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Alt 25.01.2017, 16:33   #1
männlich Desperado
 
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Standard Integrationsmodell Croatan

Integrationsmodell Croatan

Eine Insel schrieb hier in Virginia Geschichte, eine, die fast zu schön scheint, um wahr zu sein. Der Name des Eilands ist Roanoke, auch der Fluss, den ich stromaufwärts entlangreite, ist so benannt. Im Jahre Fünfzehnhundertvierundachtzig setzte Gouverneur John White zwei Schiffsladungen an Kolonisten auf ihr ab, einhunderteinundzwanzig Menschen, wobei ein Menschlein kurz nach der Landung hinzukam, die kleine Virginia Dale, das erste auf dem neuen Kontinent geborene europäische Kind. White kehrte nach England zurück, um Wintervorräte für die Niederlassung zu holen, mit der Zusage, in ein paar Monaten wieder vor Ort zu sein. Obwohl die Indianer der Küste, besonders die Coatans, den Weißen freundlich gesinnt waren, vereinbarte er mit den Zurückgebliebenen, im Falle einer Gefahr oder Flucht ein gut sichtbares weißes Kreuz an einen Baum zu malen.

Was White zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: England befindet sich inzwischen im Krieg mit Spanien, dessen Armada den Einsatz sämtlicher Segelschiffe verlangt, und so vergehen ganze drei Jahre bis zu seiner Rückkehr nach Roanoke. Er findet die Siedlung in wohlbehaltenem Zustand vor, Häuser und Stockzäune unbeschädigt, die Gerätschaften sorgfältig gelagert, jedoch menschenleer und verlassen. Weder Brandspuren noch Gräber deuten auf einen Überfall oder eine Seuche hin, die beheimateten Stämme haben nichts gehört und gesehen, und White steht vor einem Rätsel, das nicht kleiner wird durch die einzige recht ungewöhnliche Hinterlassenschaft der Siedler. In einen der Bäume findet er das Wort Croatan in die Rinde geschnitten, in einen weiteren ganz in der Nähe die drei Buchstaben Cro geschnitzt. Nun wissen aber die Croatan nichts von Weißen, die sich ihnen angeschlossen hätten, was in den Anfangstagen der Pionierzeit durchaus und des Öfteren vorkam, auch die anderen dort lebenden Stämme können oder wollen diesbezüglich keinerlei Auskunft geben. Die Siedler sind wie vom Erdboden verschluckt und bleiben verschollen.

Ihr rätselhaftes Verschwinden bietet reichlich Stoff für die abenteuerlichsten Geschichten, und das über hundertfünfunddreißig Jahre lang, bis im Jahr Siebzehnneunzehn Siedler ins Robinson County von North Carolina vordringen und hinter dem Wall der dichten, sumpfigen Wälder auf einen Indianerstamm stoßen, dessen Mitglieder nur Englisch sprechen, allerdings ein archaisch antiquiertes, gespickt mit Redewendungen aus Shakespeares Tagen. Ansonsten aber sind die hellhaarigen und blauäugigen Menschen durch und durch Indianer, sowohl ihre Lebensweise und Religion betreffend als auch ihre Wesensart. Lediglich einige ihrer Namen weisen sie als Nachkommen der verschwundenen Kolonie aus, deren Bewohner offensichtlich ins Landesinnere gezogen waren, in die Stämme eingeheiratet hatten und deren Lebensart auf derart gründliche Weise angenommen, dass sie zweifelsohne als richtige Indianer bezeichnet werden mussten, die selbst nichts mehr zu sagen wussten über ihre Herkunft.

Dieser erste Versuch einer Besiedlung der Ostküste endete also mit der völligen Assimilation der eingewanderten Ankömmlinge, der Gedanke, wie dieses Land aussehen könnte, hätten sich alle Kolonisten so vorbildlich klug verhalten, ist wie gesagt zu schön, um wahr zu sein. Ich kann mir bildlich lebhaft vorstellen, wie die Croatan das Vertrauen der überängstlichen Fremden gewannen, als diese bei Wintereinbruch ohne Vorräte dastanden. Sie liefen nur mit Lendenschurz bekleidet in Sichtweite ihrer Ansiedlung durch den Schnee, um ihnen ihre Überlebenstüchtigkeit zu demonstrieren. Dass nur einige mutige Männer dazu imstande sind und das nur mit Hilfe vorheriger Meditation und ausgefeilten Atemübungen, mittels derer sie jedes Kälteempfinden zumindest für ein Weilchen überlisten können, mussten diese hilflosen Weißgesichter ja nicht wissen. Jedenfalls wird es denen nicht allzu schwer gefallen sein, ihre Prüderie zu überwinden und diese hartgesottenen Wilden um Hilfe zu ersuchen. Oder ihre Hilfsangebote dankbar anzunehmen, was eher der Fall gewesen sein dürfte. Denn die Indianerstämme hatten in der weitaus überwiegenden Regel Mitleid mit den weißen Einwanderern und halfen ihnen nach besten Kräften.

"Die wilden Leut", weiß ein Schwyzer Kolonist Siebzehnvierunddreißig über die Catawba zu berichten, "welche zwar von dem wahren Gott wenig oder nichts wissen, machen mit ihrem Wandel die Christen zu schanden. Die in Carolina wohnenden Schweizer rühmen sich derselben, wie sie ihnen allerhand Höflichkeit erweisen, so dass von keinem Wilden bisher keinem Schweizer kein Leid zugefügt worden. Es mangelt nichts als mit ihnen höflich und freundlich umzugehen, so hat man von denselben nichts zu befürchten. Neben dem sind derselben wenig mehr in Carolina, haben auch keine stete Wohnung, sondern weilen sich nur von dem Jagen erhalten, so sind sie bald hier, bald dort, machen ihnen kleine Hütten, die sie mit Rinden von Zedernbäumen bedecken, auch sieht man niemals mehr als fünfzehn bis zwanzig beieinander. Sie kommen zu den Schweizer Häusern, bringen ihnen Gewild Häute und dergleichen Sachen, dagegen man ihnen ein wenig Tuch, Brot, Mehl oder anderes gibt, und ziehen dann wieder ganz vergnügt fort. Übrigens sind sie schöne und in vielen Stücken gar vernünftige Leut. Deren etliche nun schon Englisch reden, und also für Dolmetschen dienen."

Das beste Englisch hat den Catawba nichts genützt, hundert Jahre später werden auch sie nach Oklahoma ins Indianerterritorium "umgesiedelt", als per Regierungsbeschluss das ganze Land östlich des Mississippi von allen nach wie vor freundlich gesinnten und freundschaftlichen Indianern geräumt wird.



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Alt 25.01.2017, 19:45   #2
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Heißt es nicht Croatoan?
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Alt 26.01.2017, 10:05   #3
männlich Desperado
 
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Hallo Versard,

in meiner Quelle steht Croatan, was aber nicht heißen muss, dass der Stamm nicht auch Croatoan genannt wird. Es gibt eigentlich fast immer mehrere leicht voneinander abweichende Namen besonders für kleinere indianische Volksgruppen, weil sie aus einer schriftlosen Kultur kommend von den vielsprachigen europäischen Chronisten vom Klangbild abgeleitet jeweils unterschiedlich ins Schriftliche übertragen wurden. Wurden sie noch dazu ausgerottet, ist eine genaue Bezeichnung fast unmöglich, da sie allein von ihren Nachbarn verschieden benannt wurden. Sie können also durchaus Croatan oder Croatoan heißen. Und welcher der beiden gleich gültigen Namen nun in der Baumrinde stand, dürfte ebenso schwer zurückzuverfolgen sein, weil ja auch die historische Begebenheit von verschiedenen Chronisten festgehalten wurde.

Danke für Deine Interesse und liebe Grüße
Desperado
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Alt 28.01.2017, 17:03   #4
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Ich vermisse irgendwie eine Geschichte in der Geschichte ....
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.01.2017, 17:30   #5
Thing
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Standard Hallo, Desperado -

Selbstverständlich hat diese Geschichte mehrere Bedeutungen.
Die gelungene Assimilation beflügelt manche Wunschträume, die nicht in Erfüllung gehen.

Blitzsauber geschrieben und äußerst lesenwert.

FG
Thing
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Alt 28.01.2017, 17:36   #6
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Er springt in der Zeit (von Vergangenheit zu Gegenwart) und in den Zeiten. Beschreibt ein paar Dinge. Ergibt für mich aber keine zusammenhängende Geschichte.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 28.01.2017, 17:42   #7
Thing
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Ist auch ein Ausriß aus den Federhut-Geschichten.
Oder Tagebüchern, was auch stimmt.
Thing ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.01.2017, 09:33   #8
männlich Desperado
 
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Freut mich, Thing, dass sie Dir gefällt!

Die Wiedergabe einer historischen Begebenheit, Silbermöwe, die ich bewusst als Gedankenanstoß bezüglich gegenwärtiger Integrationsproblematik ausgesucht habe. Das Ideal gelungener Integration ist und bleibt Assimilierung. Der Erhalt der eigenen Sprache ist allemal genug an kultureller Bereicherung. Bezeichnender Weise kann man bei den Nachkommen der ersten Gastarbeitergeneration genau diese Assimilation konstatieren, auch ihren islamischen Glauben betreffend. Sie sind zum entscheidend größten Teil aufgeklärte und säkularisierte Europäer geworden und beobachten die kontinuierliche Islamisierung durch nachkommende und keineswegs ausreichend flexible Einwanderer mit fast noch größerer Beunruhigung als Nichtmuslime. Frag sie doch einfach mal.

Liebe Grüße
Desperado
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Alt 29.01.2017, 13:53   #9
weiblich DieSilbermöwe
 
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@Desperado

Du hast meinen Einwand - im Gegensatz zu Thing - in keinster Weise verstanden. Mir geht es darum, dass dein Text keine zusammenhängende, von dir ausgedachte Geschichte erzählt. Hätte besser unter "Kolumnen, Briefe und Tageseintraege" gepasst.
DieSilbermöwe ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 29.01.2017, 14:39   #10
männlich Desperado
 
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Ach so. Kann man ja verschieben, wenn Bedarf besteht. Ist mir Recht.
Desperado ist offline   Mit Zitat antworten
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