Kein Lied

[Die Preussin]

Stille am Morgen,
kein Vogel singt mehr ein Lied;
leis stirbt der Sommer.

[Flocke]

Hallo Preussin, (fast hätte ich Prinzessin schreiben wollen! Tse tse...)

wieder ein schönes Haiku von dir und wieder eins, dass auf das Ende des Sommers anspielt wie auch dein Haiku: "Verlockung", das ich vor ein par Wochen kennenlernen konnte.

Und wieder hast du dem Haiku eine Überschrift gegeben: "Kein Lied".

Aber ich schlage den Großmuftis der Gedichtskontrolle vor, diesen "Verstoß" gegen die alten strengen Gestaltungsregeln wohlwollend hinzunehmen. Ich würde der letzten Zeile auch gerne noch eine sechs Silbe schenken. Mit sechs Silben wird diese Zeile deiner feinen Beobachtung gerechter und schenkt dem Haiku die die nötige Lockerheit und Beiläufigkeit:


Kein Lied

Stille am Morgen,
kein Vogel singt mehr ein Lied;
leise stirbt der Sommer.

Heute "muss" an nicht mehr auf Teufel komm raus die 5-7-5 Silbenregel befolgen.
"leis" klingt für meine Geschmacksnerven fürchterlich (es reint sich auf "Scheiß").
"leise" reimt sich auf "Reise", "Weise".
Die vollständige Wortform "leise" lässt mit der unbetonten, nachklingenden Endsilbe "e" zusätzlich den Prozess spüren, das im Verlauf der Zeit immer mehr die Stille eintritt.
"leis" zeichnet eher ein abruptes Aufhören und ein scharfes Ende.

Der Haiku-Spezialist Hans-Peter Kraus schreibt und es klingt in meinen Ohren völlig logisch:

Du musst dich nicht sklavisch an die Silbenzählung halten. Es ist unnötig, Worte zu verstümmeln oder künstlich zu verlängern, um die 17er-Vorgabe zu erfüllen. Von grammatikalischen Neuerungen und der Nutzung von Füllwörtern ganz zu schweigen.

https://www.haiku-heute.de/archiv/haiku-schreiben/

Ich finde, du könntest auch bedenken, ob die Satzstellung:
"der Sommer stirbt leise." eine Alternative für dich ein könnte.


Liebe Grüße von deinem Klugschwätzerfan
Flocke

[dr.Frankenstein]

juchhu endlich

[DieSilbermöwe]

Hallo Flocke,

.Heute "muss" an nicht mehr auf Teufel komm raus die 5-7-5 Silbenregel befolgen.

richtig, schön, noch jemand, der sich intensiv mit den Haiku-Regeln beschäftigt. Ich finde das immer interessant, dass man über so wenige Zeilen soviel nachdenken kann.

Hallo Preussin,

schönes Haiku, aber für meinen Geschmack drückt die letzte Zeile zuviel aus. Ein Haiku sollte einen Nachhall beim Leser haben, aber hier gibt es nichts Unausgesprochenes mehr.

Schöne Grüße
DieSilbermöwe

[Die Preussin]

Lieber Flocke, liebe Silbermöwe,
vielen Dank für die Eure Antworten, auch für die zugestandene sechste Silbe. Den Beitrag habe ich gelesen und bin selbst als fast zwanghafter Silbenzähler geneigt schwach zu werden. Bezüglich Offenheit, ich prüfe immer, ob ich hinter die letzte Silbe "..." setzen könnte und das halte ich hier für machbar. Aber die Umstellung in der dritten Zeile würde das vielleicht noch begünstigen. Ja so ein Haiku ist sehr ergiebig und eine kleine Umstellung kann bei der Kürze viel bewirken.
Die Preussin

[Die Preussin]

Lieber dr. Frankenstein,
Du hast mich an ein altes Volkslied (ich habe die Interpretation von Fallersleben nachgelesen und bewusst ignoriert) erinnert, das mit dem Winter ziemlich ungnaedig verfährt.
"Winter ade, scheiden tut weh; aber dein Scheiden macht das mir das Herze lacht..." Nach zwei Coronawintern hinter und einem Energiemangelwinter vor uns, können wir uns (wie unsere Vorfahren) den Luxus einer Lieblingsjahreszeit (die nicht Sommer heißt) wohl bald nicht mehr leisten. Aber das ist vielleicht ein bisschen viel für so ein kleines Haiku.
Die Preussin

[Donna]

Zitat von DieSilbermöwe

richtig, schön, noch jemand, der sich intensiv mit den Haiku-Regeln beschäftigt. Ich finde das immer interessant, dass man über so wenige Zeilen soviel nachdenken kann.

schönes Haiku, aber für meinen Geschmack drückt die letzte Zeile zuviel aus. Ein Haiku sollte einen Nachhall beim Leser haben, aber hier gibt es nichts Unausgesprochenes mehr.

Hi Preussin, hi Silbermöwe,
aus der Vogelperspektive lässt sich mMn. ein sterbender Sommer schon mit reichlich Nachhall erleben. Trotz ganzjähriger Reisesaison besteht für die Vögel im September ein Ausnahmemonat, wo Heimzug, Brut und Überwinterung wegfallen. Um das werbende Geschnatter der Vögel mit ihrem Nestbau und Aufzucht der Kleinen wird es stiller, es muss sich nicht mehr gepaart werden, denn die Nomaden der Lüfte konzentrieren sich mit ihren Kräften zunehmend auf den Wegzug. Auf diese Ruhe vor dem Sturm, bzw. vor der Veränderung kann ich mich gut einlassen.
Gerne gelesen
L.G.Donna

[Candlebee]

Hallo Die Preussin,

wie wahr, wie wahr. Die große Hitze ist vorbei, kaum mehr Vögel im Garten, der Herbst schleicht sich an. Ein schönes Haiku.

Nette Grüße, Candlebee