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Zeitgeschehen und Gesellschaft Gedichte über aktuelle Ereignisse und über die Menschen dieser Welt. |
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20.11.2010, 02:05 | #1 |
Die Freuden eines alten Mannes. II.
Wenn ich am Rollcontainertischchen sitze
und durch die Tür die Essensschwade dringt, weil Schwester Kim die Plastikhaube bringt. Und wenn darunter Klumpmehlschwitze ein Teil bedeckt, das Fleischgeruch verbreitet, sich aber als gepresster Fisch erweist, der bröselnd und von Möhren eingekreist zum Berg der Dampfkartoffeln überleitet, dann denke ich an jene Stern-Lokale in welchen ich wohl an die tausend Male die feinste aller feinen Zungen war. Doch wird am Ende Pudding aufgetragen und diesmal bleibt er drin in meinem Magen, dann finde ich das Leben wunderbar. |
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15.12.2010, 19:28 | #2 |
hallo libelle,
das ist so ernüchternd realistisch und dennoch mit einem hauch von träumerei - toll gemacht ist dieses sonett! man sitzt sofort mit am rollcontainertisch und taucht ein in die welt des alten mannes. ein klar und scharf gezeichnetes bild aus einer welt, die sich viele gar nicht vorzustellen vermögen. well done! lg, larin |
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15.12.2010, 19:51 | #3 |
Ich habe vor einer Zeit mal ein Praktikum in einem Pflegeheim gemacht...und den Alten genau beim Essen dieses Fraßes geholfen.
Schon die ersten Zeilen haben mich sofort wieder an diese Zeit erinnert. Gefällt mir sehr gut, vor allem die Klumpmehlschwitze als Wortneuschöpfung hats mir angetan =) |
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15.12.2010, 20:34 | #4 |
Die Freuden eine alten Mannes VI.
Da kann ich noch eins nachlegen:
Wenn wir im Heim mit Fingerfarben malen (der Pinsel fällt mir meistens aus der Hand), und meine Werke bleiben unerkannt, was leicht passiert, weil ihre kolossalen Verläufe bis auf meine Hose reichen - und wenn selbst unser Psychologe schreit, mein Schaffen sei senile Bockigkeit, ich möge lieber Bretterbuden streichen, dann kommt es vor, dass ich mich hilflos fühle. Bereits als Knabe malte ich wie Schiele, nur hat ein jeder mein Talent verhöhnt. Doch wenn der Schmutz auf meiner Serviette so wirkt, als ob ihn Klee gepinselt hätte, dann bin ich wieder mit der Welt versöhnt. |
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15.12.2010, 21:36 | #5 |
Darf ich fragen, wie du auf das Thema gekommen bist? Kommst du oft mit solchen Menschen in Berührung?
(Gerade die Ich-Perspektive lässt das ganze sehr traurig wirken irgendwie...) Darf ich mir einen Nachschlag wünschen? =) |
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15.12.2010, 23:57 | #6 |
Für LadyLenn
Ich musste mal einen Prospekt für eine Gruppe von Seniorenheimen schreiben
und habe statt dem üblichen Schmuh mit wunderbarer Pflege die Bewohner interviewt, mit längerem Vorleben und wie sie endlich in das Heim kamen. Die alten Damen erzählten die herrlichsten Geschichten, während die meisten Männer weinerliche Trauer über verlorene Zeiten schoben. Danach schrieb ich zwölf der Sonette über die Freuden eines alten Mannes. Hier der Nachschlag: Die Freuden eines alten Mannes III. Wenn ich den Musikantenstadl sehe und zwischendurch mit Jauch den Millionär, wo ich fast alles weiß, doch ungefähr ab Stufe vier die Fragen nicht verstehe, weil ich sie lese und sofort vergesse. Und wenn Frau Doktor Runzel-Kühnemann mich akademisch informiert, woran es liegen kann, dass ich beim Stuhlgang presse, und ob als starker Raucher ich nicht wüsste, dass ich schon morgen in die Kiste müsste, dann fühle ich mich etwas abgestellt. Doch kommen Nachts die Damen mit den Glocken und bleibt mein Windelhöschen trotzdem trocken, dann ist sie wieder mein, die heile Welt. |
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16.12.2010, 00:03 | #7 |
Noch eins drauf.
Die Freuden eines alten Mannes I.
Wenn ich am Morgen in den Spiegel schaue, noch durchgemartet von dem letzten Traum, und hilflos blinzle, weil im Gegenraum zunächst nur Leere ist und mühsam graue erschlaffte Haut sich zu erkennen gibt. Und wenn allmählich Doppelkinnkonturen zu sehen sind, statt nur die Kissenspuren, dann frage ich mich manchmal leicht betrübt, wo sie geblieben sind, die vielen kurzen Jahre, in denen ich, der scheinbar Unschlagbare, gebissen wurde von dem Zahn der Zeit. Doch bald darauf, wenn ich die Zeitung lese, und merke, diesmal hält die Zahnprothese, dann liebe ich die graue Wirklichkeit. |
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16.12.2010, 08:42 | #8 |
Mhm, leckerer Nachschlag
Mir gefällt, wie immer wieder vom melancholischen, traurigen Ton zu einem kleinen Funken Hoffnung übergegangen wird. Dazu passt die Sonettform natürlich super! |
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16.12.2010, 10:30 | #9 |
R.I.P.
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Halli Hallo, Libelle!
Eins besser als das andere. Großartig! Daumen hoch und dickes Kompliment von Thing |
16.12.2010, 19:02 | #10 |
Hallo Libelle!
Deine Sonette sind wunderbar zu lesen, alle. Ich bin beeindruckt. Besonders gut gefällt mir der jeweils positive Ausklang. Dadurch wird die bedrückende Stimmung doch deutlich gemildert und es eröffnet die Aussicht auf erfreuliche Seiten des Alters! Lieber Gruß Daisy |
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