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Alt 15.06.2011, 00:27   #1
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909


Standard Nächtliches

Irgendwann nachts wurde ich von einem Piepsen geweckt. Der Wecker war es nicht gewesen, der piepste lauter und nicht um diese Zeit. Ich versuchte daher, gleich wieder einzuschlafen. Aber das wurde durch ein erneutes Piepsen verhindert. Ich versuchte vom Bett aus zu orten, wo das Geräusch herkam. Es musste das andere Zimmerende sein, wo mein Schreibtisch stand und jetzt nahm ich auch ein Rascheln dort wahr. Unwillkürlich dachte ich an eine Maus, ein ziemlich abwegiger Gedanke, denn wie sollte ein solches Tier in den zwölften Stock gelangen.

Ich machte Licht. Das Piepsen verstummte, ich hörte nun nichts mehr. Ich war aber neugierig geworden, ob mir nicht jemand noch eine mail geschickt hatte, manchmal passierte sowas spät nachts. Ich huschte zum Schreibtisch, schaltete rasch den Computer ein und griff mechanisch nach der Maus, doch ins Leere. Meine Hand fuhr gleich suchend auf der Tischplatte herum, konnte jedoch das ihr vertraute Plastikteil nicht erhaschen. Nun schaute ich gründlicher, hob das Papier an. Die Maus war weg.

Ich konnte mir das nicht erklären, zwickte mich ins Bein, um zu prüfen, ob ich träumte, doch alles blieb, wie es war. Ich löschte schließlich das Licht und überlegte, wieder im Liegen, wem zum Teufel, ich meine Maus ausgeliehen haben könnte. Manchmal tat ich ja etwas, ohne es recht zu registrieren.

Doch nach einer Weile begann plötzlich das Rascheln wieder. Eine ganze Zeit hörte ich zu, unterschied nun auch ein Kratzen und Tappen, als ob kleine Füße mit Krallen auf Metall liefen. All das deutete darauf hin, dass doch ein kleines Tier im Zimmer war und wahrscheinlich in meinem Papierkorb herumlief.

Ich stand auf, machte abermals Licht, ging zum Papierkorb. Zerknülltes Schreibpapier, das den Blick zum Boden versperrte, lag still und unbewegt darin. Ich kniete mich vor den Korb und jetzt sah ich, dass das Papier, auf dem meine unfertigen Gedanken standen, ein wildes Gekritzel voller Streichungen, an einigen Stellen angefressen war. Und an genau diesen Stellen, an denen Worte fehlten, fand sich nun, klar ausgedrückt, der Sinn, um den ich stundenlang vergeblich gerungen hatte. Offenbar hatte hier jemand eine bessere Beziehung zu diesen verborgenen Schätzen.

Mit einer ehrfürchtigen Vorsicht hob ich das angefressene Papier, Stück für Stück, aus dem Korb und legte es auf den Schreibtisch. Erst als ich das letzte hochnahm, entdeckte ich einen zitternden dunklen Schatten. Ich hielt den Atem an, suchte mit meinen Blicken die Stelle genauer zu unterscheiden und da war mir, als ob ich den Glanz eines schwarzen Felles bemerkte und in dem Glanz auch einzelne gesträubte Haare. Schließlich aber sah ich mehr. Wo der Glanz besonders stark war, zwei kleine Augen und weiter hinten, es musste der Rücken sein, etwas Rundes, Geriffeltes, das wie ein Scrollrädchen aus dem Fell ragte.

Mit unendlicher Vorsicht legte ich das angefressene Papier in den Korb zurück und verhüllte mir so meine Entdeckung. Ich schlich zum Bett zurück und löschte das Licht.

Als am nächsten Morgen der Wecker piepste und die Sonne schon im Fenster stand, war auch meine Maus wieder auf dem Tisch, silbern und wie immer. Ich kippte den Papierkorb aus, der nichts als Papier enthielt, Papier mit Gekritzel und Gestrichenem, aber keinen Löchern mehr. Ich las das Geschriebene noch einmal und plötzlich fand ich, dass alles sehr stimmig war und voller Gedankenmusik. Ich streichelte meine Computermaus und dehnte mich lächelnd im Stuhl.
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Alt 15.06.2011, 11:16   #2
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909


In Hektik und Getümmel überarbeitet:

Ich konnte mir lange nicht erklären, warum mir mein trauriges Vortagsgeschreibsel am Folgetag mitunter gar nicht so übel erscheint. Neulich aber kam ich der Sache auf die Spur.

Ich wurde nämlich plötzlich nachts durch feines Piepsen geweckt. Der Wecker war es nicht, der piepste viel lauter und schon gar nicht um diese Zeit. Also dachte ich, dass das Geräusch von der Straße tief unten kam und versuchte, gleich wieder einzuschlafen. Aber das Piepsen, so leise es auch war, hatte etwas, das mich daran hinderte. Dazu kam, das ich jetzt auch eher das Gefühl hatte, dass es von meinem Schreibtisch herrührte und so machte ich Licht.

Das Piepsen verstummte, am Schreibtisch wirkte alles normal. Einmal auf den Beinen, entschloss ich mich, rasch nachzusehen, ob ich noch e-mails gekommen hatte. Ich setzte mich, schaltete den Computer ein und griff mechanisch zur Maus, um das Passwortfeld anzuklicken. Doch die Maus war weg.

Ich suchte eine Zeit lang vergeblich nach ihr, zwickte mich auch ins Bein, um zu prüfen, ob ich träumte. Schließlich löschte ich das Licht und legte mich wieder hin. Ich grübelte im Dunkeln.

Nach einer Weile meldete sich das Piepsen wieder und jetzt war auch ein Rascheln zu hören. Es raschelte, als ob sich da etwas zwischen Papier bewegte und nun unterschied ich auch noch ein helltönendes Tappen und Kratzen, als ob kleine Füße mit Krallen sich auf Metall bewegten. Es musste vom blechernen Papierkorb kommen, der unter dem Schreibtisch stand.

Ich erhob mich wieder, zog den Papierkorb hervor und richtete den Lichtkegel der Schreibtischlampe in sein Inneres. Still lag das zerknüllte Papier darin. Nichts regte sich. Aber, was ich jetzt sah, war, dass das Papier an einigen Stellen angefressen war. In meiner Schrift, Gekritzel voller Streichungen, fehlten immer wieder Wörter. Und genau an diesen Stellen, die ich rasch überflog, fand sich nun, dass der Sinn, der bisher diffuse, klar ausgedrückt war.

Mit Vorsicht hob ich das Papier, Stück für Stück, aus dem Korb und legte es auf den Schreibtisch. Als ich das letzte hochnahm, entdeckte ich wirklich etwas, einen rundlichen kleinen Fleck, der sich kaum vom Korbboden abhob. Nur sein Zittern bewirkte, dass ich ihn überhaupt sah. Ich hielt den Atem an, suchte mit den Blicken genauer zu forschen und da entpuppte sich der Fleck als ein kleiner, rasch atmender Körper mit silbrigem Fell, aus dem sich einzelne Haare sträubten. Mitten darin aber, es musste der Rücken des kleinen Tieres sein, entdeckte ich etwas Rundes, Geriffeltes, wie ein Scrollrädchen, das aus dem Fell ragte.

Leise, leise legte ich das angefressene Papier in den Korb zurück, schlich zum Bett zurück und löschte das Licht.

Am nächsten Morgen piepste überlaut der Wecker und ich ging gleich zum Schreibtisch, auf dem, wie immer, silbern, meine Computermaus lag. Ich kippte den Papierkorb aus, der nichts als Papier enthielt, Papier mit Gekritzel und Gestrichenem, aber keinen Löchern mehr. Ich las das Geschriebene noch einmal und plötzlich fand ich, dass alles sehr stimmig war und voller Gedankenmusik. Ich streichelte meine Computermaus und dehnte mich lächelnd im Stuhl.
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