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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken. |
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08.09.2005, 00:42 | #1 |
Sedimente des Schweigens
Sedimente des Schweigens
Ich gehe von einem Zimmer ins nächste und das halbe Jahr ist vorüber. Die Tochter kennt neue Worte, trägt hübsche Kleider und möchte alleine durch die Stadt gehen - ohne mich. Ich schreibe Gedichte und wünsche weit mehr zu vergessen als nur meinen Namen; z.B. wie man Tränen zurück hält oder wie man den eigenen Sohn schlägt. Die Sonne steht jetzt immer auf Augenhöhe. Bei geschlossenen Lidern zeichnen Blendstreifen das Bild einer Frau; der Frau, die es eigentlich ist. Doch auch sie kann mich nicht verstehen. Welche Verzweiflung hat diese Kinder auf die Schienen getrieben? Was wussten sie in den Sekunden bevor der kreischende Stahl sie zer- schnitt. Ich schreibe Gedichte, nur Gedichte. Die Toten sind nicht gern allein. Ein einziges Mal sprach mein Vater, Halbwaise, das Wort „Papa“ in meinem Beisein aus. In diesem Moment überfiel mich die Trauer einer ganzen Familie. War er verzweifelt, wenn er mich schlug? Hat er mich aus Liebe an die Grenze der Ver- achtung getrieben? Wie groß die Schnittmenge unserer Gedanken ist, werde ich nie erfahren, denn man spricht nicht bei vollem Bewusstsein. Der junge „zu Betreuende“ hat nur verbal die Hand gegen mich erhoben. Man bleibt dann im Wege stehen und tut möglichst ungerührt. Wenn Macht, dann du, sagt die Supervisorin. Dieses Mädchen, das ich zu berühren versäumte, tanzte fast 15 Jahre durch meine Träume. Ihr Name geht noch heute wie ein Reibeisen durch das vernarbte Innere meiner Brust. Wo ist sie jetzt? Die Liebe meiner Mutter fühlte sich oft genug an als sei man gezwungen das Gesicht in eine Kuchenform zu pressen. Ich war nie das Beste. Aber ich sehe täglich wie verzweifelt man lieben kann. Seit ich die Staffelei aus Wut zerbrach und verbrannte sind Jahre vergangen. Noch immer kann ich nicht mit Farben umgehen. Dabei habe ich mich stets als Maler gesehen. Was wäre, könnte ich wirklich wählen? Keine Nummer auf meiner Brust sagt, was ich zu tun oder zu lassen habe. Kein Lehrer hat uns über das spezifische Gewicht unausgesprochener Worte aufgeklärt. Doch mein Fuß tritt jeden Tag tiefer! Und nur die Gräber schweigen nicht. |
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08.09.2005, 00:46 | #2 |
ich habe mich verliebt - in diesen schluß - er ist wunderbar. sonst auch. aber das beste kommt zum schluß.
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08.09.2005, 00:49 | #3 |
42 Minuten zu spät um noch in den aktuellen Nominierungsthread für das Gedicht des Monats gepostet zu werden.
Jemand muss mich daran erinnern dies gleich nachzuholen wenn ich den nächsten eröffne. Einfach nur klasse... Blue |
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08.09.2005, 00:50 | #4 |
@ ravna:
Danke Dir. So nackt wie in diesem Gedicht habe ich mich nie gefühlt. Off-Topic: Dein Postfach ist voll. Wollte Dir eine PN schicken... @ Bluestar: Pass mal auf Du: Ich habe mich hier weiterentwickelt. Dies Gedicht fing schon nach einem Tag an selbständig zu laufen. Nach zwei Tagen konnte ich es loslassen. Sonst brauchten sie Wochen! Bluestar, Du bist Mittäter! Schuldig der Beihilfe zur Poesie. |
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08.09.2005, 00:58 | #5 |
offtopic, too: hoffe jetzt gehts
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08.09.2005, 01:06 | #6 | |
Zitat:
Blue |
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08.09.2005, 12:26 | #7 | ||
Hi Tagedieb,
wenn ich ehrlich bin, hat dieser Text in meinen Augen nicht viel mit einem Gedicht zu tun. Ich will da ja gar nicht allzu kleinlich sein, aber hättest Du den Text nicht in Strophen unterteilt und (in meinen Augen willkürliche) Zeilenumbrüche eingefügt, käme man wohl noch nicht einmal annähernd auf den Gedanken, es läge Lyrik vor: "Ich gehe von einem Zimmer ins nächste und das halbe Jahr ist vorüber. Die Tochter kennt neue Worte, trägt hübsche Kleider und möchte alleine durch die Stadt gehen - ohne mich. Ich schreibe Gedichte und wünsche weit mehr zu vergessen als nur meinen Namen; z.B. wie man Tränen zurück hält oder wie man den eigenen Sohn schlägt. Die Sonne steht jetzt immer auf Augenhöhe. Bei geschlossenen Lidern zeichnen Blendstreifen das Bild einer Frau; der Frau, die es eigentlich ist. Doch auch sie kann mich nicht verstehen. Welche Verzweiflung hat diese Kinder auf die Schienen getrieben? Was wussten sie in den Sekunden bevor der kreischende Stahl sie zerschnitt. Ich schreibe Gedichte, nur Gedichte..." Oder? Versteh mich nicht falsch, es ist ein verdammt guter Text, der einen sehr gelungen mitnimmt und den ich gern gelesen habe. Aber es ist in meinen Augen eben eher eine Erzählung, die sich optisch wie ein Gedicht gewandet. Vielleicht sollte man diesen Text eher im Geschichtenforum posten, wobei die Strophenform ja durchaus beigehalten werden kann als Stilmittel... @Bluestar: Zitat:
Zitat:
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08.09.2005, 13:27 | #8 |
öhm...verdammt. Es war spät gestern
Und ich mag es trotzdem. Egal ob Gedicht oder Geschichte Blue |
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08.09.2005, 19:20 | #9 |
@ Don:
Du hast Recht. Der Text lässt sich wie Prosa lesen. Ich hatte schon an anderer Stelle erwähnt, dass ich diese Lyrikprosa-Grenzgänge mag. Auch "Eigendynamik" und "vaters land" (eigentlich die meisten meiner Gedichte) sind so angelegt. Befördert wird diese Lesart dadurch, dass die Texte meist ohne metrische Gestaltung auskommen müssen. Warum dann Strophen? Hier grenzen sich verschiedene Situationen scharf voneinander ab. Die Beschreibung derselben passte idealerweise immer in vier Zeilen. Die Strophen sollen zudem die im Titel angedeuteten Sedimentschichten symbolisieren. Ich denke allerdings nicht, dass der Text "eher eine Erzählung" ist. Dazu fehlt schon ein wesentliches Grundelement: der Plot. Gruß und Dank |
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11.09.2005, 22:12 | #10 |
abgemeldet
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Ich möchte nur kurz etwas anfügen:
*Gänsehaut* Es gefällt mir! Sehr sogar! |
11.09.2005, 22:48 | #11 |
Wow
Don: Warum ins Geschichten-Forum? Inlines "Gedichte" (ich setzte das jetzt absichtlich in Anführungszeichen) stehen ja auch im Gedichteforum und haben auch keine klassische Form. Also in meinem () Geschichtenforum hat das hier nix verloren Liebe Grüße, Nothingness |
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12.09.2005, 11:00 | #12 |
Die Form, die gewählt wurde, hat nur bedingt etwas damit zu tun, ob es ein Gedicht ist oder nicht.
"Fest gemauert in der Erden steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muß die Glocke werden. Frisch Gesellen, seid zur Hand. Von der Stirne heiß rinnen muß der Schweiß, soll das Werk den Meister loben, doch der Segen kommt von oben. Zum Werke, das wir ernst bereiten, geziemt sich wohl ein ernstes Wort; wenn gute Reden sie begleiten, dann fließt die Arbeit munter fort (...)" bleibt in meinen Augen ein Gedicht, auch wenn man die Strophen und Zeilenumbrüche aufhebt. "Die Europäische Kommission ist im politischen System der Europäischen Union die Regierung und als solche für das Vorschlagen von Gesetzen und die Überwachung von deren Einhaltung zuständig." bleibt ein infomativer Text (entnommen aus der Wikipedia) ohne lyrische Qualität trotz des optischen Eindruckes. Ich habe ja auch keine Verschiebung angeordnet, zweifle aber dennoch an, ob ein Gedicht vorliegt. Die Texte von Inline sind im Übrigen zum Teil grenzwertig, die Grenzen zwischen prosaischer Lyrik und lyrischer Prosa (oder ist es gar dasselbe?!) sind eh schwer zu ziehen... So finde ich die Strophenunterteilung, die Tagedieb ja nun auch begründet hat, für nachvollziehbar. Aber auch Prosa kann ja andere, optische Wege gehen. Aber nochmals: Gefallen finde ich ja an dem Text, anderes möchte ich nicht zum Ausdruck bringen. Nur Lyrik ist es in meinen Augen nicht. |
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13.09.2005, 20:51 | #13 |
@ Terrorwanze, Nothingness und Don: Danke für Eure positiven Bemerkungen.
@ Don: Jetzt ist der Text nicht mal Lyrik? Das ist ja allerhand! Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass er lyrische Elemente enthält. Und letztlich ist's ja auch schnuppe in welche Schublade er passt. |
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14.09.2005, 14:24 | #14 |
Hey, der Text ist ja mal wirklich gut *daumen geb*
Respekt, obwohl ich Don zustimmen muss und er nicht ganz ein Gedicht, aber auch keine Geschichte ist. Das Zwischending gefällt mir. Weiter so! ) |
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15.09.2005, 02:20 | #15 | |
Zitat:
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15.09.2005, 19:30 | #16 |
@ Kayoko: Ja, ich mache weiter. Danke Dir.
@ Don: Vorsicht: Verschubladungen und die Vermutung, dass Künstler bestimmte Grenzen nicht überschreiten wollten ... ups! Ich beneide Dich nicht um Deinen Job als Moderator. Ansonsten finde ich den Gedanken der Readymade-Lyrik eigentlich toll. Ich beziehe mich da auf den von Dir vorgestellten Text zur "Europäische Kommission". Was, wenn Du beim Umschreiben (Zeilenumbruch) eine andere Intention gehabt hättest? Was wenn jemand daher kommt und diesen Text gekonnt rezitiert, ihn allein dadurch in einen anderen Kontext stellt? Gibts Readymade-Lyrik schon? Recycling-Poesie? Sonst hat sie nämlich unser Don erfunden. Hipphipphurra! Da bleib ich mal dran. |
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16.09.2005, 16:04 | #17 | |
Zitat:
Wie gesagt: ich habe gegen Deinen Text hier ja auch keine Bedenken, auch wenn ich ihn woanders passender fände. Übrigens ist der Mod-Job so schwer nun auch nicht. Notfalls werden aufmüpfige User bestraft und verbannt ! P.S.: Readymade-Lyrik? Recycling-Poesie? Keine Ahnung, ob es das schon gibt. Wobei: es gibt und gab Lyriker, die haben einfach Gedichte anderer, die ihnen so nicht zusagten, einfach umgedichtet (mir fallen gerade keine Beispiele ein, kommt vielleicht noch). Das ist ja auch eine Art Recycling... |
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16.09.2005, 16:27 | #18 |
Don, ich denke, dass ich dich verstanden habe. Meine Bemerkung zur "Verschubladung" sollte auch nur auf den "Drahtseilakt" anspielen, zu dem du als Mod gezwungen bist.
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