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Alt 30.11.2022, 00:56   #1
männlich Flocke
 
Benutzerbild von Flocke
 
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Beiträge: 177


Standard Der Himmelsturz

Hallo!
Ich möchte im voraus mit Stolz anmerken, dass wir den bekannten Engel Luzifer (auch als Satan, Mephisto, Beelzebub inkarniert) als Special Guest für eine tragende Nebenrolle in dieser kleinen Geschichte gewinnen konnten. Aufmerksame Leser werden ihn anhand eines kleinen anatomischen Details erkennnen.
>Grüße Flocke<
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HIMMELSTURZ


Er wurde wach. Sie lag wie ein Kätzchen zusammengerollt auf der Seite und rundete ihren Rücken an seinen Körper. So ruhte sie in ihrem Nest, schlief und atmete tief und beharrlich. Ihre Brust bewegte sich harmonisch, spielerisch leicht übernahm er ihren Rhythmus und erinnerte sich an den vorangegangenen Abend, Lust und Zärtlichkeit! Sie war voller Leben, zeigte sich leidenschaftlich und sinnlich! Er brauchte sie nur anzusehen und schon fühlte er sich beseelt. Seine Ängste, seine Nöte: sie waren sinnlos. Das wusste er jetzt. Alles war gut!

Sein Mund öffnete sich, er lächelte, sein Herz schlug mutig und doch unangestrengt. Die Enge in seinem Hals, die ihn regelmäßig quälte, wenn er keine Krawatte als Gegendruck an seinen Hals festzurren konnte – sie war vergessen. Hinter ihr liegend umfasste er ihren Bauch. Wärme stieg in seine Hände. Sie suchten ihre Aufgabe und schienen vertraut mit den schönen Dingen im Leben. Beiläufig führten ihn seine Fingerkuppen langsam und bedächtig, hin zu ihren Brüsten. Ihr Dekolleté wurde unter dem sanften Gewicht seiner Hand weich und durchlässig. Seine Finger sanken leicht in ihre Haut.

Sie nahm, immer noch schlafend, einen tiefen Atemzug; ein wohlwollender Seufzer begleitete ihre Atmung und klang in seinen Ohren nach Erlösung und Freude. Sie streckte sich ihm entgegen, ohne aufzuwachen. Seine Hände, immer noch bedächtig, zärtlich, nahmen einen Weg, der sie tiefer noch führte. Er spürte, wie eine innere Wärme wieder seine Erektion unterstützte. Sie pochte angenehm, und er schmiegte sich noch enger an sie. Er lächelte immer noch.
Sie atmete gleichmäßig und entspannt, fast schien es, dass sie schnurrte. Er fand ihren Schoß, den er betasten, berühren, den er streicheln wollte …

Da bemerkte ein Kneifen, eine Beissen, ein unangenehmem Kratzen, das von seinen Fingern auszugehen schien und bis zum Nacken zog. Unwillig schaute er auf seine Hände. Die Innenflächen fühlten sich jetzt rau, ja kratzig an. Ja, er konnte zuschauen, wie die Hände zunehmend starr und fest und kalt, ganz kalt wurden und wie diese misslichen Empfindungen die Arme hochkrochen. Ihn fröstelte. Sein ganzer Körper zog sich in Sekunden unnachgiebig zusammen. Kälte krallte sich an seinem Schädel fest und ließ seinen Nacken steif werden. Nur noch von ferne spürte er seinen Unterleib. Sein Bauch blähte sich jetzt, als wäre er mit vermoderter, gequollener Pappe aufgefüllt. Das Pochen, die Erektion, sie blieb. Doch war sie ohne Gefühl, sie war kalt, ohne Lust, ohne Sinn, sie quälte nur noch, war ein unnütze Erinnerung.

”So wirst du mich nicht los!“ Die Stimme kam aus dem Nichts. Da war nichts, was sie ankündigte. Sie klang heiser und hart, als käme sie aus einem versteckten eisernen Verließ. Er drehte sich um. War da wer? Und wie kam er in seine Wohnung?

Da saß ein Mann auf seinem Bett und neben ihm da lag immer noch diese Frau, wie hingeworfen, gebraucht wie ein nasser Sack, kein Kätzchen mehr. Der Fremde grinste ihn an, ein Speichelfaden hing aus dem Mundwinkel. Er war nackt, der Rücken gekrümmt, seine Lippen geschwollen, die Haut, geschwärzt, in Schweiß gebadet, sein übergroßer, erigierter Penis wie aus Porzellan gebrannt und sorgsam in Rot rot lackiert.

Kannte er diese Person, war sie ihm vertraut?
Ja! Das war er! Er war es selbst, der sich mit gieriger Wollust im Spiegel zeigte, der ihn von dort aus und geifernd und gehässig angrinste, der sich langsam erhob, der auf einem Fuß und einem Huf in seine Richtung taumelte, der ihn packen wollte. Ein abartiges Monster, das unablässig auf seiner unmäßig langen und knotig verwachsenen Zunge herumkaute.
„Küss mich!“, hechelte das Gegenüber.
Die aufgedunsene Zunge fiel ihm wie ein fauler, schwärender Stängel aus dem Mund.
Er wollte dem Monster entfliehen, sich erheben, drehen, fliehen. Seine Kehle zog sich zusammen, das Atmen ging weg, einfach so. Arme wie Tentakel, sie schnürten seine Rippen zusammen, ließen keine Regung zu. Die fremde Zunge fand seine Lippen und bohrte in seinem Mund, die Atemluft brannte. Sekunden dehnten sich und sprengten die Zeit.

Dann endlich! Ekel kroch hoch in seinen Hals, in seinen Rachen. Ein Brechreiz schenkte ihm die Kraft der Verzweiflug. Er biss kraftvoll in die saftige, aufgequollene Zunge. Sie füllte seinen Mund zur Gänze. Er schmeckte sie wider Willen, bevor er sie ausspucken konnte.
Es gelang ihm, seine Hände unter der Umklammerung bis zu dem Jochbbeinen und dem Kiefergelenk hochzuschieben und diesen kahlen Schädel zu greifen und zu pressen. Er drückte ihn heftig nach unten und hämmerte ihn mit aller Gewalt auf die Bettkante. Dann wurde es schwarz um ihn herum und Dunkelheit drang wie nasser Nebel in seinem Kopf. Er verlor das Bewusstsein.

In seinem Kopf dröhnte und hämmerte es wie auf einer Baustelle, als er wieder zu sich kam. War viel Zeit vergangen? War er wirklich wach?

Er öffnete die Augen und fand sich neben dem Bett liegend. Klebrige Tropfen liefen über sein Gesicht. Er fröstelte, seine Lippen rissig und borkig, seine Zunge krustig und schwer, ein einziger Klumpen Fleisch. Seine Wangen glühten, das Kopfkissen lag neben ihm, getränkt in halb geronnenem Blut. Die Vorhänge, gefärbt vom Morgenrot, changierten dazu in den passenden rötlichen Farben.

Ja, da lag sie, einem Äffchen gleich, immer noch eingerollt, ein schlaffes Stück Körper, allein im Bett. Im Schlaf machte sie Geräusche wie ein rostiges Ventil. Ein dümmliches Lächeln auf den Lippen, Falten und kleine Linien um die Augen verzerrten ihr Gesicht und stellten es schräg. Der Hals fleckig. Verbrauchte Atemluft, angesäuerte Schweiß und billiges Eau de Toilettes kitzelten in seiner Nase.
Sie gurrte.
Ja, sie war eine fette Taube, eine riesige fette, gurrende Taube, die sich im Morgengrauen jetzt sich zu regen begann.
„Komm ins Bett!“ murmelte sie im Halbschlaf, „mir ist so kalt!

Die schlaffe leere Hülle ihres bleichen Bindegewebes - sowohl Beweis als auch Nachlass ihrer früheren Fettsucht – hing um ihre bloßen Unterarme. Das Fleisch. So widerlich der Geruch, so hässlich die Berührung!

Als er sich hochzwang, warf er noch einen schnellen Blick in ihre Richtung. In diesem Moment öffnete sie ihre Augen. Sie sah ihn, sie sah den Raum.
"Was hast du getan?“ schrie sie.
"Was habe ich getan?" kam es tonlos aus seinem Mund.
Er drehte sich weg von ihr und suchte die Tür.

War das der Preis für ein bisschen Nähe?
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