Das Ende einer Seite

[Elysium]

Heut ist ein wirklich guter Tag zum Sterben.
Ich mein nicht mich, ich meine das Papier!
Kein Ringen mehr um Adjektive, Verben,
ich nehm die Seite. Und begrab sie hier.

Doch erst zerreiß ich sie in Stücke.
Ach welche Lust: das Fetzen und Vernichten!
Wie oft bewies sie letztlich ihre Tücke,
blieb leer und lies sich nicht bedichten.

Ich schaufle ihr die letzte Ruhestätte.
Nie mehr soll Cellulose Musen killen!
Als ich die Schnipsel sanft ins Erdreich bette,
hab ich, nicht sie, den allerletzten Willen.

Ein Kreuz aus Holz mit Inschrift darf nicht fehlen.
„Hier ruht die Seite 1“ so steht‘s geschrieben.
Ich bin so froh, ich kann es nicht verhehlen.
„Sie war mein Schmerz, ich konnte sie nicht lieben.“

Was fühle ich mich frei von Dichtungs-Qualen!
An meinen Schreibtisch kann ich mich nun setzen.
Am neuen Laptop mailen oder malen.
Doch „nein!“, was muss ich sehen, welch Entsetzen:

Dort liegt im Sonnenschein ne leere Seite.
Ganz blütenweiß und rein lässt sie sich sehen.
Ich springe schreiend auf und such das Weite.
Warum kann ich dem Dichten nicht entgehen?

[MiauKuh]

Weil leere Blätter sind wie ein Fels, aus dem sich alles hauen lässt
alles ist möglich und das ist so eine schöne Einladung.

[gummibaum]

Liebe Elysium,
so geht es mit den Süchten. Ehe man sich versieht, haben sie einen schon wieder am Wickel.
Es ist eine gute Idee, das ins extreme zu treiben: den erlösenden Tod der Seele mit erschreckender Auferstehung zu begraben.
Die tragikomische Handlung und lockere Wortwahl wirken durch die durch 24 gleich langen Verse/Sätze wie in eine Steinplatte gemeißelt. So gerne sich ihr nähert, man möchte nicht darunter liegen.

Sehr gerne gelesen.
LG g

[Elysium]

Zitat von MiauKuh

Weil leere Blätter sind wie ein Fels, aus dem sich alles hauen lässt
alles ist möglich und das ist so eine schöne Einladung.

Dss stimmt. Aber die Angst des Dichters vor der leeren Seite ist ja geradezu ein kanonisches Motiv. Danke fürs Lesen und Kommentieren.

[Elysium]

Zitat von gummibaum

Liebe Elysium,
so geht es mit den Süchten. Ehe man sich versieht, haben sie einen schon wieder am Wickel.
Es ist eine gute Idee, das ins extreme zu treiben: den erlösenden Tod der Seele mit erschreckender Auferstehung zu begraben.
Die tragikomische Handlung und lockere Wortwahl wirken durch die durch 24 gleich langen Verse/Sätze wie in eine Steinplatte gemeißelt. So gerne sich ihr nähert, man möchte nicht darunter liegen.

Sehr gerne gelesen.
LG g

Ein erwägenswerter Zugang zum Gedicht mit tiefgehenden Ansatzpunkten. Wie immer wertvoll und sehr wilkommen. Danke Dir für die Beschäftigung mit dem Text. Auf bald!