
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Ich hatte das Gedicht heute Morgen gelesen und musste wirklich drüber nachdenken, was gemeint ist. So schlecht kann der Text also nicht sein, wenn er immerhin schon drei Leute beschäftigt
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Alt 15.07.2022, 14:32   #5
männlich r0s3nr0t
 
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Beiträge: 25

@Silbermöwe: Danke, das freut mich sehr. Dass das Gedicht beschäftigt bedeutet mir viel.


@Ilka-Maria: Danke für deinen Kommentar. Das Gedicht sagt was du willst, es ist veröffentlicht also gehört die Interpretation dir - zumindest nach meiner Definition. In manchem, was du schreibst, finde ich mich wieder, in manchem nicht. Und das ist gut so.

@Candlebee: Auch dir herzlichen Dank. Ich finde deine Umdichtung traurig und sehr stark. Kann ich nachempfinden. Schön einen anderen Inhalt mit ähnlichen Worten zu lesen!
r0s3nr0t ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.07.2022, 13:41   #6
männlich Flocke
 
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Ort: NRW
Beiträge: 177

Hi r0s3nr0t,

ich arbeite als Osteopath. Ich lege jeden Tag meine Hände auf Kopf, Rumpf, die Beine, auf die Arme und auch auf die Hände der verschiedensten Patienten! Ich weiß, wie sich ein Körper anfühlt, wenn er sich im Schockzustand befindet oder auf Distanz geht.
Meine Hände sind mein Werkzeug, sie sind auch meine Wahrnehmungsorgane. Ich nutze sie bei meiner täglichen therapeutischen Arbeit. Ich darf von meinem Beruf her, Menschen berühren. Für dieses Privileg bin ich sehr dankbar. Manchmal passiert es, dass ich den Mensch der mir gegenüber sitzt oder liegt, nicht nur berühre, sondern dass ich ihn zutiefst „berühre“. In solchen Momenten weiß ich wieder, was eine Seele ist. Vielleicht habe ich doch nicht den falschen Beruf gewählt.
Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich ein solides Wissen von der menschliche Anatomie habe.
Deswegen sprang mich dein Gedicht „Meine Hand auf deinem Arm“ direkt an. Es schien mir um „Berührung“ zu gehen, um den Wunsch nach menschlichen, warmen, vertrauenden (Haut)Kontakt. Das LI scheint das zu wollen. Aber das Gegenüber präsentiert sich ihm nur noch als eine Gewebeansammlung.
Wenn mit medizinischen Wissen um Gewebestrukturen (Venen, Knochen, Fleisch) eine medizinische Behandlung angegangen wird, dann wird im Medizinbetrieb der Wunsch nach ganzheitlicher, mitmenschlicher Behandlung oftmals hinten angestellt. Die medizinische insb. die chirurgische Sicht „entseelt“ den Körper.
Steht dem Kontaktwunsch des LI ein „entseeltes Gewebe“ gegenüber? Vielleicht sogar der Körper eines Verstorbenen, oder ein Gegenüber, der das Lebendige aus seinem Körper gezogen hat, vielleicht um sich zu schützen?

In dieser Art waren meine ersten Gedanken. So waren meine spontanen Bilder. Noch unreflektiert, ich wusste noch nicht, ob das Gedicht dieses Thema induzierte, oder ob mein Gedanken kreisten.
Aber als ich genauer auf den Text schaute, verschwand mein klares Bild.
Zitat:
Meine Hand auf deinem Arm
Und darunter Venen
Und darunter Knochen
Und dazwischen Fleisch
Man konnte, was ich dachte, in den Text reindeuten, es war nicht richtig verkehrt, aber diese Deutung ergab sich nicht zwingend aus dem Text. Das hatte die Konsequenz, dass ich mich von deinem Gedicht nicht mitgenommen fühlte, es berührte mich nicht.

Ich fragte mich, warum ging mir die Begeisterung verloren? Irgendwie wollte ich nicht glauben, dass es nur an meinem fehlenden Engagement und meiner mäßigen Laune lag.
Ich war sicher, dass der Text nicht optimal funktionierte:

So nahm ich mir die Worte vor, die in dem Text von r0s3nr0 vorkamen:

(1) "meine Hand";
(2) "dein Arm";
(3) "Venen";
(4) "Fleisch";
(5) "Kochen" und
(6) "darunter".
(7) "und"

(1) Wir, die Leser, erfahren an keiner Stelle und zu keiner Zeit, zu wem dieser Arm gehört, auf dem die "Hand" [liegt], außer dass er wohl zum LI gehört. Sonst wissen wir nichts!
(2) Wir erfahren auch nicht, welches Verhältnis zwischen dem "Hand" und dem "Armträger" besteht.
(3) "Arm", er gehört zum Körper des Gegenübers des LIs.
Die Begriffe (4) "Venen", (4) "Fleisch" und (5) "Kochen" werden ohne Peronalpronomen vorgestellt. Möglicherweise können sie dem Armträger zugeordnet werden, aber es existiert kein zwingender Hinweis!
Möglich wäre auch, dass sie Teile des Handbesitzers sind. Ja, es ist ebenfalls denkbar, dass sie von ganz woanders hergebracht wurden. Drei Schüsseln befüllt mit jeweils frisch geschlachteten Schweinefleisch, gesammelten Halsvenen ausgewachsener Haie und Knochen vom Elefantenfriedhof könnten auch gemeint sein.

(6a) Das Adverb "darunter" kann die Funktion haben, eine räumliche Relation zweier Substantive festzulegen.
(6b) Es kann aber ebenso auch als ein Adverb verstanden werden, das ein Wort unter einem anderen Wort, einem Oberbegriff subsumiert. Es scheint naheliegend, dass die untergeordneten Begriffe „Venen“, „Fleisch“ und „Knochen“ sich unter der Überschrift "Arm" einfinden. Aber der Text bleibt, wie oben dargelegt, diesbezüglich unbestimmt. Es ist ebenso möglich, dass "Venen; Fleisch und Knochen" Bestandteile der "Hand" sind. Oder dass sie von ganz woanders herrühren.

(7) Immerhin die Konjugation „und“ gibt vor, dass die Worte „Venen, Knochen, Fleisch“ grammatikalisch sich in einer Reihung befinden; sie funktionieren in einem gleichen Zusammenhang immer in einer gleichen Art und Weise!

Mir gelang es auch nach dieser Analyse nicht, ein schlüssiges Bild oder eine „Geschichte“ mit dem Gedicht zu verbinden.
Die Bezüge der einzelnen Begriffe zueinander bleiben ungewiss, die Grammatik generiert keine Eindeutigkeit.
Und die Aufzählung der Gewebe bleibt zufällig, ist nicht typisch (und unmedizinisch). Die räumliche Zuordnung der Gewebearten findet sich nicht auf diese Weise in der realen Topographie!

Folge: Ich finde, r0s3nr0, du hast eine grobe Struktur vorgegeben, die auf den Gegensatz von menschlicher und entmenschlichter Berührung fußt. Darauf kann man bauen.
Für mich bist du in deiner Arbeit, das Gedicht fertigzustellen, noch nicht an das Ende gelangt. Das Gedicht ist noch nicht fertig!

Ähnlich wie mir – so vermute ich - wird es wohl Candlebee gegangen sein, als sie sich mit dem Gedicht beschäftigte. Aber sie scheint ja ein ein umgänglicher und freundlicher Typ zu sein. Jedenfalls nörgelte sie nicht herum, wie ich es jetzt gerade tue, sondern sie hat auf grandiose Weise praktisch reagiert! Sie macht aus deinem Gerüst ein sauberes, schönes und vor allem ein abgeschlossenes Gedicht.
Zitat:
eine Hand auf deinem Arm
Und darunter Venen
Und darunter Knochen
Und dazwischen kaum noch Fleisch
Haut wie Pergament
Ihr reichen für diesen Umbau nur 2 Änderungen (von denen eine nicht unbedingt nötig gewesen wäre):
Sie definiert eine klare Opposition der Begriffe Venen und Knochen zu dem Begriff Fleisch:
Knochen und Venen zeigen sich dem Betrachter, der berührenden Hand. Sie sind prominent (= sie heben sich hervor), das Fleisch dagegen schwindet. Der Körper vergeht. Ihre Gewebe schweben nicht wie in der Vorfassung alle in gleicher Weise irgendwie und irgendwo rum.
Bei Candldee folgen sie einer Ordnung.
Sie kreiert einen dramatischer Gegensatz: Wohl ohne genügendes Fleisch um sich rum, das zunehmend schwindet), konturieren sich Venen und Knochen spürbar deutlicher. Dieser Gegensatz, schenkt dem Gedicht Energie und Kraft und er evoziert das Bild eines alten, schwachen, vielleicht sterbenden Menschen.
Candlebee betont dieses Bild eines ausgezehrten Menschens noch mit einem neuen Element: sie beschreibt dessen typisch veränderte Haut („wie Pergament“). Puristen unter den Lesern würden wahrscheinlich diesen letzten Satz (aus berechtigten Gründen) weglassen wollen.

Die so deutliche und eklatante Gegenüberstellung von Knochen und Venen einerseits und dem („kaum“ noch) Fleisch andererseits rettet das Gedicht. Es schafft ein klares Bild, es stellt unangestrengt einen Bezug her zu dem überaus wichtigen Sterbethema. Es zeigt die Betroffenheit der Protagonistin.
Candledee hat aus meiner Sicht dein Gedicht zu Ende geschrieben, zu einem Ende, das sie wollte. Andere Enden wären auch denkbar. (Ich hätte versucht, eine Kritik auf den medizinischen Betrieb anzubringen – aber der Versuch hätte sicher nicht Candledees Eleganz erreicht).

Ich möchte unbedingt darauf aufmerksam machen, wie dicht du, r0s3nr0 m.E. davor standst, ein wirklich starkes Gedicht zu schaffen; es fehlte nur der eine kleine Punkt! Aber er fehlte!

Lieb Grüße Flocke
Flocke ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.07.2022, 14:04   #7
männlich r0s3nr0t
 
Benutzerbild von r0s3nr0t
 
Dabei seit: 03/2022
Beiträge: 25

Hallo Flocke,

Danke für deine Gedanken - eine sehr interessante Perspektive! Ich finde es immer wieder spannend, was andere Menschen alles so mitbringen, und was das für einen Text bedeuten kann.

Wenn die Umdichtung für dich das Ende ist, weil du ihm folgen kannst und möchtest, dann ist das gut. Von meinen Gedanken ist Canlebes Neudichtung sehr weit weg. Auch hier spannend, worauf unterschiedliche Menschen den Blick richten und wo sie sich wiederfinden!

Das schöne an einem nach außen hin vagen Text ist, das jeder der möchte neue Türme und Erker dran bauen kann...ich mag es, wenn Gedichte alles und gar nichts sagen können, man denke nur an eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.

Liebe Grüße
Rot
r0s3nr0t ist offline   Mit Zitat antworten
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