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Gefühlte Momente und Emotionen Gedichte über Stimmungen und was euch innerlich bewegt.

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Alt 01.02.2022, 09:55   #1
weiblich Milan
 
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Beiträge: 38

Standard Stillstand

Mein Leben ist aus den Fugen geraten,
Ein Beben hat es erschüttert, ein Tornado überfahren.
Alle Fäden hab ich verloren,
Fühl mich am falschen Platz geboren.

Ich stehe wie in einem endlosen Raum
Mit riesiger Kuppel wie im Traum.
Oben kreist mein Lebenslicht,
Doch es findet mich hier unten nicht.

Weg von allem, in mir zurückgezogen,
Beweg ich mich nicht, bin zum Stillstand gekommen.
Ich fühle nichts, bin hohl und leer,
Nicht mal der Schmerz durchdringt mich mehr.

Zuviel schon hat mein Herz gefühlt,
Zuviel wurde es aufgewühlt.
Schwarz und braun, ein trübes Gebräu
Macht sich breit und hält sich treu.

Eine Hülle nur, wie ins Koma gefallen,
Ein Zuschauer nun, kein Teil mehr von allem.
Ich merke, wie sich die anderen bemühen,
Doch ich sehe keinen Grund, etwas zu unternehmen.

Warum soll ich hierhin oder dahin gehen?
Wie kann es eine Zukunft geben,
Wenn die Vergangenheit sich auflöst, still
Und der Boden unter mir sich auftun will?

Mein Körper läutet den Notstand ein,
Ich verharre in einem leeren Sein,
Bis sich meine Abwehr den Schmerz zutraut,
Und meine Starre allmählich wieder auftaut.

Ich warte auf den einen Moment,
Der mir die Erhellung bringt,
Wenn ich lerne, was richtig ist, spüren
Und anfangen kann, mich wieder zu rühren.

Ich muss es ertragen, so lange zu kauern,
Auch wenn es falsch erscheint, mich zu bedauern.
Ich weiß mein Leben muss weiter gehen,
Ich kann nicht auf ewig hier unten stehen.

Einmal werde ich einfach losgehen,
Mich auf die Suche begeben nach meinem Ich, meinem Leben.
Ich werde meine Erfahrungen machen,
Irgendwann werde ich auch wieder lachen,

Denn jede freundliche Begegnung, die mir widerfährt,
Und jede liebevolle Berührung, die mich ernährt,
Wird nehmen ein Stück von meinem Schmerz
Und pflanzen die Liebe in mein Herz.

Auch, wenn ich noch nicht den richtigen Platz gefunden,
So sind nicht vergeudet alle Stunden,
Die ich unterwegs war ohne Plan,
Und wie ich entglitt aus meiner Bahn.

Im Laufe der Zeit, so wird es geschehen,
Wird ein Übergewicht in mir entstehen,
Zwischen guten Momenten, die mich finden
Und schmerzenden Wunden, die langsam verschwinden.

Und wenn ich so weit bin und mich besinne,
Werde ich verstehen, was ich finde:
Dass ich schon immer war, wer ich bin,
Doch ging ich verloren und fand wieder den Sinn.
Milan ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.02.2022, 09:59   #2
weiblich Milan
 
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Beiträge: 38

Lieber Leser,
ich danke dir für die Geduld, dieses sehr lange Gedicht bis zum Ende zu lesen, und ich hoffe, es hat sich für dich gelohnt.
Milan ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 01.02.2022, 21:34   #3
weiblich C.Alvarez
 
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Beiträge: 4.889

Liebe Milan,
sich selbst verloren zu haben und sich danach wiederzufinden ist für mich das schwierigste was es im Leben gibt. Ich kenne die Gefühle die du in deinen Strophen beschreibst sehr gut und ich weiss auch was die Folgen sein können. Die Verzweiflung, das Verschwimmen von Traum und Realität, die schlaflosen Nächte des Grübelns und eine unbestimmte Todessehnsucht aus dem Gefühl nur durch den Tod könne man den Schmerz, der einen auffrisst beenden. Oft ist es ein Ereignis, das einen in dieses Ungleichgewicht bringt, etwas was man nicht erwartet hat und was einen aus der Bahn warf. Glücklich ist der, der es geschafft hat sich wiederzufinden und aus dieser endlosen Schleife der Trauer herauszukommen und sich selbst wieder lieben kann. Ich sage dir ganz ehrlich, ich habe es noch nicht geschafft. Dass ich deine Gedanken verstehe liegt daran, dass ich ähnlich fühle, aber schon sehr lange und das Licht das ich oft am Ende des Tunnels sah war ein Irrlicht. Ich muss oft an den Menschen denken, der ich früher war und der mir nur noch im Traum erscheint.
Bei deinem Gedicht irgendetwas am Satzaufbau, an den Reimen, an der Grammatik zu kritisieren fände ich bei dieser Öffnung einer Seele unangemessen.

Corazon
C.Alvarez ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.02.2022, 10:27   #4
weiblich Milan
 
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Beiträge: 38

Liebe Corazon,

es berührt mich sehr, dass du so offen schreibst, ich kann dabei sehr stark deine Verletzung spüren. Es fällt mir schwer, eine Antwort zu formulieren, weil es ein sehr empfindliches Thema ist. Was könnte zerbrechlicher sein, als eine verletzte Seele.
Als ich das Gedicht schrieb, war der Auslöser am ehesten die Verzweiflung, einiger Jugendlicher aus meinem Bekanntenkreis, die mich in dieses Gefühl zurückversetzt haben, dass ich am meisten auch aus meiner Jugend kenne, eine Zeit in der die Seele besonders verletzlich ist, da man sich erst noch finden muss und wenn man aus der Bahn geworfen wird, gar nicht weiß, wie man sich helfen kann. Bei mir waren es vor allem Selbstzweifel, die das ausgelöst haben.
Mittlerweile ist es das Schwert, der Krankheit meiner Tochter, das über uns schwebt und herabzufallen droht, das manchmal das ganze Leben lähmt. Und als Mutter mit dem Kind zu leiden, fühlt sich auf der einen Seite noch hilfloser an, auf der anderen Seite weckt es den tiefen Wunsch, alles durchzuhalten und zu überstehen, in der Hoffnung, dass am Ende noch etwas anderes bleibt.
Aber es gibt in meinem Leben und in ihrem Leben auch sehr viel Gutes, so dass wir auch immer wieder auf die Beine kommen und Zeit und Ruhe finden, neue Kraft zu tanken.

Ich glaube, es gibt so viele Menschen auf der Welt, die weit mehr zu ertragen haben, wie ich es mir gar nicht vorstellen kann, die in einer Situation leben, wo kein Ende des Leidens in Sicht ist, oder die Aussicht auf ein freies Leben. Vielleicht bist auch du eine davon. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn Alpträume nicht aufhören. Ich weiß nicht, ob es Heilung geben kann, wenn man schon so viel gelitten hat, aber es gibt etwas, dass jedem Menschen gehört, das niemand wegnehmen kann. Das ist die schöpferische Kraft des Herzen. Das Herz ist in der Lage, zu fühlen, wonach es sich sehnt. Wenn es sich nach Frieden, nach Freiheit, nach Liebe sehnt, dann ist es in der Lage, das zu empfinden, dann ist dieses auch ein Teil davon. Dann möchte ich darauf vertrauen, dass dieses Gefühl, dem Schmerz entgegen wirken kann.
Denn das Recht auf ein freies Leben ist nicht von Menschen gegeben, es ist ein ureigenes Recht.
So grausam Menschen auch sein können, dieses Recht bleibt immer bestehen, und jeder noch so kleiner Gedanke, den man vom Herzen formuliert und jedes noch so unscheinbares Bild, das man vom Herzen malt, hat Recht und Bestand und ist der Beachtung wert.

Der Gedanke ist bestimmt noch nicht zu Ende formuliert, aber ich möchte es erstmal so stehen lassen.

Herzliche Grüße,
Milan
Milan ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.02.2022, 18:00   #5
weiblich C.Alvarez
 
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Beiträge: 4.889

Liebe Milan,
du hast mir so vieles zum Mitfühlen, zum Nachdenken und auch zum über sich selbst nachzudenken geschrieben, dass ich gar nicht weiss, wie ich dir meine Dankbarkeit für deine Worte sagen kann. Es hat mich mehr als nur berührt von dir und deiner Tochter zu lesen. Es gibt nichts was man sagen könnte, was wirklich hilfreich wäre und einen trösten könnte. Ich kann dir nur sagen, ich fühle mit dir.
Es gibt vieles was ich dir von mir erzählen könnte, von meinen Erlebnissen, Problemen und wie ich versuche damit umzugehen. Aber hier ist nicht der Ort das in einem Kommentar öffentlich für alle auszubreiten. Was du schreibst ist mir eine grosse Hilfe, du hast die richtigen Gedanken, ich muss viel darüber nachdenken. Ich lebe ganz allein und manchmal hilft es jemanden wie dich kennenzulernen, der gelitten hat, leidet, aber trotzdem seinem Leben einen Sinn geben kann. Du machst mir Mut dass auch zu versuchen.
Danke dafür!

Corazon
C.Alvarez ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 02.02.2022, 18:18   #6
weiblich Milan
 
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Beiträge: 38

Liebe Corazon,

das ist so schön, zu hören, dass das Gedicht dir Kraft gibt, denn genau dafür habe ich es geschrieben. Ab und zu öffne ich mein Herz und lasse ein bisschen von dem Schmerz zu, um Stück für Stück davon zu verarbeiten. Dann wieder versuche ich ihn zu auszublenden und das, was mir gut tut, zu suchen. Aber wenn man ehrlich ist, lauert er doch immer im Hintergrund.
Aber wenn man den Schmerz kennt, lässt er auch zu, dass man sich der anderen Seite bewusst zuwendet, dass man dadurch erst Recht stark wird, wenn man es schafft Schmerz in Liebe zu verwandeln.
Vielleicht schaffe ich es mal mein Gedicht über meine Tochter hier rein zu stellen, aber dafür muss ich mich erstmal sammeln. Ich bin jemand, der sich nur langsam bewegt

Winterliche Grüße,
Milan
Milan ist offline   Mit Zitat antworten
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