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Düstere Welten und Abgründiges Gedichte über düstere Welten, dunkle und abgründige Gedanken.

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Alt 15.01.2023, 06:26   #1
männlich Krebsgestoeber
 
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Standard Upir

Der Morgen kommt mit Weihrauch und mit Schrot,
der Mittag schenkt ihr eine Feuerträne.
Im Horizont vergräbt sie ihre Zähne
und nimmt den ersten Schluck vom Abendrot.

In meinen klaren Träumen steigt sie auf
den höchsten Turm und krallt sich an den Himmel,
ganz unbemerkt vom städtischen Gewimmel,
und schaut hinunter wie in einen Lauf.

Ein Stich in meiner Halsschlagader weckt mich.
Durchs Fenster pfeift der Wind, der Nebel streckt sich
wie Fühler über meine Fieberglut

und träufelt mir zwei Tränen ins Gesicht.
Ich steige aus dem Bett und mach mir Licht.
Im Spiegel steht ein Mann und atmet Blut.
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Alt 15.01.2023, 09:40   #2
weiblich Ilka-Maria
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Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.100

Hm ...

Drei Perspektiven: sie, ich, der Mann. Um wen und um was geht es?
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
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Alt 15.01.2023, 17:26   #3
männlich MonoTon
 
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Beiträge: 1.107

Vielleicht hilft es der Assoziationsgabe wenn man anmerkt, das Upir der Begriff für einen russischen Vampir ist.
Die 3 Perspektiven bestehen eigentlich nur aus 2 Perspektiven und begründen sich vermutlich auf dem Konzept des Sonettes.
2 Thesen in den Quartetten
1 Antithese in beiden Terzetten

Es gibt nur 2 Protagonisten im Text.
Den schlafenden/träumenden
den Vampir/Upir/Sie
und den Mann im Spiegel, welcher der schlafende/träumende ist.
Ich bin nicht mal sicher, ob es wirklich 2 unterschiedliche Protagonisten sind und sich Lyr.ich nicht nur in unterschiedlichen Phasen betrachtet.
Demnach wäre Lyr.ich zugleich er, sie und Mann im Spiegel, im Kampf mit sich selbst.

Auffällig ist, dass die Quartette in umarmenden Reimen und die Terzette in Paarreimen mit offener dritten Zeile verfasst sind.

Die Quartette weisen auf inneren Zwiespalt hin, ohne die Möglichkeit daraus hervorzubrechen.
Und die Terzette wirken unvollendet bzw offen gelassen und mit dem Schicksal abgefunden.

Ich vermute der Text handelt davon, das Lyr.ich auf dem Sterbebett liegt und nach alter ärztlicher Manier zu Ader gelassen wird.
Oder tatsächlich von einem Upir gebissen worden ist.
Vermutlich findet man es nicht heraus, da all das im Fieberwahn geschieht.

Zitat:
Der Morgen kommt mit Weihrauch und mit Schrot,
der Mittag schenkt ihr eine Feuerträne.
Im Horizont vergräbt sie ihre Zähne
und nimmt den ersten Schluck vom Abendrot.
In der ersten Zeile vermute ich geistlichen Besuch, eine Austreibung welche bis zur Mittagszeit andauert. Wofür man Schrot anwendet ist mir nicht sicher. Es kann Futterschrot sein, oder Gewehrschrot insofern sich verteidigt werden muss.
Die "Feuerträne" kann ich nicht konkret zuordnen. Als Element "Feuer" weist es auf Gefahr hin, in Verbindung mit "Wasser" auf Heilung. Ein Gegensätzliches Oximora welches zeigen soll, das etwas sich umgreifend ausbreitet und wehement im fluss ist.
Die Szenerie springt zeitlich abermals und unser Upir hat wohl die Austreibung überstanden, die Austreiber augenscheinlich nicht.
"Sie" trinkt und unsere Perspektive ist die horizontale draufsicht.
Ähnlich einer außerkörperlichen Erfahrung wie bei "Schlafwandel/Nahtod/transzendenz"
Jemand ist nicht Herr seiner eigenen Sinne.

Zitat:
In meinen klaren Träumen steigt sie auf
den höchsten Turm und krallt sich an den Himmel,
ganz unbemerkt vom städtischen Gewimmel,
und schaut hinunter wie in einen Lauf.
Klare Träume wäre für mich ein Hinweis darauf, das jemand bei Bewusstsein ist, aber ohnmächtig zu handeln. Wachkoma oder Schlafparaylse käme mir da in den Sinn.
Ein Zustand des wach seins, obwohl der Geist sich in der REM-Tiefschlafphase befindet. Ein Zustand in dem sich Träume vor den Augen als real zeigen, da sich die Vorstellungskraft weiterhin damit befasst was gleich schreckliches passieren könnte, während man Bewegungsunfähig/gelähmt/paralysiert ist. Die entstehende Angst bringt Halluzinationen hervor.

Das "auf steigen" und Himmelwärts richten kann darauf hinweisen wie sehr sich Lyr.ich Gott nahe fühlt, aber durch das "krallen" dem Demonentum untergeordnet wird. Gleichstellen und Unterordnen, dennoch aus erhöhter Position heraus. Eine Etage unterhalb von Gott sozusagen, nur Erdennäher und Entscheidungsfreudiger aus einer beobachtenden Position heraus. Lauernd wie ein Gargoyle auf dem Dachsims und bereit auf ihre Beute hinab zu schießen.

Zitat:
Ein Stich in meiner Halsschlagader weckt mich.
Durchs Fenster pfeift der Wind, der Nebel streckt sich
wie Fühler über meine Fieberglut
Ein erwachen aus dem Fiebertraum/Delirium bei vermutlich ärztlicher und veralteter Behandlung.
Der Aderlass (Phlebotomie) den ich zu beginn ansprach könnte hier stattfinden und Lyr.ich wecken. Das war damals Allheilmittel, wenn sich Ärzte nicht mehr zu helfen wussten.
Die Fühler des Nebels könnten auf unklare Sicht des Lyr.ich hinweisen und das Auflegen von Händen auf seine Stirn.

Zitat:
und träufelt mir zwei Tränen ins Gesicht.
Ich steige aus dem Bett und mach mir Licht.
Im Spiegel steht ein Mann und atmet Blut.
Vermutlich ist es eine geliebte Person die Lyr.ich die Stirn abfühlt, da dessen tränen auf sein Gesicht niederfallen. Jemand sieht schmerzlich auf das Lyr.ich (die Person liegt im Sterben)
Das "aus dem Bett steigen und zum Licht gehen" sehe ich als letztes Aufbäumen und klar sein.
Der Mann/Lyr.ich oder auch "Er" im Spiegel gleichermaßen aber auch "Sie" im Traum/Fieberwahn ist dazu verdammt an seinem eigenen Blut zu ertrinken, was sich vermutlich auf eine Lungenerkrankung zurückführen lässt. Das "Blut atmen" kann vermutlich sinnbildlich gesehen werden und eher für "Blut husten" stehen.
Für mich wird aus den 2 Antithesen eher eine Symbiose von 2 Individuen.

Wie gerne wäre Lyr.ich wohl jemand der/die über allem steht und in Gefahr lebt und über Leben und Tod entscheidet und nicht eher gefahr läuft zu sterben während andere über seinen Tod hinweg Entscheidungen treffen.

Toller Text. Gerne gelesen.

Lg Mono
MonoTon ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.01.2023, 10:38   #4
männlich dunkler Traum
 
Benutzerbild von dunkler Traum
 
Dabei seit: 02/2021
Ort: mit beiden Beinen in den Wolken
Alter: 60
Beiträge: 1.606

... ungeachtet aller Deutungsmöglichkeiten gern gelesen. Doch angefragt sei der Stich in die Halsschlagader, ist es der Stich eines Zahnes oder oder oder? Das Verwirrende fasziniert mich.

wünsche schöne Träume
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