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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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13.09.2024, 10:10 | #1 |
Die letzten Worte des Charles Bossut
Die letzten Worte des Charles Bossut
Betreten verharrten Vertraute und Erben. Die Nacht brach herein und ein Mann lag im Sterben. Benetzt war die Haut auf dem Kopfe, dem kahlen, ermattet lag stöhnend der Meister der Zahlen. Verschlossen die Lippe, ermüdet die Lunge, verwässert die Augen und reglos die Zunge. „So sag' uns doch bitte, Verehrter, Geschätzter: Wie lautet Dein sehnlichster Wille, Dein letzter?“ Doch hüllte – der Abend begann sich zu neigen - der große Bossut sich in finsteres Schweigen. Da trat zu der kühlen und nächtlichen Stunde Kollege Maupertuis ganz sacht in die Runde. Er fasste Bossut an den blutleeren Händen und meinte, das Schweigen, es müsse nun enden. Dann fragte der Forscher, verlockend und zart: „Oh, sag' mir, mein Freud: Was sind zwölf im Quadrat?“ Zu hören im Saale, ganz leis' an der Wand nur, war einzig das Ticken der hölzernen Standuhr. Und plötzlich begann, mit Erzittern und Beben, der schmachtende Sieche den Blick zu erheben, die kraftlose Lunge mit Luft voll zu saugen, erkannt' den Kollegen mit wäss‘rigen Augen. Erstarrt auch die Erben, die Blicke verwundert, Da dröhnte der matte Malade „Einhundert...“, pedantisch ertönte von hinten: „Er irrt sich!“, da brüllte der Sterbende laut: „...vierundvierzig! Die Stimme verhallte im schmucklosen Zimmer. Dann seufzte Bossut und verstummte für immer... *Charles Bossut (1730 - 1814) war ein französischer Mathematiker und Ingenieur **Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698 – 1759) war ein französischer Mathematiker, Astronom, Naturforscher und Philosoph, der das Prinzip der kleinsten Wirkung entdeckte ***Original-Anekdote aus: Das Anekdotenbuch / Verlag Fischer HÖRVERSION: https://youtu.be/CyIkhamHjxI Geändert von Georg C. Peter (13.09.2024 um 15:09 Uhr) |
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13.09.2024, 10:53 | #2 |
Der Geist der Mathematik
Hallo Georg,
im Gegensatz zu mir stellst Du ja die wichtigsten Protagonisten in aller Kürze in der Fußzeile vor - was allerdings gleich die nächste erstaunte Frage nach sich zieht: Der gute Bossut müsste ja laut seiner Lebensdaten im Jahr 1814 auf dem Sterbebett gelegen haben - da war jedoch Kollege Maupertuis laut gleicher Quelle bereits 55 Jahre tot. Ist es demnach sein Geist, der in Deinem Gedicht erscheint, um seinen jüngeren Kollegen endlich zu sich ins Jenseits zu holen? Danke und viele Grüße Epilog |
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13.09.2024, 11:06 | #3 |
Hallo Epilog,
ich liebe einfach die Foren, allen voran Poetry.de! Wieder einmal hat mich die "Schwarmintelligenz" (gemeint bist in diesem Falle Du) vor einem schlimmen Fehler bewahrt. Dein - wohl begründeter - Einwand ist noch nicht einmal dem Fischerverlag aufgefallen. Geschweige denn einem vorherigen Leser meines Gedichts (und noch nicht einmal mir...). Tja, was tun? Gedicht in die Tonne kloppen? Wäre eigentlich schade... Vielen Dank für Deine Anmerkungen und viele Grüße, Georg |
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13.09.2024, 11:55 | #4 |
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.707
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Lieber Georg,
grandios, das hast du einfach drauf! Vorschlag: Da trat zu der kühlen und nächtlichen Stunde der Geist von Maupertuis ganz sacht in die Runde. Oder: Im Geiste bzw. Im Wachtraum. LG Nöck |
13.09.2024, 12:33 | #5 | |
Forumsleitung
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Zitat:
In Schillers "Maria Stuart" gibt es ein Rededuell zwischen den Königinnen; in Wahrheit sind sie sich nie begegnet. In Dan Browns "Da Vinci Code" macht der Progagonist eine Reise durch Städte und Länder, die in der Abfolge der Zeit so nie hätte stattfinden können. Auch Kehlmanns "Die Vermessung der Zeit" ist mehr Phantasie als Wahrheit. Galilei hat nie den Satz gesagt: "Und sie bewegt sich doch" (das wussten die Wissenschaftler und Kirchenleute längst, das wusste man sogar schon in der Antike), sondern das gibt es nur in Brechts Theaterstück. Man sollte auch in Cäsars "Der Gallische Krieg" nicht allzu ernst nehmen wenn er schreibt, dass sich die Elche im kühlen Norden der germanischen Länder zum Schlafen an die Bäume lehnen. Und wer nimmt wirklich dem Protagonisten in einem Roman wie "Der Marsianer" ab, man könne durch Kartoffelanbau und dem Gewinnen von Kondenswasser auf dem Mars so lange überleben, bis eine Rettungsmission eintrifft? Und was Anekdoten angeht: Als Goethe starb, sollten seine letzten Worte gewesen sein: "Mehr Licht!" Daraus wurde die scherzhafte Überlieferung: "Ei, des warn Frankforter Bub. Der konnt de Satz net fertisch babbele. Was der saache wollt, war, 'mer liescht hier so schlecht'." Zum Gedicht an sich: Es liest sich flüssig und interessant, jedenfalls für mich, weil ich die Namen der Protagonisten noch nicht kannte. Gestolpert bin ich jedoch über die "verblichenen Augen", denn da dachte ich, bei Bossut handele es sich um einen bereits Verstorbenen. Verblichene Augen sind tote Augen. Vielleicht hätte hier "ermüdete Augen" erst einmal ausgereicht. Aber sonst: Nichts zu meckern. Vive la phantasie! LG Ilka |
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13.09.2024, 13:25 | #6 |
Stelldichein der Geistesgrößen
Hallo Georg und die anderen,
wäre auch aus meiner Sicht alles problemlos machbar. Eine kurze Wiki-Recherche brachte mich dann auch noch auf die namentlich nicht völlig unbekannten Mathematiker Laplace (1749-1827) oder Legendre (1752-1833) als "zeitlich passende" Alternativkandidaten. Ein nochmaliges Durchlesen Deiner schönen Anekdote brachte mir dann außerdem noch die Erkenntnis, dass wohl eine weitere Geistesgröße zeitlich, räumlich und thematisch disorientiert dabei gewesen sein muss: „Oh, sag' mir, mein Freud: Was sind zwölf im Quadrat?“ Liebe Grüße Epilog |
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13.09.2024, 13:51 | #7 |
Forumsleitung
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Das reizt mich mal wieder zu einem Kommentar. Diese Formulierung war mir nämlich fremd. In meiner Schulzeit sagte man: "... zum Quadrat."
Welche Formulierung leuchtet mehr ein, "im Quadrat" oder "zum Quadrat"? Ich finde, beide sind logisch. Wenn in einem Quadrat zwölfmal die gleiche Größe steckt, ist das bildlich dargestellt. Man könnte es anhand gleich großer Rechenkästchen aufmalen und hinterher einhundertvierundvierzig Kästchen abzählen. Sagt man "zum Quadrat", ist das abstrakt und durch die Hochstellung der kleinen "2" ausgedrückt, quasi symbolisch. Auswendig gelerntes Schulwissen. Großes Einmaleins: zwölf mal zwölf ist einhundertvierundvierzig. Man weiß es einfach, weil man es gepaukt hat. Das brachte mich zu der Frage, wie man Potenzen im Englischen ausdrückt. Ich fand zunächst nichts, musste mir also ein paar youtubes anschauen. Aha, dort heißt es "to the power of ...". Aber nicht immer. Bei Quadaratzahlen kann man auch "squared" sagen. Demnach wäre: 4 hoch 2 : "four squared" oder "four to the power of two". Am sichersten ist man also im Englischen mit der Macht, mit "power of three", "power of four" usw. Ein Aspekt, der weiterdenken lässt. |
13.09.2024, 14:54 | #8 | |
Zitat:
ich beginne mit Deinem Zitat, da ich tatsächlich bei Deiner Anmerkung etwas auf dem Schlauch stehe...welche weitere Geistesgröße meinst Du wohl? Aber vielen Dank für Deine Anmerkung und viele Grüße, Georg Hi Nöck, alter Schienenrätselmeister, erstmal vielen Dank für den „Daumen hoch“! Der Verbesserungsvorschlag ist sehr gut, einzig überlege ich, ob der Geist nicht etwas Verwirrung beim Leser stiftet? („Warum ein Geist? Was hat es mit diesem auf sich? Geht es hier um etwas Metaphysisches?“). Für mich hat diese Anekdote bereits jetzt schon mehrere Ebenen, bzw. „Sub-Texte“: - Erstens geht es um die natürlichen Reflexe eines Menschen. Im vergangenen Jahr begleitete ich eine nahe Verwandte bei ihrem Sterbeprozess. Sie war nicht mehr ansprechbar, aber wenn man ihren Lieblings-Kanon sang, summte sie leise mit. Auf diese Weise versucht der Kollege Maupertuis seinen Freund zurück ins Leben zu holen. - Der Protagonist selbst lebt bereits in einer anderen Welt. Aber diese – vergleichsweise einfache – Frage lässt ihm keine Ruhe und führt ihn wieder zurück in die Jetztzeit. Dabei verausgabt er sich allerdings sehr und beschleunigt dadurch seinen eigenen Sterbeprozess. - Außerdem geht es um die versammelten Erben, Freunde und Bewunderer. Sie erwarten große, wichtige Worte am Ende des Lebens eines großen Mathematikers. Bei der beantworteten Frage schöpfen sie neue Hoffnung. Dabei bleibt es allerdings. Mehr als die - triviale – Lösung einer Rechenaufgabe ist leider nicht mehr drin. An dieser Stelle hat für mich die Anekdote auch einen etwas heiteren Aspekt: Die neugierige, indiskrete, geradezu gaffende Hoffnung der Anwesenden wird nicht erfüllt. Vielen Dank für den Vorschlag und viele Grüße, Georg Liebe Ilka, „Das Anekdotenbuch“ vom Verlag Fischer ist 1979 erschienen, es enthält insgesamt 4.000 Anekdoten. Im Vorwort schreibt der Herausgeber Dieter Lattmann: Um die Wahrheit zu sagen: ich kann mich für die Wahrheit nicht verbürgen – das ist die mehr oder weniger geheime Überschrift, die wohl jeder Anekdotenherausgeber seiner Auswahl aus dem Treibhaus der Überlieferung und der eigenen Fundgrube voranschicken muß. (Zitat Dieter Lattmann, "Das Anekdotenbuch!"/ Verlag Fischer) Ich denke, darum geht es dem Verlagsmitarbeiter: Kursierende Erzählungen werden erfasst, eventuell mit anderen Versionen verglichen und am Ende wird entschieden, ob der Wahrheitsgehalt und der Unterhaltungswert die Veröffentlichungen rechtfertigen. Bei der Veröffentlichung von 4.000 (!) Anekdoten ist man bezüglich der Quellenforschung vielleicht auch nicht gar zu pedantisch. Wenn man sich die Kriterien einer Anekdote ansieht, müssen drei Kriterien erfüllt sein: Sie sollte möglichst kurz sein, sie sollte eine schöne Pointe besitzen und – zuletzt – der Charakter der betreffenden Person sollte möglichst exakt getroffen sein. Vom Wahrheitsgehalt erfährt man in der Definition nichts. Vielleicht war in Wahrheit ein anderer Mathematiker anwesend, der diese Frage gestellt hat und man hat später seinen Namen gegen den berühmteren des Maupertuis ausgetauscht. A propos Anekdote: Dass in “Der Gallische Krieg“ von Caesar erwähnt wird, dass sich im Norden die Elche zum Schlafen an die Bäume lehnen, finde ich überaus köstlich und wusste ich bis dato nicht. Danke für den Hinweis! Zuletzt vielen Dank für die lobenden Worte und den Hinweis auf die „verblichenen“ Augen: Du hast recht, „verblichen“ setzt man mit „sterben“ gleich. Es war ein Synonym für „trüb“, führt aber zu Missverständnissen. Ich suche noch das passende Wort, „verwässert“ oder „verschleiert“ kämen in Frage. Viele Grüße nach Frankfurt, Georg PS: Mir waren, als Mathe-LK Schüler, mehrere Formulierungen vertraut: „12 zum Quadrat“, „12 im Quadrat“ und „12 Quadrat“. Und: Tatsächlich habe ich im Englischen auch eindeutige Übersetzung gefunden! |
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13.09.2024, 15:24 | #9 |
18.09.2024, 08:42 | #10 |
Hi Epilog,
Äh, ich bin mir nicht ganz sicher, was 144 oder 12 zum Quadrat mit Siegmund Freud zu tun haben könnte. Meinst Du eventuell die exponentielle Steigung der x-y- Darstellung der quadratischen Funktionen? Hallo Ilka, ich habe nochmals über „12 zum Quadrat“ und „12 im Quadrat“ nachgedacht: Um ganz sicher zu gehen, habe ich mir die Originalanekdote (Verlag Fischer) nochmals angesehen. Darin steht tatsächlich „Wieviel ist 12 im Quadrat?“ Insofern würde ich doch gerne das Original übernehmen, bzw. behalten (obwohl ich zugeben muss, dass mir Dein Vorschlag „zum Quadrat“ als Ausdruck geläufiger erscheint). Bezüglich des früheren Ablebens von Maupertius gab die Originalanekdote einen weiteren Hinweis: Sie stand nicht unter dem Namen „Bossut“, sondern sie wird als Anekdote über „Maupertuis“ aufgeführt. Insofern ist wohl Charles Bossut der erfundene Name in der Geschichte (Dank auch an Epilog für die Auflistung weiterer in Frage kommender Mathematiker). Nun ist für mich einigermaßen klar, wie ich das Gedicht in einem Buch veröffentlichen würde: Mit einem Hinweis auf die Original-Anekdote vom Fischerverlag und der Vermutung, dass es sich in Wirklichkeit bei dem Sterbenden nicht um Bossut, sondern um einen anderen Mathematiker handeln muss (und mit der Nennung von Bossut man dem Prominenten wohl eine besondere Ehre zuteil kommen lassen, bzw. die Anekdote aufwerten wollte). Einziges Problem: Dann brauche ich einen neuen Titel... Viele Grüße an Euch beide von Georg PS: Den "Geist-Vorschlag" von Nöck lassen wir mal außen vor, aber Danke für den Tipp |
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18.09.2024, 10:42 | #11 |
Wenn der Tipper den Kalauer herausfordert
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02.10.2024, 17:53 | #12 | |
Zitat:
nein, ich muss mich entschuldigen und stand völlig auf dem Schlauch: Den "Freud" habe ich zigfach - und nicht nur ich - überlesen! Vielen Dank für den Tipp und viele Grüße, Georg PS: Falls Ilka das zufällig liest: Über eine kleine Korrektur (Freud => Freund) würde ich mich freuen. |
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