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Alt 17.10.2022, 17:46   #1
weiblich DieSilbermöwe
 
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Standard Luigis Erlebnis

August 1972

„Ganz schön heiß heute." Der dicke deutsche Tourist wischte sich mit einem Taschentuch die spiegelnde Glatze ab, und Luigi sah ihm halb belustigt, halb mitleidig zu. ‚Immer dasselbe', dachte er. ‚Die Gäste kommen wegen des heißen Wetters nach Rom und beschweren sich dann. Vielleicht sollte ich nur unterirdische Führungen machen.' Aber bei dem Gedanken, in die unterirdischen Areale des Kolosseums abtauchen zu müssen, wo sich einst Kerker, Käfige und Flaschenzüge befanden, schauderte ihn. Da bewegte er sich lieber auf den Zuschauertribünen, was auch den Vorteil hatte, die Touristen besser im Blick behalten zu können. Heute waren es ca. 20, im Schnitt zwischen 30 und 65 Jahren alt, die meisten waren Europäer. Drei Leute fielen aus dem Rahmen: ein japanisches Pärchen und ein junger blonder Mann in einer Toga. Letzterer hatte ihm am Anfang der Führung auf Englisch erklärt, Schauspieler zu sein und sich auf eine Rolle in einem Stück vorzubereiten, und die ganze Gruppe hatte gelacht und Beifall geklatscht. Luigi überlegte, ihn seiner Frau vorzustellen. Vielleicht hatte sie - als Theaterintendantin - eine Rolle für ihn.
Die Japanerin schätzte Luigi auf höchstens 18, ihren Gefährten auf ca. 25 Jahre, mit Sicherheit waren sie die jüngsten in der Truppe.

Er hatte gerade sein übliches Repertoire über die Entstehung des Kolosseums, die Gladiatorenkämpfe und die damaligen Zuschauer und ihre Sitzplätze auf Italienisch heruntergeleiert und wollte auf Englisch anfangen, als der Japaner sich mit einem Ächzen an die linke Brust fasste. Irritiert sah Luigi zu ihm hin.
„What happened?", fragte er, doch der Japaner antwortete nicht und bewegte sich auch nicht. Seine Partnerin betrachte ihn besorgt.
„Excuse me, what happened?", wandte Luigi sich an sie.
„I don't know." Sie fasste ihm an die Schulter, was ein leises Wimmern auslöste. Das Gesicht des Japaners hatte eine ungesunde, fast totenblasse Farbe angenommen.
„Können wir endlich weitermachen?" ließ sich eine gereizte Stimme vernehmen. Sie gehörte dem dicken Deutschen.
„My goodness!" Der Schauspieler in der Toga löste sich aus der Gruppe und lief zu dem Japaner hin.
„Immediately call 118!", herrschte er Luigi an, der sich schleunigst in Trab setzte und Richtung Informationsschalter lief, wo sich das Telefon befand. Drin hielt er sich nicht mit Erklärungen auf, riss der Sekretärin am Schalter das Telefon aus der Hand und wählte den Notruf. Nach kurzer Erklärung wurde ihm gesagt, der Krankenwagen würde gleich kommen. Er warf den Hörer auf die Gabel, ohne sich um die Fragen der Angestellten zu kümmern und rannte zu seiner Gruppe zurück.

Der Schauspieler hatte den Japaner inzwischen auf dem Boden gelagert und redete auf Englisch auf ihn ein, offenbar, um ihn zu beruhigen. Seine Toga hatte er ausgezogen, zusammengerollt und ihm unter den Oberkörper geschoben, damit er erhöht saß. Das Hemd des Japaners hatte er aufgeknöpft. Unter der Toga trug er nur eine Unterhose, und Luigi empfand einen Riesenrespekt. Die Japanerin kniete neben ihrem Mann auf dem Boden, verhielt sich aber still. Die anderen Touristen standen mit belämmertem Gesichtsausdruck herum. Nur der dicke Deutsche hatte einen knallroten Kopf und sah aus, als würde er gleich platzen.
„Wielange soll das noch dauern?", fuhr er Luigi wütend an. „Was für ein Zirkus! Die Jappsen sind doch alles Schwächlinge. Ich bin doppelt so alt und würde mich nie so anstellen."
„Shut up!", fuhr Luigi den Deutschen wütend an, und vor Überraschung klappte dieser den Mund zu und trat einen Schritt zurück. Aber es war zu spät: Ein anderer Tourist trat vor und fragte den Deutschen auf Französisch, was er da gerade gesagt habe.
„Ich verstehe Sie nicht", knurrte dieser ihn an, und der Mann wiederholte auf Deutsch mit französischem Akzent: „Was 'aben Sie gerade über unseren Freund gesagt?"
„Welcher Freund? Meinen Sie den schlappen Typ, den Japps?"
„Das nehmen Sie zurück!", mischte sich ein zweiter ein, Luigi identifizierte ihn ebenfalls als Franzosen, obwohl er nur einen ganz leichten Akzent hatte.
„Ich nehme gar nichts zurück!", trumpfte der Deutsche auf, „und schon gar nicht für einen Froschfresser. Wo kämen wir dahin ..." Weiter kam er nicht, denn der erste landete einen Schlag mit seiner Rechten, und der Deutsche fiel um wie ein nasser Sack, alle redeten durcheinander, und als der Rettungswagen eine Minute später eintraf, nahmen die Sanitäter nicht nur den Japaner, dessen Gesichtsfarbe sich leicht verbessert hatte, sondern auch den Deutschen mit. Auf Nachfrage, was mit diesem passiert sei, erklärte alle übereinstimmend, er sei ausgerutscht und mit dem Kopf voran auf den harten Boden geknallt. Der Deutsche selbst war wohl zu benebelt, um etwas zu sagen, zumindest brachte er kein Wort heraus.

Abends erzählte Luigi seiner Frau von dem Erlebnis, ließ aber die Sache mit dem Boxhieb weg. Sie würde sich nur Sorgen um seine Sicherheit machen. Über das Verhalten des Deutschen war sie empört und lobte den Schauspieler.
„Ja", sagte Luigi. „Ich habe mir gedacht, du könntest ein Stück daraus machen."
„Aber mit mehr Action", sagte sie. „Sonst gibt das nicht viel her. Weißt du was, ich baue da eine Schlägerei ein."
Luigi nickte. „Du hast immer die besten Ideen."
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Alt 17.10.2022, 19:15   #2
weiblich Ilka-Maria
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Respekt, Silbermöwe. Du hast dich der Herausforderung gestellt. Feige bist du nicht, sondern du reitest den Phönix zu, den zu selbst aus der Asche gehievt hast.

Aus Zeitgründen habe ich die Geschichte nur überflogen, werde sie also später genauer lesen und kommentieren. Aber was mir ins Auge sprang, ließ sich schon gut an. Mal sehen, was für eine Sahnetorte da entstanden ist.

Wenn du mit deiner Geschichte den Beweis geliefert haben solltest, dass dein Rezept funktioniert, kann man nur allen Fabulierern raten, ihn sich an den Spiegel zu stecken.

Besten Gruß,
Ilka
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Alt 17.10.2022, 19:22   #3
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Vielen Dank, Ilka!
Es hat mir auch eine Menge Spaß gemacht.

LG DieSilbermöwe
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Alt 18.10.2022, 05:53   #4
männlich Heinz
 
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Liebe Silbermöwe,
bei allem Lob, das Ilka-Maria zu Recht auf dich ausgeschüttet hat: Ich hätte da noch paar Passagen, die ich für verbesserungswürdig halte. Wie wischt man eine Glatze ab? Ist die dann weg? (Das wäre nur ein Beispiel).

Der dicke deutsche Tourist wischte sich mit einem Taschentuch die spiegelnde Glatze ab, und Luigi sah ihm halb belustigt, halb mitleidig zu.
"Der deutsche Fettwanst wischte sich mit seinem Taschentuch den Schweiß von der spiegelnden Glatze, und ....."

‚Die Gäste kommen wegen des heißen Wetters nach Rom und beschweren sich dann.
Erst kommen die Gäste wegen der Sonne Italiens, und dann beschweren sie sich wegen der Hitze.

. Heute waren es ca. 20, im Schnitt zwischen 30 und 65 Jahren alt,
"Heute waren es ca. zwanzig, im Schnitt etwa vierzig Jahre alt, ..."

Drei Leute fielen aus dem Rahmen:
"Drei von ihnen fielen besonders auf:"

... auf höchstens 18, ihren Gefährten auf ca. 25 Jahre, mit Sicherheit waren sie die jüngsten in der Truppe.
"... auf höchstens zwanzig, ihren Gefährten auf ca. fünfundzwanzig Jahre. Bestimmt waren sie die Jüngsten in der Gruppe."

... als der Japaner sich mit einem Ächzen an die linke Brust fasste. Irritiert sah Luigi zu ihm hin.
(wenn damit ein Herzinfarkt angedeutet werden soll, liegst du neben der Spur.
Der kündigt sich diffusen, schwer zu lokalisierenden dumpfen Schmerzen an, die sich vom Rücken her bemerkbar machen, den Schweiß auf die Stirn treiben und allenfalls zu einem leisen Stöhnen führen. Das Herz ist zwar Auslöser eines Unwohlseins und der Schmerzen, tut aber selbst mangels Schmerznerven nicht weh. Da musst du noch mal ran).


„Können wir endlich weitermachen?" ließ sich eine gereizte Stimme vernehmen. Sie gehörte dem dicken Deutschen.
Irgendwie stimmt da die Ablaufschilderung nicht. In der Regel bilden die Menschen einen neugierig blickenden Haufen und manchmal tut einer sogar das Richtige (wie der Toga-Träger). Der Unsymphat würde vielleicht so was wie: "Wird schon nicht so schlimm sein" von sich geben.


Der Schauspieler hatte den Japaner inzwischen auf dem Boden gelagert und redete auf Englisch auf ihn ein, offenbar, um ihn zu beruhigen.
"...und redete auf Englisch beruhigend auf ihn ein."

Unter der Toga trug er nur eine Unterhose, und Luigi empfand einen Riesenrespekt.
Über den Satz habe ich gegrinst. Was hat dem Luigi denn da diesen Riesenrespekt abgefordert? Doch nicht etwa die Füllung der Unterhose?

Die Japanerin kniete neben ihrem Mann auf dem Boden, verhielt sich aber still. Die anderen Touristen standen mit belämmertem Gesichtsausdruck herum. Nur der dicke Deutsche hatte einen knallroten Kopf und sah aus, als würde er gleich platzen.
„Wie lange soll das noch dauern?", fuhr er Luigi wütend an. „Was für ein Zirkus! Die Jappsen sind doch alles Schwächlinge. Ich bin doppelt so alt und würde mich nie so anstellen."
Die Reaktion des dicken Deutschen ist schlicht unglaubwürdig. Vielleicht: Dem dicken Deutschen war das alles zuviel Aufhebens. "Macht ihr mal, ich hol mir zwischendurch `ne Pizza."

„Shut up!", fuhr Luigi den Deutschen wütend an, und vor Überraschung klappte dieser den Mund zu und trat einen Schritt zurück. Aber es war zu spät: Ein anderer Tourist trat vor und fragte den Deutschen auf Französisch, was er da gerade gesagt habe.
„Ich verstehe Sie nicht", knurrte dieser ihn an, und der Mann wiederholte auf Deutsch mit französischem Akzent: „Was 'aben Sie gerade über unseren Freund gesagt?"
„Welcher Freund? Meinen Sie den schlappen Typ, den Japps?"
„Das nehmen Sie zurück!", mischte sich ein zweiter ein, Luigi identifizierte ihn ebenfalls als Franzosen, obwohl er nur einen ganz leichten Akzent hatte.
„Ich nehme gar nichts zurück!", trumpfte der Deutsche auf, „und schon gar nicht für einen Froschfresser. Wo kämen wir dahin ..." Weiter kam er nicht, denn der erste landete einen Schlag mit seiner Rechten, und der Deutsche fiel um wie ein nasser Sack, alle redeten durcheinander, und als der Rettungswagen eine Minute später eintraf, nahmen die Sanitäter nicht nur den Japaner, dessen Gesichtsfarbe sich leicht verbessert hatte, sondern auch den Deutschen mit. Auf Nachfrage, was mit diesem passiert sei, erklärte alle übereinstimmend, er sei ausgerutscht und mit dem Kopf voran auf den harten Boden geknallt. Der Deutsche selbst war wohl zu benebelt, um etwas zu sagen, zumindest brachte er kein Wort heraus.

Abends erzählte Luigi seiner Frau von dem Erlebnis, ließ aber die Sache mit dem Boxhieb weg. Sie würde sich nur Sorgen um seine Sicherheit machen. Über das Verhalten des Deutschen war sie empört und lobte den Schauspieler.
„Ja", sagte Luigi. „Ich habe mir gedacht, du könntest ein Stück daraus machen."
„Aber mit mehr Action", sagte sie. „Sonst gibt das nicht viel her. Weißt du was, ich baue da eine Schlägerei ein."
Luigi nickte. „Du hast immer die besten Ideen."

Die Pointe gefällt mir!
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Alt 18.10.2022, 06:12   #5
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Wie wischt man eine Glatze ab? Ist die dann weg? (Das wäre nur ein Beispiel).
Indem man sie z.B. mit einem Taschentuch, einem Handtuch oder dem Hemdsärmel abwischt. Wie man das auch mit Geschirr macht: Man wäscht es ab, und danach ist es nicht weg, sondern noch vorhanden, aber sauber. Aber du hast recht: Man hätte den Satz eleganter und präziser verfassen können.

Mein "Lob" war ein Vorschusslorbeer. Die Geschichte habe ich noch nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit gelesen.
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Alt 18.10.2022, 06:47   #6
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Lieber Heinz,

danke für deine Beschäftigung mit dem Text.

Zitat:
Können wir endlich weitermachen?" ließ sich eine gereizte Stimme vernehmen. Sie gehörte dem dicken Deutschen.
Irgendwie stimmt da die Ablaufschilderung nicht. In der Regel bilden die Menschen einen neugierig blickenden Haufen und manchmal tut einer sogar das Richtige (wie der Toga-Träger). Der Unsymphat würde vielleicht so was wie: "Wird schon nicht so schlimm sein" von sich geben..
Die Geschichte entstand jedoch nach einer bestimmten Vorgabe, deswegen ist sie so geschrieben, wie sie ist, schau mal hier:
https://www.poetry.de/showthread.php?t=99676

Deswegen stellt sich der Unsympath ganz besonders unsympathisch dar.

Was den Herzinfarkt betrifft, die Symptome kann man hier nachlesen:
https://www.drk.de/hilfe-in-deutschl...e/herzinfarkt/

Dort steht:
Zitat:
„Symptome eines Herzinfarkts

Die betroffene Person hat starke Schmerzen hinter dem Brustbein, oft mit Ausstrahlung in den linken Arm, die Schulter, den Unterkiefer oder den Oberbauch.
Die betroffene Person kann sehr unruhig (Todesangst) sein.
Das Gesicht ist blass-grau.
Die betroffene Person ist geschwächt.
Da ein Herzinfarkt unterschiedlich stark ausgeprägt auftreten kann, sind auch die Anzeichen unterschiedlich intensiv ausgeprägt. Im schlimmsten Fall tritt ein Herz-Kreislauf-Stillstand ein."
Zitatende

Bei den „jüngsten in der Gruppe" wird „jüngsten" klein geschrieben, bezieht sich ja auf die Gruppe. „Sie waren nicht mehr die Jüngsten", da wird es groß geschrieben.
https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung...ste+der+Gruppe
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Alt 18.10.2022, 06:49   #7
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Liebe Silbermöwe,
ich kenne die Vorgabe. Meine Bemerkungen sollen nicht an der Vorgabe vorbei eine andere Story bewirken, sondern vielleicht ein wenig mehr sprachliche "Eleganz" rein bringen und falsche Schilderungen und Übertreibungen abmildern.
Liebe Grüße,
Heinz
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Alt 18.10.2022, 06:58   #8
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So, jetzt habe ich die Geschichte gelesen. Da ist aus deinem Grundrezept und meinen vorgeschlagenen Zutaten wirklich etwas entstanden. Es funktioniert also. Man könnte die Vorgehensweise noch ein bisschen ausbauen, indem man die Zutaten auf Kärtchen schreibt, die man verschieben kann (ähnlich einem Storyboard bei der Entwicklung von Kinofilmen). Denn beim Umbau der Szenenfolge können interessante Effekte entstehen. Aber das nur nebenbei.

Zum Text:

Zunächst das Positive. Die Geschichte hat Handlung, beschreibt Typen und weist mehr als nur einen Konflikt auf (nationalistische Denkart, Interessenkonflikte, Konfliktlösung durch Gewalt). Ein paar Bausteine haben dazu geführt, eine konsistent erzählte Szenerie zu entwickeln, sprich: die Phantasie der Autorin anzuregen. Die Geschichte hat Anfang, Mitte und Ende. Sehr schön und gelungen.

Jetzt zum Eingemachten:

Zitat:
„Ganz schön heiß heute." Der dicke deutsche Tourist wischte sich mit einem Taschentuch die spiegelnde Glatze ab, und Luigi sah ihm halb belustigt, halb mitleidig zu.
Hier hätte man präziser und ausführlicher formulieren können: Der deutsche Tourist, beleibt und sichtlich leidend, wischte sich mit einem Papiertaschentuch den Schweiß von der Glatze und aus dem Nacken ...

Dass die Glatze "spiegelt", ist hier nicht von Belang und deshalb überflüssig.

Zitat:
‚Immer dasselbe', dachte er. ‚Die Gäste kommen wegen des heißen Wetters nach Rom und beschweren sich dann.
Bei Gedankengängen sind Anführungszeichen nicht nötig. Es fehlt auch der Zusatz, worüber sich die Touristen beschweren. Es hätte also geschrieben werden können: Immer dasselbe, dachte er, die Gäste kommen wegen des sommerlichen Wetters nach Rom und beschweren sich dann über die Hitze.

Zitat:
, in die unterirdischen Areale des Kolosseums abtauchen zu müssen, wo sich einst Kerker, Käfige und Flaschenzüge befanden
Areale sind für mich Landflächen. Vielleicht wäre hier der Begriff "Katakomben" besser gewesen.

Zitat:
. Heute waren es ca. 20, im Schnitt zwischen 30 und 65 Jahren alt,
Ich halte es für eine Unsitte oder Bequemlichkeit, in einem Prosatext Zahlen nicht auszuschreiben, und auch Abkürzungen wie "ca." gehen gar nicht. Auch mit dem "Schnitt" habe ich ein Problem, denn er ergäbe bei deinen Angaben den Wert von fast fünfzig Jahren. Man hätte es so schreiben können: Heute waren es etwa zwanzig in Altersstufen von dreißig bis fünfundsechzig.

Zitat:
Die Japanerin schätzte Luigi auf höchstens 18, ihren Gefährten auf ca. 25 Jahre ...
Die Syntax beachten! Die Japanerin schätzt nicht Luigis Alter ab, sondern er das ihre. Luigi schätzte das Alter der Japanerin auf höchstens achtzehn, das ihres Gefährten auf um die fünfundzwanzig.

Hier ist ein bisschen Vorsicht geboten, denn in Japan ist man mit achtzehn noch nicht volljährig, und nach den strengen Sitten der Japaner ist es nicht selbstverständlich, ein achtzehnjähriges Mädchen ohne Eltern nach Europa reisen zu lassen.

Dabei will ich es belassen, weil ich denke, dass dies genug Meckerei ist, um Anlass zu geben, die Geschichte noch ein bisschen runder zu machen.

Und da das Konzept zu funktionieren scheint, wie man ein Thema für eine Geschichte findet, kann ja der nächste User ein paar Zutaten für eine neue vorgeben.

Liebe Grüße
Ilka
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Alt 18.10.2022, 07:00   #9
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Lieber Heinz,

du hast ja schon geantwortet ich war noch gar nicht ganz fertig mit meinem letzten Kommentar, habe ihn noch editiert.
Was die Symptome des Herzinfarktes betrifft, schau mal den Link jetzt oben im letzten Kommentar. So etwas recherchiere ich schon, ehe ich es in eine Geschichte einbaue.

LG DieSilbermöwe
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Alt 18.10.2022, 07:07   #10
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Liebe Ilka,

vielen herzlichen Dank für deinen Kommentar!

Zitat:
.Da ist aus deinem Grundrezept und meinen vorgeschlagenen Zutaten wirklich etwas entstanden. Es funktioniert also. Man könnte die Vorgehensweise noch ein bisschen ausbauen, indem man die Zutaten auf Kärtchen schreibt, die man verschieben kann (ähnlich einem Storyboard bei der Entwicklung von Kinofilmen). Denn beim Umbau der Szenenfolge können interessante Effekte entstehen. Aber das nur nebenbei.

Zum Text:

Zunächst das Positive. Die Geschichte hat Handlung, beschreibt Typen und weist mehr als nur einen Konflikt auf (nationalistische Denkart, Interessenkonflikte, Konfliktlösung durch Gewalt). Ein paar Bausteine haben dazu geführt, eine konsistent erzählte Szenerie zu entwickeln, sprich: die Phantasie der Autorin anzuregen. Die Geschichte hat Anfang, Mitte und Ende. Sehr schön und gelungen.
Ich fand das auch erstaunlich, wie sehr das die Fantasie angeregt hat. Ich habe mir am Sonntag einen Reiseführer aus Italien angesehen, mir besonders das Kolosseum angeschaut (daher auch die „Areale") und dann losgeschrieben.

Natürlich hast du recht, dass man noch etwas feilen kann.

Lieber Heinz,

noch etwas: Schön, dass dir die Pointe gefällt, für die musste ich wirklich länger überlegen.

LG DieSilbermöwe
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Alt 18.10.2022, 07:12   #11
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Ich war schon mal im Kolosseum. Hast du gewusst, dass die Römer bereits die Technik hatten, die Arena abzudichten, sie mit Wasser zu füllen und eine Seeschlacht vorführen zu lassen?

Frauen war erlaubt, als Zuschauer ins Kolosseum zu kommen, aber sie durften nur auf den obersten Plätzen sitzen.
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Alt 18.10.2022, 07:14   #12
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Ja, die Sache mit den Seeschlachten und den Frauen, die nur auf den obersten Plätzen sitzen dürfen, steht auch im Reiseführer.

Ich war leider noch nie in Rom, in Italien schon. Ist aber schon lange her.
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Alt 18.10.2022, 14:44   #13
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Liebe Silbermöwe,
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Die Frage ist: Woher stammen deine Kenntnisse über die Begleiterscheinungen eines Herzinfarktes?
Frag doch mal einen (z.B. mich), wie sich so ein Herzinfarkt ankündigt. Ich habe drei davon überlebt und erinnere mich gut an den ersten. Da gab es unerklärliche Schmerzen im Rückenbereich, Schweißausbrüche, das dringende Bedürfnis auf die Toilette zu müssen und den Anfangsverdacht bei mir, da sei was mit der Lunge oder dem Magen. Ein Sanitäter (der im wirklichen Leben ein approbierter Doktor, seines Zeichens Internist war) verabreichte mir eine doppelte Ladung Zäpfchen (leider fällt mir der Name des Medikaments nicht ein) und empfahl eine Untersuchung des Magens.
Beim zweiten Herzinfarkt - dieselben Symptome. Nur war meine Hausärztin diagnosesicherer als der "Sanitäter", gab mir eine Spritze in den Brustmuskel und ließ mich sofort mit einem Hubschrauber in die Rostocker Uniklinik bringen.
Beim dritten - wieder dieselben Begleiterscheinungen. Nur: Hier konnte ich selbst die richtige Diagnose stellen und meiner Freundin die erforderlichen Maßnahmen "diktieren".
Dreimal hat er angeklopft, der Bruder Hein und dreimal bin ich ihm von der Schippe gesprungen.
Liebe Grüße,
Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.10.2022, 15:19   #14
weiblich Ilka-Maria
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Zitat:
Zitat von Heinz Beitrag anzeigen
Recherche zu betreiben - Klasse!
Ohne Recherche kommt ein Autor fast nie aus, selbst beim biografischen Schreiben muss er manchmal in alten Dokumenten kramen.

Ein Herzinfarkt kann sich sehr individuell ankündigen. Selbst hatte ich zwar noch keinen, aber von Hans-Dietrich Genscher wurde bekannt, dass sich sein Infarkt durch Übelkeit (aber mehr im Halsbereich als im Magen) und starker Speichelbildung bemerkbar machte. Da seine Ehefrau kurz davor einen Vortrag über die Symptome eines Herzinfarktes besucht hatte, reagierte sie umgehend und schaffte ihren Mann ins Krankenhaus.

Bei unserem Ex-Präsidenten der Offenbacher Kickers, Ex-Nationalspieler Dieter Müller, war es genauso: Ihm wurde übel, er legte sich deshalb auf die Couch und wurde bewusstlos. Akuter Herzstillstand. Seine Frau holte sich beim Rettungsdienst telefonische Anweisungen, bearbeitete den Brustkorb ihres Mannes entsprechend, und bis der Notarzt da war, hatte sie Müller wieder bei Bewusstsein. Bei seinem Herstillstand war er erst 60 Jahre alt. Er hatte Glück, dass seine Frau wenige Minuten zuvor vom Büro nach Hause gekommen war, sonst wäre er reif für den Friedhof gewesen.

Johannes Mario Simmel hatte seinen Herzinfarkt eindrucksvoll in dem Roman "Bis zur bitteren Neige" beschrieben, da ging die Attacke mit krampfartigen Schmerzen im Brustkorb einher.

Mein Vater hatte keine Schmerzen, ihm wurde aber schwindelig, und er sackte regelrecht zusammen. Bei der Untersuchung stellten die Ärzte fest, dass er schon etliche kleinere Herzinfarkte hatte, die von ihm völlig unbemerkt geblieben waren.
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Alt 18.10.2022, 16:00   #15
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Liebe Ilka-Maria,
du hast mit jeder Zeile genau das beschrieben, was ich aus eigener Erfahrung kenne.
Gruß,Heinz
Heinz ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 18.10.2022, 17:03   #16
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Lieber Heinz,

da bin ich ja froh, dass du dem Tod von der Schippe gesprungen bist.

Im Link steht aber auch, dass die Anzeichen unterschiedlich ausfallen können.

LG DieSilbermöwe
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