Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Kolumnen, Briefe und Tageseinträge

Kolumnen, Briefe und Tageseinträge Eure Essays und Glossen, Briefe, Tagebücher und Reiseberichte.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 13.01.2022, 12:49   #1
weiblich la espera
 
Dabei seit: 01/2022
Beiträge: 1

Standard Angst - Auszüge aus meinem Tagebuch

Ich fühle nur noch wenig. Meistens wenn ich fühle, dann ist es Angst. Angst und Liebe.
Freude, Lust oder Euphorie spüre ich nur noch selten.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass seit fast zwei Jahren jeder Tag gleich zu sein scheint, der Nebel sich jeden Tag aufs Neue aufbäumt und wieder legt oder daran, dass ich so viel meiner Kraft und Energie 18 Monate lang in die Vorbereitung einer Prüfung investiert habe, während derer ich größtenteils damit beschäftigt war, aufkeimende Panik „wegzuatmen“ und mit deren Ergebnis ich wahrscheinlich nicht zufrieden sein werden.

Vielleicht liegt es auch an dieser Leere, die seit der letzten Klausur unentwegt mit mir kommt. Es fühlt sich an, als gäbe es gerade keinen richtigen Sinn mehr, als wäre alles, wofür ich mich angestrengt habe, auf eine seltsame Art umsonst gewesen.

Ich habe Angst vor den Ergebnissen dieser Prüfung, jetzt schon, Mitte Januar, rechne ich die Tage und Wochen bis zum 4. April hinunter. Ich habe Angst davor, an diesem Tag schwarz auf weiß zu lesen, ob ich in den Augen der Prüfer*innen eine gute Juristin bin oder sie mich belächeln.

Auch das macht mir Angst.
Dass der Glaube an meine eigenen Fähigkeiten vorallem davon abhängt, wie andere meine Leistung bewerten.
Ich habe sehr wenig, von dem ich wirklich denke, dass ich darin gut bin.
Gut bin ich darin, anderen Menschen nicht zu zeigen, wie ich mich fühle und wie die Dunkelheit in mir hochsteigt während ich mit ihnen spreche und mich völlig unauffällig zu verhalten scheine.

Ich erinnere mich an einen Tag im Sommer 2021. Ich besuchte meine Freundinnen und Freunde in einer anderen Stadt.
Wir fuhren mit den Rädern an einen See, aßen Honig-Sesam-Riegel und Trauben und eine der Freundinnen erzählte mir, dass sie schwanger sei.
In diesem Moment spürte ich echte Freude, war sehr ergriffen.

Wenige Stunden später saßen wir zu viert oder fünft in einem Cafe und aßen Kuchen. Es war eine ausgelassene, vertraute Stimmung und wir hatten uns viel zu sagen.
Während einer meiner Freunde also eine Geschichte erzählte, kam in mir eine, die Freunde von vorhin völlig zerstörende, mich überwältigende Traurigkeit auf.
In diesem Augenblick nahm ich die Position einer objektiven Beobachterin ein.
Und diese sagte mir, dass das hier vielleicht der letzte schöne, gemeinsame Tag sein würde. Dass ich mich vielleicht gerade von meinen liebsten Freund*innen verabschieden müsse, weil ich vielleicht nach diesem Tag, irgendwann im Laufe der nächsten Zeit, gehen werden würde.
Das war einer der gleichzeitig schönsten und schrecklichsten Momente des vergangegenen Jahres.

Ich habe auch Angst davor, dass meine Familie, mein Partner und meine Freund*innen von diesen Gedanken erfahren.
Denn ich fürchte, dass sie sich Vorwürfe machen würden.

Ich halte mich nicht für suizidgefährdet, ich halte mich vorallem für leer, ängstlich und klein.
Ich hatte noch nie einen Entschluss, meinem Leben ein Ende zu setzen.
Ich habe ja viel zu viel Angst vor dem Tod. Aber Angst habe ich eben auch vor dem Leben.

Ich habe Angst davor, dass diese Menschen denken könnten, sie hätten etwas merken müssen oder es läge an ihnen. Denn so ist es nicht.

Es liegt an allem. Aber nicht an den Menschen, die ich liebe.

Das sind die Menschen, die mir Halt geben und an die ich so oft denke, wenn mich dunkle Gedanken umhüllen und mir versuchen einzureden, es wäre besser, ich wäre nicht hier oder, dass ich nirgendwo dazu gehörte.

Doch. Ich gehöre dazu.
Und zwar zu meinen Freund*innen, zu meiner kleinen Familie, zu meiner Mama, die mich ohne wenn und aber liebt und zu meiner Schwester, auf die ich so stolz bin und die mir dennoch oftmals ein völliges Rätsel ist.

Und ich gehöre in unsere Wohnung. Ich gehöre genau hier an die Seite meines wundervollen Freundes und unserer beiden Katzen. Ich gehöre in unser Bett, in dem wir seit zwei Jahren jede Nacht kuschelnd einschlafen und uns in den Armen halten.
Genau das ist mein Ort.

Und genau diese Menschen möchte ich nicht alleine lassen. Diese Menschen möchte ich nicht traurig machen.
Ich fühle mich falsch und schlecht und ich schäme mich dafür, dass ich so viel Angst und Traurigkeit in mir trage. Es ist mir peinlich und ich werfe es mir selbst vor, weil diese Menschen doch so viel dafür geben, dass mein Inneres völlig anders aussieht.
Sie sollen sich nichts vorwerfen und sich nicht verurteilen oder traurig für und um mich sein.
la espera ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.03.2022, 21:14   #2
weiblich MerjaSinovsk
 
Benutzerbild von MerjaSinovsk
 
Dabei seit: 03/2022
Beiträge: 65

Gut geschrieben. Ich kann mich voll darin wiedererkennen, als ich für die Prüfungen gelernt habe. Aber Angst macht alles nur noch schlimmer, so banal es auch klingt. Die Note war dann dementsprechend nicht gut.
Vielleicht hilft es ja, wenn du dir einen guten Coach suchst und an deinen Lernmethoden arbeitest. Vielleicht ist auch die Schule bzw. Uni einfach schlecht.
Dann könnte ein Wechsel helfen. Wenn du gleichzeitig persönliche Probleme hast, könnte es daran liegen.
Selbst wenn du die Prüfung nicht so bestehst wie du dir vorstellst, wirst du nicht sterben, krank werden, einen Angehörigen verlieren, usw. Mir ist schon klar, dass dies ein schwacher Trost ist. Wie du selber schreibst, sind die Noten lediglich Wertungen anderer. Diese können durchaus sehr subjektiv sein (weiß ja nicht, wofür du lernen musst).
Selbst wenn sie zutreffen, ist es auch nicht schlimm. Nicht jeder kann zur "Elite" oder den Besten gehören, die Mehrheit ist durchschnittlich intelligent. Manche werden immer "nur" im guten Mittelfeld bleiben. Wie schon gesagt, davon geht die Welt nicht unter. Immerhin weiß man dann besser, wo man steht.

LG
Merja
MerjaSinovsk ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 04.03.2022, 21:55   #3
weiblich C.Alvarez
 
Benutzerbild von C.Alvarez
 
Dabei seit: 07/2006
Ort: Mauritius, stella clavisque maris indici
Beiträge: 4.889

Liebe la espera,
was du beschreibst erscheint mir wie ernsthafte Angststörungen, ich bin selber davon betroffen und kenne die Symptome.
Aber ich habe, wie alle anderen hier, nicht die Kompetenz durch eine fachliche Ausbildung hier Diagnosen zu stellen oder wirksame Hilfe anzubieten, was sowieso nur über persönlichen Kontakt funktioniert. Auch halte ich nichts davon banale tröstende Worte anzubieten wie in dem ersten Kommentar. Das ist nicht hilfreich und bringt meiner Erfahrung nach gar nichts.
Ich kann dir nur ernsthaft raten, dir therapeutische Hilfe zu suchen, es ist kaum möglich allein aus dieser Situation herauszukommen. Auch das sage ich dir aus eigener Erfahrung.
Spreche mit einem Arzt, schildere das, was du hier beschreibst, lass dich zu einem guten Therapeuten überweisen, der kümmert sich auch um die Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Scheue dich nicht mit deinem Arzt und deinem Therapeuten offen und ehrlich über deine Probleme zu reden, nur so können sie dir helfen. Es muss dir nicht unangenehm sein und keiner betrachtet mentale Störungen als Makel.
Mehr kann ich dir nicht raten.

Alles Gute

Corazon
C.Alvarez ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Angst - Auszüge aus meinem Tagebuch

Stichworte
angst, liebe, tagebuch



Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Das Tagebuch des S. Schmuddelkind Kolumnen, Briefe und Tageseinträge 19 06.11.2018 12:24
Auszüge aus dem Tagebuch eines weinenden Lächeln(s) Leandra Kolumnen, Briefe und Tageseinträge 32 22.11.2016 01:37
Tagebuch wolfgang.jatz Lebensalltag, Natur und Universum 0 15.11.2014 21:49
zen-gedicht (hsin-hsin-ming, auszüge) Wowiri Philosophisches und Nachdenkliches 4 05.02.2012 19:51
Tagebuch Lady Chaos Düstere Welten und Abgründiges 0 18.07.2008 13:23


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.