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Rollenspiele und Bühnenstücke Eigene Bühnenstücke, Rollenspiele und Dialoge.

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Alt 14.06.2021, 13:45   #1
weiblich Ilka-Maria
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Standard Psychogramm einer Ehe

„Ich würde es nicht mehr tun.“

Alice schwieg. Sollte aufrichtige Reue hinter diesem Statement liegen, war sie ihr zu kurz gegriffen. Und sie kam zu spät. Nie hatte Raimund die Worte gesprochen, den Weg zur Versöhnung geebnet hätten: „Es tut mir leid.“

Im Gegenteil: Er hatte ihr die Schuld für seine Untreue in die Schuhe geschoben. Recht war es ihr geschehen, dass er sie betrog, denn er hatte lange genug unter ihrer Fuchtel gestanden. So hatte er sich jedenfalls aus der Wahrheit herausgeschwindelt, um nicht als labiler Halm im Wind dazustehen, mit dem aggressive Abenteurerinnen leichtes Spiel hatten.

„Nur um zu vögeln habe ich meine Familie in den Sand gesetzt. So ein Blödsinn!“

Alice ließ ihn weiterreden.

„Heute würde ich es dir einfach nicht mehr sagen.“

Nun musste Alice lächeln. „Du armer Irrer. Das wäre gar nicht nötig. Eine Frau merkt immer, wenn ihr Mann fremdgeht.“

Raimund zog eine sarkastische Grimasse: „Quatsch. Dazu sind Frauen viel zu blöd. Die glauben einem alles.“

„Meinst du? Ich hatte es schon bei deinem ersten Mal gewusst.“

„Hast du nicht. Du warst völlig ahnungslos.“

„Woraus schließt du das?“

„Du hast nichts gesagt.“

„Ich hätte nichts beweisen können. Gewusst habe ich es trotzdem. Also warum schlafende Hunde wecken, wenn außer Gebell nichts dabei herauskommt?“

„Und wieso glaubst du, es gewusst zu haben?“

„Körpersprache lügt nicht.“

Raimund hob erstaunt die Augenbrauen. „Körpersprache?“

„Du bist zum ersten Mal, seit du auf Geschäftsreisen gegangen bist, nicht sofort in die Wohnung gekommen, sondern hast deinen Koffer vor der Tür abgestellt. Dann bist du zum Auto zurückgelaufen, obwohl dort nichts mehr zu holen war, und du hast auffällig lange gebraucht, um wieder nach oben zu kommen. Das war völlig gegen deine Gewohnheit. Zeitschinderei, um mir nicht sofort unter die Augen treten zu müssen.“

„Ich kann mich nicht gut erinnern.“

„Natürlich nicht. Wahrscheinlich auch nicht an das Gespräch, das du an diesem Abend mit mir geführt hast.“

„Was habe ich denn gesagt?“

„Du hast von deinem Kollegen erzählt, der eure Reise dazu genutzt hatte, mit einer eurer Klientinnen ins Bett zu steigen. Für ihn sollte es eine Affäre sein, aber für die Frau war die Sache ernst. Sie hat ihn unter Druck gesetzt und ihm gedroht, seine Ehefrau anzurufen.“

„Ich kann mich wirklich nur vage daran erinnern.“

„Während du erzähltest, konntest du mir nicht in die Augen sehen. Du warst unruhig, geradezu erschüttert. Ich hätte völlig borniert sein müssen, nicht zu erkennen, dass du deine eigene Geschichte erzähltest. Du hattest Angst, aufzufliegen. Du wolltest testen, wie ich reagieren könnte, sollte sich deine Affäre melden. Ein ziemlich lausiges Unterfangen, bei dem nichts herauskommen konnte, solange du es mir als Fiktion angedreht hast. Es war dir aber ein Bedürfnis, weil du das Gefühl eines Kontrollverlustes hattest."

„Aber du hast nichts gesagt. Warum?“

„Du hättest gelogen. Oder etwa nicht?“

„Wahrscheinlich. Aber dann hast du es ja doch erfahren.“

„Weil du es nicht mehr für dich behalten konntest. Von lockeren Sirenen ins Bett gelockt zu werden war nicht die Befriedigung, die du brauchtest. Du musstest mich klein machen, um dich wieder groß und stark zu fühlen, und deshalb blieb dir nur die Wahrheit übrig. Sie war die Waffe, mich zu verletzen und zu demütigen.“

Raimund sah betroffen unter sich. „So habe ich das nicht gesehen.“

„Aber empfunden. Du hast mein Vertrauen und mein Verständnis ausgenutzt, indem du mir alles über dich erzählt hast, aber dann, als dir bewusst wurde, welche Macht du mir damit über dich gegeben hattest, alles getan, um mich zu vernichten.“

Raimunds Stirn zog Falten. „Du spinnst ja! Was, um Himmels willen, soll ich dir denn Großartiges erzählt haben? Mein Leben hatte gerade begonnen, als wir uns kennenlernten, da war ich noch so nackt wie Adam im Paradies.“

„Und genauso naiv. Da war das Mädchen, das du mit siebzehn geschwängert hast. Mit dem du dich in der Eisdiele immer trafst. Du wusstest weder ein noch aus, und auch das Mädchen hatte sich nicht getraut, zu Hause etwas zu sagen.“

„Aber … aber … das kann nicht sein. Woher weißt du das? Ich habe mit niemandem über Jutta geredet.“

„Außer mit mir.“

Raimund schüttelte fassungslos den Kopf. „Hast du jemals …“

„Nie – kein Sterbenswort. Zu niemandem. Aber ich hätte damals erkennen müssen, dass dein Charakter … nun, sagen wir, einer kräftigen Politur bedurfte. Leider hatte mich mein Instinkt völlig im Stich gelassen.“

„Du bist ziemlich selbstgefällig. Hast du nie im Leben Fehler gemacht?“

„Doch, zum Beispiel, dich nicht schon bei deinem ersten Fehltritt vom Hof zu jagen.“

„Ich bin also ein Charakterschwein.“

„Wie würdest du es nennen, wenn jemand Gevatter Tod zu seinem Gott und Erlöser erhebt?“

Raimund wurde blass. „Du bist mir unheimlich. Ich kann dir unmöglich alles erzählt haben.“

„Sie kam eines Tages nicht zur Verabredung. Als die Bedienung dein Eis brachte, hast du nach ihr gefragt, und da sagte man dir, dass sie zwei Tage zuvor gestorben war. Ein Autounfall. Dir habe nichts Besseres passieren können, erzähltest du mir, und ich dummes Schaf hörte nicht auf das Störgefühl, das augenblicklich in mir grummelte.“

„Ich war noch so jung,“ ging Raimund in die Verteidigung. „Das kann man mir doch nicht anlasten.“

„Du warst alt genug, das Mädchen flachzulegen und es zu schwängern. Du warst alt genug, dich zur Fahrschule anzumelden und alles besser zu wissen als deine Eltern und mit Traditionen zu brechen, um die Welt vor den bösen Geistern der Vergangenheit zu retten."

„Ich würde vieles nicht mehr so tun wie damals.“

„Doch, genau wie damals würdest du es tun. Weil du es wie damals nicht besser wüsstest. Und weil du gar keine Kontrolle über dein Tun hattest.“

Raimund sah Alice erstaunt an. „Was soll das jetzt heißen?“

„Du glaubtest, über alles bestimmen zu können. Wir lieben uns nicht mehr, Alice, sagtest du, ohne mich zuvor gefragt zu haben. Es verselbständigt sich alles, sagtest du, nachdem ich dir meinen Liebhaber gestanden hatte, obwohl du derjenige warst, der unserer Ehe den Todesstoß versetzte. Ich würde es nie wieder tun, sagst du jetzt, obwohl du gar nichts getan hattest, sondern ich es war, die die Konsequenzen zog. Du glaubst immer noch, damals die Kontrolle gehabt zu haben, doch über was und über wen? Die Welt ist nicht von Raimunds Gnaden.“

„Ich dachte, es sei schön, dass wir wieder miteinander reden können. Stattdessen machst du eine Rechnung auf.“

„Eine Rechnung, die du nicht mit Geld begleichen kannst. Geld ist das einzige, von dem du genug hast, um dir Menschen kaufen zu können. Es ist aber eine Sache, zu kaufen, und eine andere Sache, seine Schuld zu tilgen.“

„Du bist ein arrogantes Weib!“

„Gewiss. Mit sauberer Bilanz empfängt man jeden Prüfer gerne. Und Adam war nie befohlen worden, in den Apfel zu beißen. Er tat es aus freien Stücken.“
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Alt 15.06.2021, 12:55   #2
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was ist ein psyogramm? Oder hast du dich da vertippt?
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.06.2021, 13:31   #3
weiblich Ilka-Maria
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Typo. Korrigiert.
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Alt 16.06.2021, 01:39   #4
männlich Ex-Ralfchen
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Den Text finde ich neidlos klasse
Ex-Ralfchen ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.06.2021, 07:06   #5
weiblich Ilka-Maria
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Danke fürs Lesen und den Kurzkommentar, Ralfchen. Dialoge zu schreiben fällt mir leicht, das fließt nur so raus. Man muss den Leuten halt aufmerksam zuhören, was sie erzählen und was sie bewegt, wie das Marin Luther schon sagte. Eine langjährige Freundin von mir, die schon sehr alt und so gut wie blind ist und der ich oft bei ihrem Schriftverkehr helfe, sagte mir einmal, ich sei eine gute Zuhörerin und könne mich gut in Menschen hineindenken. Das hilft natürlich enorm, wenn man Langprosa schreibt. Die modernen Lektoren legen nämlich großen Wert auf Dialoge und winken oft ab, wenn nicht schon auf der ersten oder zweiten Seite eines Romans Dialog vorkommt.

Mir macht das Schreiben von Dialogen jedenfalls enorm viel Spaß. Man kann damit ganze Geschichten entwickeln, ohne außenherum Handlung zu beschreiben.
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