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Humorvolles und Verborgenes Humorvolle oder rätselhafte Gedichte zum Schmunzeln oder Grübeln.

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Alt 15.11.2022, 15:05   #1
männlich Nöck
 
Benutzerbild von Nöck
 
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662

Standard Baumerotik

Komplett überarbeitete und stark erweiterte Neufassung:

„Nun haltet eure Äste fest
und krallt euch an die Wurzeln.
Ich blase jetzt aus Nord-Nord-West,
bis alle Blätter purzeln.“
So rief‘s der Wind den Bäumen zu,
in Wäldern, an den Straßen.
„Erst wenn ihr nackt seid, geb ich Ruh,
mit mir ist nicht zu spaßen.“

Er stürmt und heult: „Jetzt wird gekämmt“,
um Buche und um Weide,
fährt husch den Bäumen unters Hemd
und zerrt am Blätterkleide.
So wie er’s ihnen angedroht,
fällt Blatt auf Blatt herunter.
Die Buche stöhnt und wird ganz rot,
„Ich hab doch gar nichts drunter!“

„Der Wind ist ja total versaut,“
empört sich der Holunder,
„ich spür schon, wie mein Saft sich staut!“
„Das ist ja auch kein Wunder“,
die Erle schüttelt sich und keucht,
wo soll das alles enden.
Mir wird ja schon die Wurzel feucht,
der Wind, der will uns schänden!“

Die Birke biegt sich, dass es knackt
und lässt die Äste wippen.
„Ich zeige mich euch gerne nackt,
ich liebe es, zu strippen.“
„Welch ein Skandal“, schimpft laut die Esche,
denn sie ist ziemlich eigen,
„wie kann man nur, ganz ohne Wäsche,
sich so vor allen zeigen.“

Die Pappel neigt sich flüsternd leis,
hinüber zu den Tannen.
„Wenn ich das seh, dann wird mir heiß,
es macht mir Lust, zu spannen!“
„Die Birke lässt mich völlig kalt“,
bemerkt die schlanke Linde,
„sie ist fürs Strippen viel zu alt,
das sieht man an der Rinde.“

Die edle Zeder lacht und höhnt,
„Das stört mich nicht die Bohne,
von euch bin ich das ja gewöhnt,
ich steh nie oben ohne.“
„Warum denn nicht, das wär doch schön,
ertönt es von den Föhren,
dein nackter Stamm, von nah besehn,
wird uns bestimmt betören.“

„Kaum bläst der Wind, spielt ihr verrückt,
es ist doch stets das Gleiche.
Vor dem hab ich mich nie gebückt“,
knarrt süffisant die Eiche.
„Ich mag es, wenn er an mir zerrt“,
haucht wohlig eine Schlehe.
„Ich habe mich noch nie gesperrt,
weil ich auf sowas stehe.“

Dem Wind, dem ist das einerlei,
er zupft und rupft und rüttelt,
hat auch dem Nussbaum, welch Geschrei,
die Nüsse abgeschüttelt.
Befriedigt schwindet ihm die Kraft,
„Nun ist’s genug, das wär geschafft.
Ihr wart wie immer wunderbar,
auf wiedersehn im nächsten Jahr!“
Nöck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 15.11.2022, 23:42   #2
männlich Faber
 
Benutzerbild von Faber
 
Dabei seit: 10/2022
Beiträge: 384

Hallo Nöck,

dein Gedicht ist einfach nur herrlich. Vom Wind zerpflückt – vom Wind beglückt.

Danke und schönen Abend
Faber
Faber ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.11.2022, 14:40   #3
männlich Nöck
 
Benutzerbild von Nöck
 
Dabei seit: 12/2009
Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662

Hallo Faber,

"Vom Winde verweht", da war doch mal was.

Danke und einen schönen Tag.
Nöck
Nöck ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.11.2022, 17:20   #4
weiblich Ilka-Maria
Forumsleitung
 
Benutzerbild von Ilka-Maria
 
Dabei seit: 07/2009
Ort: Arrival City
Beiträge: 31.103

Hallo, Nöck,

einfach köstlich! Die Verse kommen so flott wie das Pfeifen des Windes.

Nur eins: Warum bist du am Ende vom Kreuz- zum Paarreim übergegangen? Man hätte den Kreuzreim doch beibehalten können.

Zitat:
Befriedigt schwindet ihm die Kraft,
„Ihr wart wie immer wunderbar,
doch ist’s genug, es wär geschafft.
Auf wiedersehn im nächsten Jahr!“
Aber vielleicht war der Wechsel zum Paarreim Absicht gewesen. Nur weshalb? Er drosselt das Tempo am Ende des windigen Schaffens nicht, sondern erhöht es.

LG
Ilka
__________________

Workshop "Kreatives Schreiben":
http://www.poetry.de/group.php?groupid=24
Ilka-Maria ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.11.2022, 19:30   #5
männlich Heinz
 
Benutzerbild von Heinz
 
Dabei seit: 10/2006
Ort: Reimershagen in Mecklenburg-Vorpommern, Nähe Güstrow
Beiträge: 7.879

Lieber Nöck,
wenns dich nicht gäbe, müsst man dich erfinden!
Wer spricht so schamlos sonst von Buchen oder Linden?

Mit äußerstem Vergnügen gelesen!
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 16.11.2022, 21:14   #6
weiblich Donna
 
Dabei seit: 02/2020
Beiträge: 406

Und ich dachte immer, es wären Wildschweine gewesen. Solch ein Gedicht hinterlässt Spuren, lieber Nöck, mit soviel Birkenwasser in der Krone und Saft im Schaft wird es sicherlich zu Buche schlagen, dass hernach manch einer heimlich unbeobachtet auf einer Weide sein Ahorn an der Eiche reibt. Bald kommt ja schon wieder Herr Lenz, und da lässt sich unschwer erahnen, was federführend deine Gedanken antreiben wird.
gerne gelesen
LG Donna
Donna ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 31.03.2023, 08:19   #7
männlich Nöck
 
Benutzerbild von Nöck
 
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Ort: In den Auen des Niederrheins
Beiträge: 2.662

Hallo Ilka, Heinz, Donna,

ich bin euch noch eine Antwort schuldig und da es aktuell in weiten Landesteilen wieder einmal stürmt, ist jetzt der richtige Moment für mich, um zu handeln.

Zitat:
Zitat von Ilka-Maria
Warum bist du am Ende vom Kreuz- zum Paarreim übergegangen?
Das weiß ich nicht mehr, aber dein Vorschlag ist gut.



Es freut mich, lieber Heinz, liebe Donna, dass ich eure Fantasie anregen konnte, besonders du Donna, warst sehr kreativ. Euch allen einen dreifachen Tusch aus meinem A-Horn und danke.

Liebe Grüße
Nöck, der vom Winde Verwehte
Nöck ist offline   Mit Zitat antworten
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