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Alt 08.03.2023, 08:18   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Auf dem Weg nach England (Carolines fiktives Tagebuch)

Im Jahre 1772, Juni

Die See ist stürmisch, und unser Schiff gleitet alles andere als ruhig dahin. Was für ein Glück, dass ich nicht seekrank werde!
Wie froh bin ich, aus Hannover fortzukommen! Was hätte ich dort für ein Leben führen sollen, das eines Aschenputtels und einer Hausmagd, nach Mutters Willen! Dieses Schicksal wäre unerträglich. Ich habe unendliches Glück, dass Friedrich Wilhelm mich zu sich nach England holen will. Er will mich zur Sängerin ausbilden. Wie schön, dass er in Bath die Stelle als Musikdirektor gefunden hat! In England nennen sie ihn William.
Ich kann ihm im Bereich der Astronomie helfen. Schon unser Vater war ein Bewunderer der Astronomie.
Mag die See auch noch so stürmisch sein - ich glaube, vor uns liegt eine goldene Zukunft.

*Dies ist eine Geschichte zum Frauentag.
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Alt 08.03.2023, 12:58   #2
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Zitat:
Zitat von DieSilbermöwe Beitrag anzeigen
*Dies ist eine Geschichte zum Frauentag.
Wo ist bei diesem Tagebucheintrag die Verbindung zum Frauentag? Im Juni 1774 begann der Konflikt zwischen den amerikanischen Kolonien und dem britischen Mutterland, der zum Unabhängigkeitskrieg führte. Die Frauenbewegung, geprägt durch den Begriff "Sufragetten", begann erst über einhundert Jahre später.

Auch sonst vermag ich an dem Eintrag nichts Emanzipatorisches zu erkennen. Das Gegenteil ist der Fall: Eine junge Frau ist unterwegs zu einem Förderer, der etwas aus ihr zu machen versprochen hat. Sie ist kein Subjekt, sondern ein Objekt.

Längst ist die Bezeichnung "Frauentag" durch "Pay Gap Day" abgelöst worden. Nachdem nämlich viele Rechte durchgesetzt wurden - vom Wahlrecht bis zum gesellschaftsfähig gewordenen Rauchen in der Öffentlichkeit -, geht es hauptsächlich um eine gerechte Bezahlung für vergleichbare Männerarbeit. Kein leicht zu beackerndes Feld, denn viele Arbeitsgebiete sind nun mal schlecht vergleichbar. Frauen kann man am Hochofen einer Gießerei nicht brauchen, und weibliche Models werden weitaus besser bezahlt als ihre männlichen Kollegen.

Außerdem sind Frauen leichter erpressbar, denn wenn eine Beziehung zu Bruch gegangen ist und sie für ihre Kinder alleine verantwortlich sind, haben sie nicht viel Verhandlungsspielraum. Personalschefs wissen das und ticken entsprechend. "Die Bewerberinnen, die mir am liebsten sind, sollten Mitte dreißig, alleinstehend und aufs Geldverdienen angewiesen sein, möglichst schlechte Erfahrungen im Leben gemacht und keine Kinderwünsche mehr haben." Nicht von mir erfunden, sondern Original-Ton. Wenn eine Frau zudem jahrelang aus dem Beruf aufgrund familiären Engagements raus war oder sich im Arbeitslosenstatus befindet, sinken ihre Chancen, leistungsgerecht bezahlt zu werden, denn sie muss nehmen, was sie kriegen kann. "Humand Resources" (!!) wissen das, die sind nicht blöd.
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Alt 08.03.2023, 13:28   #3
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Zitat:
. Längst ist die Bezeichnung "Frauentag" durch "Pay Gap Day" abgelöst worden.
Wo? Mach heute mal Google auf, da findest du ein Bild zum Internationalen Frauentag. Die andere Bezeichnung habe ich noch nie gehört.

Zitat:
Wo ist bei diesem Tagebucheintrag die Verbindung zum Frauentag?.
Der fiktive Tagebucheintrag bezieht sich auf Caroline Herschel, die unter anderem acht Kometen entdeckt hat:

https://www.deutschlandfunk.de/gross...schel-100.html

und die wohl erste bezahlte Astronomin der Welt war:

https://www.deutschlandfunk.de/carol...nomin-100.html

https://www.mpg.de/frauen-in-der-for...oline-herschel

Sie fuhr 1772 nach England. Ob es im Sommer war, weiß ich nicht wirklich, habe nichts darüber gefunden, aber ich denke, im Sommer fuhren die Schiffe wohl öfter als im Winter.

Nun, ich finde so etwas zum Frauentag durchaus interessant.

Zitat:
Im Juni 1774 begann der Konflikt zwischen den amerikanischen Kolonien und dem britischen Mutterland, der zum Unabhängigkeitskrieg führte. Die Frauenbewegung, geprägt durch den Begriff "Sufragetten", begann erst über einhundert Jahre später..
Ich habe auch keine Suffragetten erwähnt, da es mir darum überhaupt nicht ging.
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Alt 08.03.2023, 14:00   #4
weiblich Ilka-Maria
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Danke, die Herschel war mir bislang nicht bekannt. Aber warum sollte eine Frau nicht auch durch ein Fernrohr gucken können?

Uns sind eine Menge Leistungen von Frauen nicht bekannt, weil es früher Usus war, ihre Werke in das der Väter und Brüder zu integrieren und unter deren Namen zu veröffentlichen; denn eine "anständige Tochter" beschäftigte sich nicht professionell mit Wissenschaft und Kunst, allenfalls als peinliches Hobby und für die Hausmusik. Mädchen mussten sich als devot und fleißig beweisen und einen Haushalt führen können, um als brauchbare Partie auf dem Heiratsmarkt zu konkurrieren. Zudem mussten sie kräftig und gesund aussehen, um als Gebärmaschinen eine sichere Bank zu sein. Frauen, die im Kindbett starben, waren für ihre Ehemänner eine Katastrophe, denn das werben um eine standesgemäße Nachfolgerin konnte mühsam und teuer werden.

Die Rede ist natürlich vom Bürgertum. Denn bei den Bauern und Arbeitern herrschte Gleichberechtigung. Beide, Mann und Frau, packten gleichermaßen an, sonst wäre die Arbeit nicht zu bewältigen gewesen und die Familie hätte gehungert.

Vom "Pay Gap" (der Verdienstlücke) ist schon seit vielen Jahren die Rede. Diskussionen über die Ursachen, weshalb Männer für gleiche Arbeit besser bezahlt werden als Frauen, gab es en masse. Die meisten Ergebnisse gingen dahin, dass Männer härter verhandeln können. Das hängt vielleicht nicht allein damit zusammen, dass sie eine Vorstellung davon haben, was ihre Arbeit wert ist, sondern dass sie sich sogar überschätzen oder aber ihre Diskrepanzen mit dem Geschick eines Autoverkäufers überdecken. Sie klotzen statt zu kleckern.

Frauen gehen emotionaler vor und denken statt an Selbstwert eher daran, ob sie einer Aufgabe gewachsen sind. Sie verlassen sich darauf, dass die Anerkennung schon kommt, wenn sie Gelegenheit hatten, ihre Leistungsfähigkeit bewiesen zu haben. Doch statt dies von vornherein vertraglich festzulegen, verlassen sie sich auf Goodwill des Arbeitgebers.

Oft liegt die Tücke auch im Titel, mit dem man eingestellt wird. Die faule Sau, die als Abteilungsleiter fungiert, aber alle Arbeit nach unten abdrückt, verdient - pardon: bekommt - unverhältnismäßig mehr als die Sekretärin oder Sachbearbeiterin, die sich krumm schuftet. Und wenn etwas im Arbeitsablauf schief läuft, ist nicht er dafür verantwortlich, sondern eines der "Mädels" wird dafür fertiggemacht. Das kann man bis in die großen Korruptionsskandale nachverfolgen: Die Großkopferten sind es nie gewesen, es waren immer die Machenschaften der Sekretärin oder der Assistentin, die rausfliegt, um die Wahrheit unter dem Deckel zu halten. Die war nämlich angeblich so intelligent, all die komplexen Fäden in der Hand zu halten und jahrelang zu ziehen, um sich Vorteile zu verschaffen, von denen die Chefs nichts mitgekriegt haben. Die Wirtschaftsprüfer übrigens auch nicht.

Wer das in der Zeitung liest, lacht sich kaputt, und jeder Anwalt kratzt sich am Kopf, wie er diese Nummer bewältigen soll.
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Alt 09.03.2023, 08:48   #5
weiblich DieSilbermöwe
 
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Zitat:
. Aber warum sollte eine Frau nicht auch durch ein Fernrohr gucken können?
Das geht ja nicht automatisch damit einher, dass sie auch Kometen und Nebel entdeckt...

Nach Herschel ist sogar ein Komet benannt, der Komet 35P/Herschel-Rigollet
https://www.mpg.de/frauen-in-der-for...oline-herschel

Sie unterstützte ihren Bruder auch beim Bau von Teleskopen.
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