Die Abrechnung

[Ilka-Maria]

Statt seiner Geldbörse zog der Kunde eine Pistole aus der Seitentasche seines Saccos und zielte auf Florians Kopf. "Sechsunddreißig vierundzwanzig", las Florian laut vom Display ab. Aber als er sich, dem Kunden zugewandt, der Bedrohung gewahr wurde, schaltete sein Gehirn von Routine auf Ratlosigkeit um. "Was soll das geben, Siggi?" Er schaute auf den Stauraum hinter der Kasse, in dem Siegmunds Waren lagen, ohne dass dieser Anstalten gemacht hätte, sie einzupacken.

"Kann ich dir sagen, Flori", knirschte Siggi, griff in die Seitentasche seine Saccos und fischte einen Fünfzig-Euro-Schein heraus, den er Florian auf die Kassentheke warf. "Du kassierst, und dann kommst du aus deinem Kabuff. Ich halte dir meinen Einkaufsbeutel hin, und du packst mir feinsäuberlich meinen Einkauf hinein."

"Hast du sie noch alle?"

"Hör zu, Flori, nur weil wir jahrelang auf dieselbe Schule gegangen sind, erlaube ich dir nicht, mit mir so zu reden. Ich war nicht der Klassenprimus, aber alles andere als blemblem."

"Ich will hier nicht über Schulzeiten reden", erwiderte Florian mit Blick auf die Schlange, die sich an der Kasse gebildet hatte. "Ich habe einen Job zu erledigen. Und jetzt pack dieses Spielzeug weg."

"Das ist kein Spielzeug, Flori. Die Waffe ist scharf. Soll ich es dir beweisen?"

Florians Mimik verriet Unsicherheit. Sein Blick hing an den Kunden in der Schlange. Warum nahm niemand sein Mobilphone in die Hand, um die Polizei zu rufen?

"Was willst du, Siggi?"

"Wie du nicht über die Vergangenheit reden", erwiderte Siegmund. "Sondern über das, was jetzt Sache ist." Er beugte sich über das Laufband und hielt Florian die Pistole an die Schläfe. "Schick die Leute raus und lass den Laden abschließen."

Florian nickte einer Kollegin zu. "Marlis, raus mit euch und der Kundschaft. Lasst keinen mehr rein." Und zu Florian: "Sobald sie raus sind, werden sie die Polizei rufen. Dann bist du geliefert."

"Ist mir egal", erwiderte Siegmund und steckte die Pistole ein. "Jetzt sind wir unter uns. Anders war mit dir ja nicht zu reden."

"Also nochmal: Was willst du?"

"Das Einfachste von der Welt: Ich will an der Kasse deines Supermarkts nicht mehr gehetzt werden wie ein Wild in einer Treibjagd. Ich will nicht, dass mir jemand, dem ich nicht schnell genug bin, mit seinem Einkaufswagen in die Hacken fährt und mir wehtut. Ich will nicht mit meinen Einkaufswagen vor das nächste Auffanglager für meinen Einkauf getrieben werden, bevor der Kunde vor mir seinen Einkauf bezahlt hat und ich mir zehn Hände wünschen muss, um meine Sachen in Schallgeschwindigkeit einzupacken, weil schon der Glumpert des nächsten Kunden nachrutscht. Und ich will mit Bargeld bezahlen statt mit einem wertlosen Stück Plastik."

Florian sah Siegmund entgeistert an. "Sonst noch was, du Spinner?"

Siegmund grinste. "Durchaus. Du wirst mir den Einkaufsbeutel zum Auto tragen. Ich mache den Kofferraum auf, und du stellst den Beutel in genau die Ecke, die ich dir anzeigen werde."

Florian grinste zurück, öffnete die Kasse und gab Siegmund das Wechselgeld. "Genug Theater. Bei allem Verständnis bist du bei mir an der falschen Adresse. Ich mache die Regeln nämlich nicht. Also pack deine Sachen selber ein und hau endlich ab."

Als die Polizei kam, war die Kassenlade noch offen, aber in ihr fehlte kein Cent. Siegmund ließ sich widerstandlos festnehmen. Die Kunden konnten zum Hergang an der Kasse keine gesicherten Angaben machen, weil sie entweder mit ihrem Einkauf beschäftigt waren oder über ihr Mobilphone kommunizierten. Florian konnte nicht mehr aussagen.

[Epilog]

dieser Satz

Zitat von Ilka-Maria

Er schaute auf den Stauraum hinter der Kasse, auf dem Florians Waren lagen, ohne dass dieser Anstalten gemacht hätte, sie einzupacken.

macht meines Erachtens nur Sinn, wenn dort statt "Florians" "Siegmunds Waren" stehen würde. Oder hat mich die verrückte Geschichte schon selbst vollkommen kirre gemacht?

Siggis Beweggründe kann ich aber (immer öfter) ganz gut nachvollziehen - zum Glück meiner Umgebung trage ich bloß keine Pistole in der Innentasche ...

Beste Grüße für ein schönes Wochenende

Epilog

[Ilka-Maria]

Zitat von Epilog

dieser Satz macht meines Erachtens nur Sinn, wenn dort statt "Florians" "Siegmunds Waren" stehen würde. Oder hat mich die verrückte Geschichte schon selbst vollkommen kirre gemacht?

Richtig, mein Fehler. Bei Namen muss man höllisch aufpassen, nicht das erste Mal, dass ich sie durcheinandergebracht habe. Aufmerksame Leser, denen so etwas auffällt, sind ein Segen. Wird natürlich korrigiert. Bei dieser Gelegenheit habe ich auch die Präposition (in dem ... Siegmunds Waren lagen) korrigiert.

Ja, die Story ist überspitzt, aber manchmal möchte man um sich ballern.

Besten Gruß zurück und auch dir einen schönen Sonntag,
Ilka