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Sonstiges und Experimentelles Andersartige, experimentelle Texte und sonstige Querschläger.

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Alt 05.03.2022, 15:35   #1
männlich finnrassmus
 
Benutzerbild von finnrassmus
 
Dabei seit: 03/2022
Beiträge: 1

Standard Finni sucht eine Uhr

Finni sucht eine Uhr


Wenn ein Junge in einen Uhrenladen geht, sollte man meinen, ist alles klar. Der Junge, dieser überaus freundliche und bei Jung und Alt beliebte Junge möchte eine Uhr kaufen. Doch Halt! So einfach ist es manchmal eben doch nicht. So ein Kauf kann zu Missverständnissen, zu Verwechslungen führen. Man will eine einfache Uhr und bekommt am Ende …? Ach, was rede ich lange hier herum? Begleitet mich einfach in dieses Geschäft.

„Guten Tag. Sie werden entschuldigen.“
„Aber gern doch.“, eine nette Uhrverkäuferin lächelt mich an.
„Ich suche eine Uhr.“
„Dann sind sie bei mir richtig.“
„Da hab ich aber Glück gehabt.“
„Glück?“
„Das ich sie getroffen habe.“, die Uhr-Frau lächelt.
„Was für eine Uhr sollte es denn sein, mein Herr?“
„Nicht zu klein. Die Augen, wenn sie verstehen …“
„Verstehe. Wir haben hier wunderschöne Wanduhren …“
„…Moment, junge Frau.“, unterbrach ich.
„Ja?“
„Ich suche eine Uhr für das Handgelenk. Hand, nicht Wand.“
„Ach sie möchten …“
„Ja, ich möchte.“
„Warum sagen sie das nicht gleich?“
„Hatte ich wohl nicht?“
„Nein.“
„Ich denke doch.“
„Dann hatte ich sie falsch verstanden.“
„Ich sagte „Guten Tag. Ich suche eine Uhr“. Das sagte ich vor etwa einer Minute.“
„Eine Minute? Eher zwei, oder?“
„Ich denke es war eine Minute. Allerhöchstens aber dreiundsiebzig und eine halbe Sekunde.“
„Entschuldigen sie bitte, mein Herr. Aber mit der Zeit im Besonderen kenne ich mich sicher etwas besser.“
„Das mag sein. Aber bedenken sie, ich hatte bereits in der ersten Klasse die Uhrzeit gelernt.“
„Nicht schlecht.“
„Ja, so war das in der DDR.“, sagte ich.
„In der DDR?“
„In der DDR.“
„Stellen sie sich vor, ich komme auch aus der DDR.“, sagte die Uhrengewaltige und lächelte süffisant.
„Ist nicht wahr.“
„Wenn ich es ihnen doch sage.“
„Das hört man gar nicht.“, sagte ich.
„Als Verkäuferin sollte man keinen Dialekt haben.“
„Nicht?“
„Nein.“
„Und wo kommen sie her, wenn ich fragen darf?“, fragte ich.
„Dürfen sie.“
„Also, wo kommen sie her?“
„Von hier?“
„Aus Sachsen dann?“
„Natürlich.“
„Dann kommen wir beide aus diesem schönen Land.“
„Schön?“, fragte die U(h)rfrau.
„Nicht?“
„Wie man es nimmt.“
„Also ich finde ja Sachsen schöner als Bayern.“, wusste ich.
„Aber Bayern hat schönere Berge.“
„Berge? Na, wenn es nur die Berge sind? In Oberkaka gibt es auch schöne Berge.“
„Wo bitte?“
„Oberkaka.“
„Das soll ein Ort sein?“
„Natürlich. Und noch ein schöner dazu.“
„Und wo liegt dieser Ort?“
„In Sachsen-Anhalt, vielleicht auch Thüringen. Irgendwo im Zipfel. Auf jeden Fall aber in Deutschland.“
„Zipfel?“, die Uhr-Frau kicherte.
„Warum lachen sie?“
„Wie sie das so sagen.“
„Zipfel? Wie man Zipfel eben ausspricht. Ich benutze dieses Wort sehr oft.“
„Bitte seien sie mir nicht böse. Ich meinte, weil sie doch ein wenig lispeln.“
„Ich kann nichts dafür.“
„Entschuldigen sie bitte. Aber diesen Ortsnamen habe ich noch nie gehört. Und da gibt es Berge?“
„Natürlich. Einen Hofladen, eine Hauptstraße, zwölf Katzen, an die zwanzig Rindviecher und eben erwähnte Berge.“
„Rindviecher? Woher wissen sie …?“
„Ich war in eben besagtem Dorfladen.“
Kurze Stille. Immer noch Stille. Und plötzlich: „Haha …haha …haha (hust, hust) haha (hust).“, paar Leute drehten sich nach uns um, ein kleiner Fratz popelte und ein anderer fasste sich an den Pullermann.
Die Fachfrau wischte sich mit ihrem Taschentuch ein paar Tränen aus den Augen und führte fort: „Wo waren wir noch stehengeblieben?“.
„Auskennen. Beim Auskennen. Warum meinen sie, kennen sie sich mit der Uhrzeit besser aus?“
„Nun, ich arbeite seit sechs Jahren …", die Verkäuferin kicherte immer noch. "…entschuldigen sie bitte. Ich arbeite seit sechs Jahren als Fachverkäufern in diesem Laden.“
„Ach, sie sind vom Fach?“
„Was dachten sie, mein Herr?“
„Ich dachte, sie verkaufen Uhren.“
„Ja? Das tue ich. Warum fragen sie?“
„Nun, ich denke, man kann auch als Fleischfachverkäuferin in diesem Laden stehen.“, die Uhrverkaufsfrau lachte schon wieder.
„Eine Fleischfachverkäuferin, die Uhren verkauft?“
„Stellen sie sich vor, Frau Schneider aus meiner Nachbarschaft, ist Politesse und die hat gar nichts gelernt. Was sagen sie dazu?“
„Politesse? Nichts gelernt?“
„Richtig.“
„Sie wollen mich auf den Arm nehmen, oder?“
„Nein wirklich nicht. Ich kenne Frau Schneider persönlich.“, ich beugte mich etwas näher an die Uhr-Frau und flüsterte: „Persönlich, wenn sie verstehen ...“, ich zwinkerte der Dame zu.
„Ach sie meinen …?“
„Ja …persönlich eben.“
„Das ist ein starkes Stück, aber wissen sie was?“
„Ja?“
„Genau das hatte ich mir immer gedacht.“
„Was denn? Das ich und Frau Schneider …?“
„Nein. Das Politessen nichts gelernt haben.“
„Nun, vielleicht haben einige ja etwas gelernt, aber Frau Schneider in diesem Falle nicht.“
„Aha. Das ist ja interessant.“
„Nicht?“
„Aber ich bin Fachverkäuferin für Uhren aller Art. Ich habe das gelernt.“
„Oh, würden sie zu ihrer eben getätigten Äußerung eine Frage zulassen?“
„Wie sie das sagen, mein Herr.“
„So bin ich eben.“
„Also bitte. Fragen sie.“
„Sie sagten Uhren aller Art.“
„Das ist richtig.“
„Bei mir ist letzte Woche die Wasseruhr kaputt gegangen. Sie könnten wohl nicht ein Auge darauf werfen?“
„Da haben sie mich jetzt missverstanden, mein Herr.“
„So?“
„Ja. Ich meinte Uhren, die die Zeit anzeigen.“
„Soll ich ihnen etwas verraten?“
„Gern.“
„Meine Wasseruhr kann auch die Zeit anzeigen. Man muss nur zweimal den „Mode“ Knopf betätigen.“
„So etwas gibt es?“
„So etwas gibt es, Frau …“
„…Weininger. Frau Weininger.“
„So etwas gibt es, Frau Weininger.“
„Das wusste ich wirklich nicht.“
„Nun, Frau Weininger. Sie könnten mich einmal besuchen, dann zeige ich ihnen das gute Stück.“
„Besuchen? Das gute Stück? Aber ich darf doch bitten, Herr …“
„…Rassmus. Finn Rassmus.“
„Finn Rassmus?“
„Ja. So heiße ich.“
„Darf ich sie jetzt etwas fragen?“
„Gern.“, sagte ich.
„Kommen sie zufällig aus Dänemark?“
„Hört man das wohl?“
„Nein, aber der Name.“
„Was ist mit meinem Namen?“
„Nicht so gewöhnlich, wie Hotzenplotz oder Krüppelschnack.“
„Ich kann nichts für meinen Namen.“
„Entschuldigen sie, bitte.“
„Nichts passiert und zufällig komme ich nicht aus Dänemark, sondern aus Hellendorf. Sind sie jetzt enttäuscht?“
„…Hellendorf?“, unterbrach mich die Verkäuferin. „Da kennen sie wohl nicht zufällig Familie Sethmacher?“
„Sethmacher? Aber natürlich. Herr Sethmacher hat immer die Hasen bei uns geschlachtet.“
„Hasen?“
„Stallhasen, ja.“
„Das wusste ich nicht.“
„Jetzt wissen sie es.“
„Interessant.“
„Das mit den Hasen war nicht immer interessant.“
„Nicht?“
„Nein. Ich musste als Kind mit ansehen, wie der Rammler und die Häsin ...“, ich machte eine Handbewegung in der Lendengegend.
„Nein, wirklich?“
„Wenn ich es ihnen doch sage.“
„Das ist nicht schön für ein Kind.“
„Wirklich nicht. Und deswegen habe ich auch keine.“, sagte ich.
„Kinder?“
„Nein, Stallhasen.“
„Und ich dachte doch gerade …“
„Was dachten sie, Frau Weininger?“
„Ach, es war nur so …“
„Sie dachten, ich habe keine Kinder?“
„Ich wollte ihnen nicht zu nahetreten, aber genau das dachte ich.“
„Sie werden es nicht glauben, aber ich habe wirklich keine Kinder.“
„Keine?“
„Nein.“
„Das ist aber schade.“
„Schade sagen sie?“
„Finden sie das nicht schade?“
„Ach wissen sie, meine Nachbarn haben fünf, meine Geschwister haben acht und der Hund von Frau Holzschuh hat zwölf. Da muss ich doch nicht auch noch, oder?“
Die Uhrverkäuferin überlegte. „Nein, eigentlich müssen sie nicht.“
„An der Gelegenheit hätte es ja nicht gelegen, wenn sie verstehen …“, sagte ich und grinste frech.
„Ich verstehe sie. Aber es geht mich wirklich nichts an. Wo waren wir stehengeblieben?“
„Beim Rammler.“
„Beim Rammler?“
„Nicht?“
„Nein. Moment …“, die Uhr überlegte. „…ach richtig. Sie wohnen in Hellendorf, sagten sie.“
„So, sagte ich das? Aber ich wohne nicht in Hellendorf. Was sagen sie dazu?“
„Aber sagten sie nicht eben …?“
„Ich komme aus Hellendorf, aber ich wohne da nicht. Verstehen sie das?“
„Ich glaube schon.“, sagte die Verkaufsuhr.
„Jetzt wohne ich hier in Pirna. Lindenstraße 30a.“, sagte ich noch.
„Lindenstraße sagen sie?“
„Lindenstraße.“
„Da wohne ich auch.“
Ich klopfte mir auf die Schenkel. „Das kann doch nicht sein. So ein Zufall aber auch.“
„Ich wohne Lindenstraße 12c.“
„Das ist an der Rennerstrasse vorn, oder?“, wusste ich.
„Richtig.“
„Neben der Sparkasse?“
„Genau, Herr Rassmus.“
„Wussten sie das an der Sparkasse eine Uhr hängt?“
„Ja, das weiß ich. Wenn ich aus meinem Schlafzimmerfenster herausschaue, sehe ich die Uhrzeit.“
„Das ist praktisch.“, sagte ich.
„Naja Herr Rassmus. Auch nur am Tag. Nachts sieht man die Uhr ja nicht.“
„Wissen sie, was ich sehe, wenn ich aus meinem Schlafzimmer herausschaue?“
„Vielleicht verraten sie es mir.“
„Natürlich, Frau Weininger. Nichts. Ich sehe nichts.“
„Sie sehen nichts? Das verstehe ich jetzt nicht.“
„Nun, ich werde es ihnen erklären.“
„Gern.“
„Ich habe gar kein Schlafzimmer. Was sagen sie dazu?“
Die Tante lachte. „Kein Schlafzimmer?“
„Nein.“
„Wo schlafen sie dann, wenn ich fragen darf?“
„Dürfen sie.“
„Also, wo schlafen sie dann?“
„In der Wohnstube. Klappcouch. Kariert. War nicht ganz billig und schon benutzt.“
„Ach, die war gebraucht.“
„Nicht unbedingt.“
„Das verstehe ich jetzt nicht, Herr Rassmus.“
„Nun, die Couch wurde als neu verkauft, doch als ich zu Hause im Schlitz gefummelt hatte …“
„…Moment!“, unterbrach mich Frau Weininger. „Wo haben sie was gemacht?“
„Im Sofaschlitz …gefummelt. Machen sie das nie?“
„Ich habe kein Sofa.“
„Aha. Nun, also. Und als ich im Sofaschlitz der angeblich nagelneuen Couch gefummelt hatte, fand ich einen zehn Euro-Schein, den Pik König eines Rommé-Spieles und ein Bonbon der Marke „Ricola“.“
„Soll ich ihnen einen Rat geben.“
„Gern.“, sagte ich.
„Ich würde die Couch zurückgehen lassen.“, meinte die Uhr.
„Das geht nicht mehr. Ich habe die Couch schon drei Jahre.“
„Drei Jahre?“
„Drei Jahre.“
„Eine Klappcouch sagten sie?“
„Richtig.“
„Das ist allerdings praktisch.“, sagte die Verkäuferin.
„Ja, genau so praktisch wie die Uhr an der Sparkasse.“
„Das stimmt. Ich möchte sie nicht mehr missen.“
„Und wissen sie auch, dass die Uhr an der Sparkasse ständig nach geht?“
„Nach?“
„Nach, ja.“
„Aber das ist nicht möglich.“
„Aber doch.“
„Eigentlich sollte die Uhr ein Signal aus Braunschweig bekommen.“
„Ein Signal? Vielleicht von der Haupt-Filiale der Sparkasse?“, die Uhrverkaufstante lachte.
„Nein, mein Herr. Ich wollte damit sagen, dass diese Uhr eine Funkuhr ist und das Signal einer jeden Funkuhr kommt aus Braunschweig.“
„Sie sind doch vom Uhrenfach, oder?“, fragte ich.
„Richtig.“
„Sagen sie, haben wir hier in Sachsen nicht auch Signale für Uhren?“
„Wie meinen sie das, Herr …“
„…Rassmus. Finn Rassmus.“
„Herr Finn?“
„Ich meine, müssen wir denn jeden Dreck aus dem Westen importieren?“
„Aber Herr Rassmus. Jede Uhr wird von dem Signal aus Braunschweig gesteuert.“
„Jede?“
„Jede.“
„Kann nicht sein. Meine Wasseruhr bekommt kein Signal.“
„Nicht?“
„Nein, die geht auch immer vor und zeigt viel zu viel Verbrauch an.“
„Dann baden sie vielleicht zu oft.“
„Ich?“
„Entschuldigen sie. Ich wollte ihnen nicht zu nahetreten.“
„Nein, ist schon in Ordnung. Ich dusche allerdings zwei Mal am Tag.“
„Zwei Mal?“
„Ist das zu oft?“, fragte ich.
„Nun, wenn es für sie wichtig ist?“
„Ist es, Frau Weininger.“
„Dann sollten sie zwei Mal am Tag duschen.“
„Genau. Und meine Zähne putze ich drei Mal am Tag.“
„So oft?“
„Wegen Weihnachten, wissen sie?“
„Sie putzen drei Mal Zähne jeden Tag wegen Weihnachten?“
„Ja, wegen dem Stollen.“
„Stollen? Würden sie mir das vielleicht erklären?“
„Ich mochte ihn nicht in den Kaffee tunken müssen, wie meine Oma.“
„Ach sie meinen …?“
„Ja, ich meine …“
„Das ist vernünftig von ihnen.“
„Darf ich sie etwas fragen, Frau Weininger?“
„Gern, Herr Rassmus.“
„Wie oft duschen sie so am Tag?“
„Ich?“
Ich drehte mich nach allen Seiten. „Nur eine Frau Weininger hier?“
„Nun, eigentlich fragt man das eine Dame nicht.“
„Aber sie hatten mich auch gefragt.“, wusste ich.
„Aber sie sind keine Dame, mein Herr.“
„Stimmt auch wieder. Darf ich sie trotzdem fragen?“
Die Uhr lachte wieder. „Weil sie es sind. Ich dusche jeden Abend.“
„Nur einmal am Tag?“
„Das sollte reichen, meinen sie nicht?“
„Nun, es kommt ja auch darauf an, wie man so schwitzt.“, sagte ich.
„Ich schwitze eher weniger.“, sagte die Fachfrau.
„Ich schwitze auch nur bei gewissen Gelegenheiten.“, sagte ich.
„Gelegenheiten?“
„Gelegenheiten.“
„Und was sind das für Gelegenheiten, wenn ich fragen darf?“
„Auch das dürfen sie fragen, Frau Weininger.“
„Was sind das für Gelegenheiten, bei denen sie schwitzen?“
„Vor dem Zahnarztbesuch und beim …na sie wissen schon.“
„Beim sie wissen schon? Ich hab keine Ahnung, wovon sie …“
„Sollte ich ihnen einen Tipp geben?“
„Das wäre nett. Ich weiß wirklich nicht …“
„Gut, hier der erste Tipp. Klapperstorch.“
„Klapperstorch, Klapperstorch …hmm …“
„Noch einen?“
„Storch?“, fragte Frau Wein mit inger hinten dran.
„Noch ein Tipp?“
„Moment, ich hab es gleich …“, die Gewaltige fasste sich ans Hirn. „Jetzt …jetzt weiß ich erst, was sie meinen.“, die Gewaltige lachte. „Sie sind mir vielleicht ein Schlingel, Herr …“
„Rassmus …Finn Rassmus.“
„Herr Finn Rassmus.“
„Nun gut. Darf ich sie noch etwas fragen, Frau Weininger?“
„Nur zu, nur zu.“
„Was wollte ich jetzt eigentlich in ihrem Laden?“
„Sie wollten eine Uhr kaufen.“
„Oh, genau. Jetzt hab ich es wieder. Aber ich wollte ja keine Uhr kaufen.“
„Nicht? Warum sind sie dann hier?“
„Ich hatte eingangs zu ihnen gesagt „Guten Tag. Ich suche eine Uhr“ …ich suche, verstehen sie?“
„Ach, sie wollen also keine Uhr kaufen?“
„Wenn mir eine gefällt? Vielleicht.“
„Sie wollten eine Armbanduhr, richtig?“
„Ja, genau.“
„Dann ist dieses Modell vielleicht etwas für sie?“
„Ist diese Uhr wasserdicht?“
„Oh, da fragen sie mich aber was. Moment …“, die Verkäuferin drehte die Uhr hin und her. „Ich denke schon.“
„Sie denken?“
„Ja, die Uhr ist Spritzwassergeschützt. Das steht hier, sehen sie?“
„Da steht Casio. Mehr kann ich nicht lesen.“
„Sie brauchen eine Brille, mein Herr.“
„Nein, nur eine Uhr mit großen Zahlen.“
„Oder so. Also hier steht es. Spritzwassergeschützt.“
„Spritz …was?“
„Spritzwassergeschützt.“
„Also nicht wasserdicht?“
„Nun, schwimmen würde ich mit dieser Uhr nicht.“, sagte die Verkäuferin, die vom Fach war.
„Ach wissen sie, ich kann ja gar nicht schwimmen.“
„Sie können nicht schwimmen?“
„Ich hatte vor Jahren mal das Seepferdchen angefangen. Aber als ich vom drei Meter Brett springen sollte, verließ mich der Mut und ich dachte mir: Finni, wozu in die Kaufhalle schwimmen, wenn man auch laufen kann.“
„Darf ich ihnen etwas sagen?“
„Gern Frau Weininger.“
„Das war nicht klug.“
„Was meinen sie?“
„Das sie das Seepferdchen abgebrochen haben.“
„Der Bademeister meinte seinerzeit, ich wäre ein hoffnungsloser Fall.“
„So. Sagte er das?“
„Ja.“
„Möchten sie es trotzdem noch einmal versuchen?“
„Nein, im Moment nur die Uhr hier.“
„Wenn sie meinen?“
„Also schwimmen kann ich nicht damit. Und duschen?“
„Duschen können sie mit der Uhr sicher.“
„Aha.“
„Hat die Uhr auch Datumsanzeige?“
„Nein, dieses Modell nicht.“
„Nicht?“
„Nein, leider nicht.“
„Meine Wasseruhr hat Datumsanzeige.“
„Was sie nicht sagen.“
„Sie können mich gern mal besuchen kommen.“
„Das gute Stück …verstehe.“, die Verkaufsfrau grinst.
„Wie meinen sie das?“, fragte ich.
„Na sagten sie nicht vorhin, das gute Stück ansehen.“
„Wie meinen?“
„Na die Wasseruhr.“
„Ach jetzt. Ja natürlich. Und so weit ist es ja nicht von ihnen bis zu mir.“
„Vielleicht dreihundert Meter?“, fragte die Zeitansagerin.
„Nun, ich denke, es sind 293 Meter, aber das spielt ja keine Rolle.“
„Nein, Herr Rassmus.“
„Also kommen sie?“
„Aber das geht nicht so einfach.“
„Nicht?“, fragte ich.
„Nein. Was soll ich meinem Mann sagen?“
„Ach sie sind …?“
„Ja, ich bin …leider.“, flüsterte die Verkäuferin noch.
„Leider?“, fragte ich.
„Ach, lassen sie uns über etwas anderes reden, ja?“
„Über Uhren?“, fragte ich.
„Zum Beispiel über Uhren.“
„Soll ich ihnen etwas sagen?“
„Ja, Herr Rassmus?“
„Diese Uhr würde ich nehmen. Und dann bräuchte ich noch eine Damenuhr.“
„Ach für die Frau Gemahlin?“
„Gemahlin?“
„Na die Damenuhr?“
„Ach, sie denken …“
„Nicht?“, Die Verkäuferin hob ihre schwarzen Augenbrauen.
„Nein, Frau Weininger. Ich bin noch Fräulein.“
„Fräulein?“, fragte die Uhr.
„Ach, wie sagt man denn bei einem Mann? Mir liegt es auf der Zunge …“
„Junggeselle?“
Ich klatschte mir an die Stirn. „Junggeselle. Natürlich. Wie komme ich auf Fräulein?“
„Das weiß ich auch nicht. Für wen soll denn die Damenuhr sein?“
„Das weiß ich noch nicht.“
„Nicht?“
„Nein.“
„Aber sie müssen doch wissen, für wen sie die Uhr kaufen wollen?“
„Nun Frau Weininger. Vielleicht lerne ich ja doch einmal eine nette Frau kennen.“
„Aber so ein sauberer Mann, wie sie einer sind? Sie sollten längst verheiratet sein.“
„Ich war verheiratet. Was sagen sie dazu?“
„Ach, sie waren?“
„Ja?“
„Und?“
„Und jetzt nicht mehr. Geschieden.“
„Und warum, wenn ich fragen darf?“
„Sie dürfen. Ein Mann war zu wenig für meine Frau.“
„Ach ihre Frau ist wohl …?“
„Ja ist sie.“
„Das verstehe ich nicht. Also wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre …“
„Was dann?“
„Ich hätte sie nicht betrogen.“
„Nicht?“
„Nein bestimmt nicht. So ein sauberer Mann, wie sie?“
„Und sie wollen sich nicht einmal das gute Stück ansehen?“
Die Verkäuferin kam etwas näher und flüsterte. „Inge. Ich heiße Inge und du?“
„Finn. Hatte ich das nicht schon einmal gesagt?“
„Ach ja, richtig. Finn. Und wann hättest du Zeit, Finn?“
„Ich dachte mit der Zeit kennst du dich besser aus?“
„Sagen wir, halb acht heute Abend?“
„Und was sagst du deinem Mann?“
„Die Wahrheit.“
„Die Wahrheit?“
„Natürlich. Ich sage ihm, dass ich eine Uhr inspizieren muss.“
„Die Wasseruhr?“
„Das gute Stück sollte ich besser nicht sagen, oder?“
„Nein, das wäre zu ehrlich.“
„Soll ich etwas mitbringen?“
„Mitbringen?“
„Vielleicht einen Wein oder einen Sekt?“
„Ich trinke keinen Alkohol.“
„Nicht?“
„Nein.“
„Was machen wir denn da?“
„Vielleicht eine Packung Milch?“, fragte ich.
„Milch?“
„Einen Johannisbeersaft vielleicht?“
„Johannisbeere?“
„Ich überlege mir etwas Schönes, ja?“
„Gern.“
„Ach und Finn?“
„Was denn Inge?“
„Du hast nicht zufällig …oder soll ich?“, die Verkäuferin Inge machte eine komische Handbewegung.
„Was meinst du?“
„Nun, ich habe schon zwei Kinder und von der Pille wird mir übel.“, sagte die Inge.
„Ach du meinst …?“
„Ja, das meine ich.“
„Keine Sorge. Ich bin bestens ausgestattet.“
Die Inge schaute mich von oben bis unten an und flüsterte erotisch: „Das glaube ich dir gern.“
„Sag mal Inge, darf ich dich was fragen?“
„Gern Finn.“, wieder klang das ziemlich erotisch.
„Was wollte ich jetzt eigentlich in deinem Laden?“
„Die Uhren.“
„Uhren?“
„Diese Herren-Uhr hier und eine Damenuhr wolltest du noch. Für alle Fälle.“
„Für alle Fälle?“, fragte ich.
„Also doch nicht?“
„Nein, nur diese hier. Was bin ich schuldig?“
„Vielleicht einen tollen Abend heute Abend?“
„Wirst du haben, Was kostet die Uhr?“
„Moment. Achtzehn Euro.“
„Mehr nicht?“
„Nein. Ich schenke dir die Mehrwertsteuer.“
„Wie kann ich das wieder gut machen?“
„Heute Abend, Finn?“
„Wie du meinst. Inge.“
„Ich freue mich.“
„Und ich erst. Und danke für die Uhr. Ich werde sie heute Abend tragen.“, ich lehnte mich etwas näher an die Inge. „Und andere Dinge, die du gerade an mir siehst, werde ich nicht mehr tragen.“
„Das ist vernünftig.“
„Gelle?“
„Du machst mich ganz …ich muss arbeiten. Bis später.“
„Bis später.“

Ich hörte noch ein „Sie wünschen, meine Dame“ und verließ das Geschäft, in dem man außer Uhren auch eine Verabredung für einen Abend bekommen konnte. Was man in diesem neuen Deutschland doch alles kaufen konnte. Nur eines …eines gab es nicht. Zumindest habe ich es in keinem Laden bisher gesehen. Das Seepferdchen.

Ich werde wohl doch vom Brett springen müssen.
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