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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt. |
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16.10.2015, 11:37 | #1 |
Nie war sie einfach nur die Seine
Er wollte niemals ihr entsteigen,
doch drängte sie ihn raus ans Licht. Ihr Schmerzensschrei zerriss das Schweigen - so laut, man hörte seinen nicht. Von all dem Blut wusch man ihn gründlich, was blieb, das waren Angst und Dreck. So wuchs er auf, voll Pein, denn stündlich ging Mutter weiter von ihm weg. Lag sie des Nachts in ihren Decken, ganz eng umfasst von jenem Mann, von dem sie oft sich ließ beflecken, sprang Wut ihn -wohl aus Ohnmacht- an. In diesem Manne sah er nie den Vater, indes den Kerl, der seine Mutter nahm. Und das – zu seiner schlimmsten Marter – bereits bevor zur Welt er kam. Nie war sie einfach nur die Seine, wie macht ihn die Erkenntnis bang. Doch nun schießt Zorn ihm in die Beine: Er tritt den Bauch, dem er entsprang. |
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16.10.2015, 19:12 | #2 | |
Zitat:
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16.10.2015, 22:41 | #3 |
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Vielleicht ist der Junge auch einfach nur eifersüchtig auf den Vater. Er liebt und gleichzeitig hasst er seine Mutter, vielleicht, weil er auf genau diese Weise entstanden ist, die ihn anekelt.
Er hätte gerne die Mutter für sich (so ja auch der Titel), das ist bei Kindern gar nicht so selten, wenn auch nicht mit diesem drastischem Ausgang. Was immer da auch schief gelaufen ist in der Entwicklung und Erziehung (die ersten drei Jahre sind prägend in der gesamten Entwicklung des Kindes), ich finde es toll, dass sich Anouk nicht auf ein Genre festlegen lässt und aus den Schubladen flieht. Und so ist ein Stoff zum Nachdenken und Diskutieren entstanden, mit treffenden Formulierungen und einem bedrückenden Schluss. Jeronimo |
16.10.2015, 23:53 | #4 |
R.I.P.
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Mir schauert, liebe Anouk
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17.10.2015, 15:27 | #5 | |
Zitat:
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17.10.2015, 18:16 | #6 |
Liebe Silbermöwe, Merith, Jeronimo
ich las neulich in einem fetten Psychologieband, der stand in einem Büro, in dem ich auf einen Termin wartete, herum. Da ich sehr lange wartete, las ich einiges über unterschiedliche Ausprägungen der Persönlichkeitsstörung. Darunter auch Ödipuskomplex und Abarten des Ödipuskomplex. Das inspirierte mich zu diesem Gedicht. Ich war ziemlich schockiert darüber, was bei Menschen alles schief laufen kann, vor allen Dingen in den ersten 3-5 Lebensjahren. Ich habe in etwa so reagiert wie Merith. Anschließend an diesem Gedicht herumzuwerkeln half mir, den gelesenen Stoff zu verarbeiten. Ich danke euch sehr für eure Kommis ! lG Anouk |
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18.10.2015, 13:55 | #7 | |
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Zitat:
Da hast du dir ja ein ziemlich schwieriges Thema ausgesucht. Zuerst einmal schockiert es; offensichtlich hat diese Entwicklung ihn zum Gewalttäter gemacht. Dein Protagonist misshandelt Frauen. Inhaltlich vermisse jedoch einen wirklich nachvollziehbaren Ansatz, um diese Entwicklung zu verstehen. S2V1und2: Man wäscht den Säugling, aber warum bleibt Dreck? Ein Neugeborenes ist noch völlig unschuldig. Meinst du, das in einer Art "Erbschuld". Ja wer weiß, vielleicht tragen wir diese Prägungen schon seit Generationen in uns, die uns zu Gewalttätern machen. Es gibt ja nicht nur die Gewalt im eigentlichen Sinn, wir sind ja, wenn wir ehrlich zu uns sind, auch wenn wir uns selbst als gewaltlose Menschen bezeichnen würden, immer wieder einmal zumindest verbal gewalttätig. Also, irgendwas muss da vielleicht noch passiert sein, damit sich das männliche Kind derart verlassen fühlte und den Vater zu hassen beginnt. Nur weil er in ihm einen Konkurrenten sieht - was ganz normal ist laut Freud (der wohl auch ein bisschen zuviel Opium geraucht hat) -, muss das ja nicht unbedingt dazu führen, dass der Bursche später ein Psychopath wird, der Frauen hasst und sie misshandelt. Was ist da also noch passiert frage ich mich? Dein Gedicht deutet da nichts an. Deshalb lässt er keinen wirklichen Spielraum für eine ergänzende Interpretation durch den Leser, finde ich. Allerdings verwendest du das Wort "beflecken", dass klingt also noch dem verkappten Zugang zur Sexualität durch die Kirche. Wurde er von einem Pfarrer missbraucht? Der erste Vers gefällt mir nicht so: Entsteigt man aus dem Mutterleib? Vielleicht findest du einen anderen Reim: verlassen - fassen - könnte gehen. Metrisch liest es sich gut. Wer sagst denn! Lieben Gruß shoshin |
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18.10.2015, 14:11 | #8 |
Liebe Anouk,
es freut mich, das Gedicht also in Richtung Ödipuskomplex richtig erkannt zu haben. Interessantes Thema, auch wenn es mich nicht geschaudert hat. Aber das liegt daran, dass ich öfters harte Kost lese (in alle Richtungen). |
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18.10.2015, 14:52 | #9 |
Liebe Anouk ,
das gefällt mir sehr - ich finde, auch diese Themen haben absolut ihre Berechtigung in der Lyrik. Die Wort sind sehr passend und ein bisschen erinnerte mich der Text an " in the ghetto" von Elvis Presley liebe Grüße Änne |
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19.10.2015, 09:04 | #10 |
@ Charis
Liebe Charis , ich habe das "entsteigen" ganz bewusst so gewählt. in einigen Heldensagen oder Märchen entsteigen die Söhne dem Mutterleib, gegurtet und mit Degen bewaffnet zum Teil. Das sah ich in einem russischen Mädchen ,wenn ich mich recht erinnere, vor vielen Jahren einmal eindrucksvoll illustriert. Natürlich ist ein Säugling nicht schmutzig. Doch wir haben es hier ja mit einem gestörten Charakter zu tun. Der "Schmutz" bezieht sich eher auf den Heranwachsenden ( nicht mehr auf den Säugling) der allein in der art und Weise, wie er gezeugt wurde und zur Welt kam ( quasi in Kot und Blut und Fruchtwasser) eine Art "Schmutz" bzw "Beschmutzung sah. Ich war , wie bereits erwähnt, sehr bestürzt als ich über die unterschiedlichsten Ausprägungen der menschlichen Psyche las. Ich habe selbst einen kleinen Sohn, wie wohl alle kleinen Jungs möchte er seine Mama heiraten, doch er hasst dabei nicht seinen Vater, im Gegenteil, der Papa ist sein Held und sein Vorbild. Leider gibt es unterschiedliche Ausprägungen des Ödipuskomplex, wo Jungens den Vater nur als Rivalen und Störenfried sehen. Und nein, hier geht es nicht um eine Vergewaltigung der Mutter durch den Ehemann. Doch der hier beschriebene gestörte Junge sieht jeden "Akt" als Beschmutzung der Mutter an. Es war ein Versuch von mir, die Bestürzung, die ich beim Lesen dieses Psychologiebandes verspürt habe, zu verarbeiten. lG Anouk @ Anna Amalia An "In the Ghetto" dachte ich nicht, aber ich kenne selbstverständlich dieses Lied und fasse es als Kompliment auf, dass es dir dabei irgendwie in den sinn kam! Danke für deinen lieben Kommi! lG Anouk |
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20.10.2015, 19:28 | #11 |
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Liebe Anouk,
Ich weiß schon worauf du hinaus willst, das war mir auch klar, aber die Dramaturgie stimmt irgendwie nicht. Es müsste für mein Gefühl deutlicher erkennbar sein, dass es sich um die Rückschau eines erwachsenen Psyochopathen handelt. Die Idee mit dieser "Heldengeburt" im ersten Vers finde ich sogar ganz hervorragend. Aber ohne deine Erklärung wirkt er eher unfreiwillig komisch. Ich glaube, dass liegt an der "objektiven" Beschreibung durch einen Dritten, was eben auch auf dieses bigotte "beflecken" zutrifft und auch auf den "Dreck" in S2. Dieses Gedicht muss für mein Gefühlt entweder aus der Sicht der Mutter geschrieben werden, die nicht fassen kann, wie ihr Sohn zu einem Psychopathen geworden ist. Aber noch besser aus der Sicht des Gestörten -was du ja schon andeutest - , eben seine ganz subjektive verquere Sichtweise spiegeln. Was hier steht - ohne das man deine Gedanken dazu kennt - ist für mein Gefühl irgendwie nicht wirklich Fisch und auch nicht Fleisch, sondern eine Mischung aus der Bestürzung einer Mutter und dem Versuch dem nachzuspüren, was gewesen sein könnte, aber es lässt mich im Regen stehen. Ich habe einen Versuche gemacht ohne auf die Metrik wirklich zu achten, nur als Beispiel nach deiner Vorlage, was ich meine, nicht als "Verbesserung" gedacht, aber das weißt du ohnehin : Ich wollte heldenhaft entsteigen, doch Mutter drängte mich ins Licht. Sie schrie anstatt zu schweigen, man hörte meine Schreie nicht. Von Blut befreite sie mich gründlich, es blieben mir die Angst und Dreck. So wuchs ich auf und stündlich ging Mutter weiter von mir weg: Sie lag des nachts unter den Decken, so eng umfasst von diesem Mann, und ließ sich willig stets beflecken, Mit Ohnmacht brandet Wut heran. Ich ehrte diesen Mann als Vater, - den Kerl, der mir die Mutter nahm - Ich spürte diese schlimmste Marter, schon lang bevor zur Welt ich kam. Nie war sie einfach nur die Meine, obwohl ich täglich um sie rang. Ich spür den Zorn bis in die Beine und trete sie, der ich entsprang. Lieben Gruß shoshin |
21.10.2015, 07:26 | #12 |
Liebe Charis,
ich finde deine Idee mit der Verbesserung großartig. So wird es direkt verständlicher, um was es geht. Ich hatte nämlich zunächst abgewartet, um zu schauen, ob andere dasselbe rauslesen wie ich, ehe ich meinen ersten Kommentar schrieb. Was auch wichtig ist: Durch das Wort "willig" wird es gleich viel klarer, dass der Mutter kein Unrecht geschehen ist. Liebe Anouk, ich habe dein Gedicht aber auch vor diesem Verbesserungsvorschlag schon zu meinen Favoriten hinzugefügt. Es ist spannend und ungewöhnlich und ich finde es toll, dass dich ein Zeitungsartikel dazu inspiriert hat. In solchen Zeilen ausdrücken, was einen dazu bewegt, das ist schon eine wunderbare Kunst. |
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21.10.2015, 10:10 | #13 |
Liebe Charis,
vielen herzlichen Dank an dich, dass du dir mal wieder so viel Zeit genommen und Mühe gegeben hast!!! Da hast du dich sehr mit meinem Gedicht und der Materie auseinandergesetzt, was mich sehr freut. Du hast Recht ( wie auch Silbermöwe sagt) so wird es deutlicher. Ich bin so oft betriebsblind bei eigenen Texten. Irgendwie kam es mir spontan, in der 3. Person zu schreiben, da ja ein Psychologe auch den jeweiligen Klienten als "dritte Person" betrachtet. Der Psychologe erfährt die Geschichte auch von "außen", auch wenn sie vom Patienten in der ich-Form erzählt wird, wird der Behandlungsbericht seitens des Psychologen in der 3. Person abgefasst. Somit kam ich irgendwie gar nicht auf die Idee ( da ja ein solcher Psychologieband meine Inspirationsquelle war) die ganze Geschichte aus der Perspektive von Mutter oder Sohn zu schreiben. Danke, das ist eine gute Idee und Du hast hier einen tollen Vorschlag abgeliefert!! Liebe Grüße von Anouk @ Silvermöwe Danke dir!!! Sei lieb gegrüßt von Anouk |
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