Poetry.de - das Gedichte-Forum
 kostenlos registrieren Forum durchsuchen Letzte Beiträge

Zurück   Poetry.de > Geschichten und sonstiges Textwerk > Geschichten, Märchen und Legenden

Geschichten, Märchen und Legenden Geschichten aller Art, Märchen, Legenden, Dramen, Krimis, usw.

Antwort
 
Themen-Optionen Thema durchsuchen
Alt 24.04.2011, 18:55   #1
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909


Standard Wolle Wuff holt Gold (Kindergeschichte)

Jeder kannte ihn nur als Wolle Wuff. Wuff, der Mann, der in der Bütt für Stimmung sorgte, der dicke Wolle in seinem rosa Kostüm. Aber niemand kannte diesen Herrn Wuff wirklich.

Wolfgang Körner war früher ein bekannter Sportler gewesen. Aber der Sportler Körner galt als verschollen. Zehn lange Jahre hatte niemand von ihm gehört. Jetzt, zur Winterolympiade, waren die alten Archivbilder noch einmal in einer Retrospektive gezeigt worden: Früh schon stand Körner als rotblonder Junge kess auf den Schlittschuhen, früh machte er mit seinem Talent einst von sich reden. Wenn er auf den Eiskunstlauf-Meisterschaften pirouettierte, von unsichtbaren Händen getragen den Salchow und doppelten Rittberger sprang, war im Publikum keiner, dem nicht der staunende Mund offen blieb. Er war die Erfüllung der nach Anmut und Grazie verlangenden Sinne und die Hoffnung der auf Siege setzenden Nation. Doch dann las man plötzlich in Fettdruck: „Körner verliebt? Kalte Eisprinzessin schlingt Todesspirale um Wolfgangs Herz.“ Und in der Endausscheidung geschah es: Körner, als deutscher Meister schon vorab gefeiert, stürzte bei seinem letzten, eigentlich einfachen Sprung und brach sich das Steißbein. Er startete nie wieder.
Die Regenbogenpresse verlachte ihn böse. Sie zeigte ihn als Versager triumphierend im Rollstuhl, als das Wrack Körner, als seelische Ruine. Die Paparazzi toppten hämisch: “Körners Girl in Eisclown Willis Bett. - Macht Körner jetzt Selbstmord?“
Tatsächlich aß und trank Wolfgang Körner jetzt unmäßig viel, ging bald wie ein Hefekloß auseinander. Selbst als er nach vielen Anstrengungen wieder laufen konnte, blieb er labil und betrank sich oft sinnlos. Und dann war er plötzlich verschwunden. Er hinterließ keine Spur. Ob Gewalt, eigene oder fremde, im Spiel war, blieb völlig ungeklärt.

Erst Jahre danach hatte jemand gelernt, über sich selbst zu lachen, Trauer, Schmerz und Wut mit Humor aufzufangen. Ganz weg waren die seelischen Krämpfe natürlich nicht. Aber das Leben bekam doch wieder Sinn und auch äußere Form, denn die neue Gabe öffnete ihm plötzlich andere Türen. Der örtliche Karnevalsverein präsentierte einen gewissen „Wolle“, einen noch unbekannten dicken Mittzwanziger, der eine Komik ganz unerwarteten Zuschnitts beherrschte. Es war ihm gegeben, verliebte Tiere köstlich zu persiflieren. Er sang über Freud und Leid ihrer Brunst mit Gebell, Miau und Gewieher. Und sein Durchbruch kam. Die Show im rosa Mopskostüm. Da lief der pinkfarbene Dicke dreimal schwanzwedelnd um die Bütt, hob sein Bein und spritzte gelbes Wasser, jaulte in dem markierten Revier einer kleinen Dackelfrau aus der Spielwarenkiste begeistert hinterher. Und dann erklang sein Minnelied mit dem schönen Refrain:

Ich schnupper’ an dir, das macht mich froh,
ich schwöre ab dem Suff,
mich reizt nur noch dein Dackelpo,
ich lieb dich so, wuff, wuff!

Alle sangen mit warmen Stimmen mit, klatschten und stampften mit den Füßen. Wolles Song berührte ihr Herz, er hatte ihre wahren Empfindungen getroffen. Er schöpfte offenbar aus ganz eigener Erfahrung. Laute Rufe „Zugabe!" erschallten und dann bellten sie ihm nach: „Wuff, wuff! Wuff, wuff!“ Der neue Publikumsliebling war also geboren. „Wolle Wuff“, wie er von jetzt an hieß, wurde nun jedes Jahr sehnlich an Fastnacht erwartet.

Wolle war dankbar, er fand in der Freude der Menschen Halt, er wollte ihnen gern geben, wovon er viel hatte, von seinem Schmerz, seinem Witz und seiner eigenen Freude. Er hielt das Kreative unermüdlich durch, er hatte reiche Reserven. Aber dann kam ein Mann vom Fernsehen auf ihn zu und sagte forsch: „Wolle, du wirst mit uns ein Toppstar!“ Und da räkelte sich eine alte Wunde in ihm und er tappte in die Falle und unterschrieb. Zunächst durfte er da noch frei sein Programm gestalten, nur die vielen Termine jagten ihn. Er hetzte durch Proben, Auftritte, Interviews, hatte Mühe, die Träume vor seinem inneren Auge lebendig zu halten. Aber ein Gutes war doch dabei: der Stress zehrte an Wolles Fett, er wurde immer schlanker. Die Zeit kam, wo Mopskostüm und Katzenfell schlotterten, er musste sich mit Federkissen ausstopfen, damit der Wanst noch stramm war. Er war aber wieder ganz leichtfüßig und beschwingt und so sprang der Dickmops nun manchmal witzige Salchows für sein Fernsehpublikum. Aber dann kam der ruhelose Chef zu ihm. Er hatte die Einschaltquoten verglichen und festgestellt, dass die Albernheiten der Clowns in andern Sendern mehr ankamen und die Leute dort hängen blieben beim Zocken. Das Geschäft gehe schlecht. Wolles Nummer sei bei weitem zu intelligent, also fürs Durchschnittspublikum zu langweilig. Wolle erschrak. Ihm graute davor, aus Gefühlen blöde Faxen zu machen. Er wollte nichts verwässern. Er kochte und wollte gleich kündigen, als er sich doch noch einmal von seinem wichtigtuerischen Chef beschwatzen ließ. Denn sein Freiheitssinn wusste noch nicht, wohin er wollte.
Das war das Jahr, als der Karneval gerade zur Zeit der Winterolympiade stattfand. In einigen Fernsehprogrammen tollten die Narren und in anderen flitzten die Skisportler stäubend über die Hänge. Jeder schaltete ständig hin und her. Und auch Wolle, der nach langer Zeit mal wieder in seiner Heimatstadt auftrat, zockte direkt vor seinem Auftritt als dickes Schweinchen Quieki noch in der Star-Kantine nervös am Fernseher herum und da kam plötzlich Eiskunstlauf. Er wollte sofort den Stecker ziehen, aber er konnte es nicht. Er saß wie gelähmt da und steckte doch wie ein entsichertes Geschoss in seiner rosa Schweinepelle. Ihm wurde furchtbar heiß darin, so dass er die Kissen, ohne es zu merken eins nach dem anderen herauszog. Dann klingelte das Glöckchen und rief ihn auf die helle Bühne.

„Wolle Wuff macht Schweinerei“ hatte der Chef die Nummer genannt und diesmal selbst die Songs getextet. Er hatte sich erfolgssicher in die erste Reihe gesetzt und konnte den Auftritt gar nicht erwarten. Er wollte mitkriegen, wie sich der Dicke flott sein kleines Ringelschwänzchen leckte. Und da kam er! Wolle! Na, endlich! Sofort schwenkten die Kameras alle zu ihm und zoomten ihn gierig heran. Aber nein, war das Wolle? Das allerfetteste Schweinchen Quieki? Oho, was da heraus gewackelt kam, war grausam dürr, war ein Gespenst von Schwein aus aller ärmsten Ländern. Das viel zu weite Kostüm hing kläglich um die Schweinshaxen, das affengeile Schwänzchen war darunter begraben. Und dieses Jammerschwein blieb starr vor allen stehen und sang:

An Fassenacht, an Fassenacht,
da lach’ ich, dass die Wampe kracht,
und leck’ bei meinem Tänzchen
mir quietschend an dem Schwänzchen.

Es war der Hohn und dennoch: der dürre, starr wirkende Körper, der im Moment zum Bersten angespannte Wuff hypnotisierte die Menge. Gerade durch die himmelschreiende Dissonanz in dieser entstellten Nummer war ungeheure Beklemmung entstanden, die sich plötzlich donnernd und effektvoll entlud. Alle Narren in der großen Festhalle fingen schallend an zu lachen und quietschend nach ihrem Ringelschwanz zu suchen, so sehr hatte Wolle sie in Fahrt gebracht. Das „Helau“ wollte kein Ende nehmen, bis der trunkene Bürgermeister selbst zur Bühne stolperte, mit wehender Krawatte, und Wolle als Krönung des Abends und Star seiner Stadt schwitzend umarmte. Die Presse schoss das Foto von den beiden fürs Titelbild am Folgetag.

Aber am nächsten Tag musste amtlich Halbmast geflaggt werden. Und unter dem besagten Foto stand: „So bleibt uns Wolle unvergessen!“ Denn der unübertreffliche Wuff... er war leider gleich nach dem Auftritt verschwunden. Zuletzt hatte man noch gesehen, wie er in die Garderobe ging. Sein Chef erwartete ihn für Interviews zurück und begann ihn ungeduldig zu suchen. Er wollte ihm jetzt auch persönlich danken und sich ein bisschen entschuldigen. Umsonst. Wolle kam nicht wieder. Und dabei war es geblieben trotz nächtlichem Polizeieinsatz, trotz Hundegeschnüffel im Stadtwald. Denn Wolle war auf der Flucht nach vorn. Er reiste inkognito zur Olympiade.
Der Entschluss dazu war in der Garderobe gefallen. In diesem Augenblick, als er ganz allein war. Ein göttlicher Fingerzeig. Es hatte nichts mit der Wut auf Einschaltquoten, nichts mit der wiederentdeckten Liebe zum alten Sport zu tun. Er hatte in der Garderobe etwas gefunden, was ihn wie eine Messerspitze traf. Schon bereit, im Smoking wieder aufzutauchen, sah er vor sich am Haken plötzlich ein Kleid, das er kannte. Ein Kleidchen, grün türkis changierend, von Sternen übersät, und unter dem weiß bordieren Ausschnitt die fünf Ringe auf der zierlich gearbeiteten Brustpartie. Er taumelte fast. Er fasste das Ding, fasste sein Schweinskostüm und entwich im nächsten Augenblick ungesehen durch den Notausgang.
Nun saß er im Zug. Er hielt die beiden Kleidungsstücke fest auf seinem Schoß. Er legte sie nicht beiseite. Er war in Gedanken. Damals, es war vor zehn Jahren, hatte er sich wirklich wie ein Schwein verhalten, damals, als Annett in dem Kleid auf ihn zukam.
Es war beim lang ersehnten Karnevalslaufen für junge Talente im Stadion. Annett, die leider krank geworden war und ihm absagen musste mit hohem Fieber, kam plötzlich doch und da küssten sie sich zum ersten Mal auf dem Eis und jemand blitze mit der Kamera. Annetts Mutter hatte ihr ganz auf die Schnelle einfach die fünf olympischen Sterne auf die Brustpartie ihres Kleidchens gestickt, damit sie überhaupt eine Art Verkleidung hatte. Und obwohl Wolfgang sich freute, dass sie die Kraft gehabt hatte doch zum Fasching zu kommen, obwohl er sie heute besonders entzückend fand und im tiefsten Herzen liebte, sagte er böse: „Olympiade, da kommst du doch nie hin!“ Das steckte sie noch weg, denn sie wusste ja, dass er besser war als sie und doch so eifersüchtig auf ihre schnelle Aufholjagd in einem Jahr. Grundlos eifersüchtig, denn sie war nur für ein einziges geheimes Ziel so ungeheuer trainingsfleißig. Und das gestand sie ihm, ganz verlegen lächelnd, jetzt: „Vielleicht nicht allein, Wolfgang, aber mit dir.“ Sie sah, wie er krebsrot wurde, weil er den Gedanken nicht ertrug, dass er im Paarlauf nur als einer von zwei Namen genannt würde, wenn es dereinst vielleicht auf das Treppchen ginge. Und er schluckte und sagte hart: „Probier es mal bei Willi!“ Denn er hasste diesen Nichtskönner von Eisclown, diesen blöden Charmeur.
Sie waren noch eine Zeit lang schweigend nebeneinander hergelaufen. Dann war sie gegangen und am nächsten Sonntag auf der Meisterschaft stand sie, gerade als er dran war, wirklich bei Willi.
Das war nun zehn Jahre her. Sein Steiß war geheilt, aber sein Herz war, wie er in der Garderobe gefühlt hatte, noch immer krank davon. Sein Humor hatte von dieser Krankheit gelebt und das Fernsehen hatte davon profitiert und die Zuschauer. Nun aber wollte er diese Krankheit heilen. So gut es noch ging. Er wollte Annett bitten: „Verzeih.“ Und ihr zeigen, dass er sie noch liebte. Eben deshalb musste er dorthin, wo sie sich hingesehnt hatte mit ihm. Und er wollte sie am liebsten dort doch noch aufs Treppchen heben, was natürlich unmöglich schien.

Wolle wusste nicht, wie ihr Kleidchen vorgestern in diese Garderobe gekommen war. Aber er wusste, als er jetzt im nördlichen Italien auf die Eislaufhalle mit den fünf Ringen zuschritt, dass es, mindestens in höheren Kategorien gedacht, kein Zufall sein konnte. Und in diesem Sinne hatte Wolle sich schon auf der Zugtoilette in das schillernde Kleidchen gezwängt, sein Schweinskostüm und seinen Smoking darüber gezogen.

Aber am Eingang erfuhr er, dass Damen- und Herren-Kür vorgestern und gestern schon gewesen waren und dass heute als letztes Paarlauf stattfand, der auch in Kürze schon zuende ging. Karten waren ohnehin seit einem Jahr ausverkauft, inzwischen auch längst auf dem Schwarzmarkt.

Was sollte Wolle also tun? Er hatte keinen Plan gemacht und die Intuition blieb jetzt aus. Alle Zugänge zu den Tribünen waren von Ordnungskräften bewacht, Polizei stand mit Hunden abseits bei ihren Mannschaftsbussen. So war also sein Kommen völlig sinnlos. Wolle strich dennoch immer wieder ratlos um die unzugängliche Festung, aus der nur manchmal ein undeutlicher Klang von Musik zu hören war.

Dann zog er resigniert einen Schlussstrich. Doch als er sich eben zum Gehen umdrehte und ein letztes „Schweinerei!“ murmelte, hörte er das Quietschen. Er fuhr zusammen, weil er dachte, er sei zur Strafe irr geworden und quietsche wegen seiner früheren Herzlosigkeit in aller Öffentlichkeit und für immer wie ein Schwein. Aber dann entdeckte er das ungeölte Garagentor, das gerade an der Hinterseite des Stadions öffnete. Am Tor war niemand zu sehen, es schien auf eine Fernbedienung reagiert zu haben. Wolle sah hinter dem Tor ein rotes großes Fahrzeug und musste schmunzeln, weil er es aus seinen Kindertagen noch gut kannte. Es war die Maschine mit dem Traktormotor, die das Eis präparierte, so eine, auf der er früher mal hatte mitfahren dürfen. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Paarlauf vorüber war und im nächsten Moment der Fahrer käme, durch das Garagentor ginge und in das Fahrzeug stiege. Aber in diesem Augenblick, das blitzte in Wolles Gehirn und damit war der rote Faden wieder gefunden, musste er selbst es sein, der einfach aufstieg wie früher als Kind, und so ging er sorglos naiv in die Garage und die Lichtschranke merkte es, schloss quietschend das Tor sogleich hinter ihm und öffnete schon das nächste nach vorne.

Wolle zuckte zusammen, denn vor ihm tat sich plötzlich die nackte Eisfläche im gleißenden Licht auf. Das letzte Paar stand noch in der Mitte, knickste und verbeugte sich, Blumensträuße kamen geflogen und mächtiger Beifall erschallte. Wolle, der sofort merkte, dass das Tor durch sein Eintreten zu früh aufgegangen war und der plötzlich Angst hatte, dass man ihn sah, sprang schnell in den Eistraktor und versuchte sich zu ducken. Aber im Fond des Fahrzeugs stand ihm ein abgestellter Gegenstand im Wege, und als Wolle ihn zur Seite rücken wollte, um mehr Platz zu haben, fühlte er, es waren Schlittschuhe. „Die gehören bestimmt dem Traktorfahrer“, dachte sich Wolle und er überlegte: „Wenn der sie beim Fahren vielleicht trägt, um eine auf dem Eis liegende Blume oder einen Schlittschuhschoner schneller aufzusammeln, so muss ich es auch so machen.“ Und damit zog er sich eilig die Schlittschuhe an.

Als die letzten beiden, Handküsse werfend, vom Eis gingen, spielte die Musik zum Intermezzo bis zur Siegerehrung leichte Rhythmen. Und weil es international zuging, kam deutsche Karnevalsmusik. Als Wolle den Motor anließ, schmetterten die Boxen: „So ein Tag, so wunderschön...“ Und rot und leuchtend tuckerte Wolle mit dem Traktor hinaus in die weite Halle. Und er war plötzlich ergriffen von dem Sound und ließ sich von der Spur bringen, konnte einfach nicht artig hin und her fahren, drehte das Lenkrad nach rechts, nach links, im Wechsel, dass es aussah, als schwinge sein Fahrzeug auf Schlittschuhen. Die Zuschauer klatschten, manche, die rasch mal hinausgehen wollten, blieben verduzt auf den Aufgängen stehen. Und da machte Wolle schon lockere Kreise und schraubte sie immer enger, bis das plumpe Fahrzeug erst auf zwei Räder kippte und dann durch rasches Bremsen auf einem einzigen Vorderrad stand und eine Pirouette drehte. Donnernder Beifall erschallte und dann, bei den Schlussakkorden „ja, so ein Tag, der dürfte nie...“ plumpste das Fahrzeug aufs Dach, drehte sich aber weiter und plötzlich so schnell, dass Wolle hinaus auf das Eis flog.

Zum Glück war er nicht auf den Steiß gefallen. Er rappelte sich hoch, die Musik hatte abgebrochen und alle Augen sahen betroffen auf ihn herab. „War das also das peinliche Ende der übermütigen und irgendwie ganz anders zu Herzen gehenden schönen Maschinenkür? Wie schade!“ So fragten und antworteten die Blicke und eine sprachlose Traurigkeit kam von den Rängen zu Wolle herunter geschwebt. „Aber nein!“, sagte sich dieser, davon berührt, „das war erst mein Anfang!“ Und er verbeugte sich. Dabei wies er ehrerbietig mit der Hand auf seinen kopfstehenden tapferen Kompagnon, als müsse man diesem noch einmal den richtigen Beifall zollen. Und als einige tatsächlich klatschen, umfuhr Wolle ihn mit großem Schwung, den Kopf fast auf das Eis aufsetzend. Und dann machte er sich daran, den Traktor würdigend zu persiflieren, die gleiche Kür, die die Eisputzmaschine hinter sich hatte, auf Schlittschuhen nachzuarbeiten. Er zog sich mit zwei Handgriffen den Smoking aus und stopfte ihn in das rosa Schweinskostüm darunter. Damit war er ganz wie der Traktor: dick, schwerfällig und unbeholfen, ein rosaroter schwerer Eisenkasten, aber plötzlich unglaublich beschwingt und alle Schwerkraft von sich werfend. Wolle war so wunderbar leicht und schwer zugleich, so witzig und wonnig, dass alle seinen Song anstimmten. Hunderte, ja, Tausende sangen plötzlich „So ein Tag...“, grölten es so unbändig, dass die Boxen irritiert wieder ansprangen und den Riesenchor noch verstärkten.

Aber dann stand Wolle plötzlich still. Der Gesang ging, etwas ratlos zwar, von den Rängen aus weiter, erwartete, dass Wolle wieder in Schwung kam. Aber der schaute zu dem Garagentor, dass sich geöffnet hatte um den richtigen Fahrer aufs Eis zu lassen. Oder besser gesagt, die Fahrerin. Es war, wie Wolle trotz der orangefarbenen Arbeitskleidung und Kappe erkannte, eindeutig eine Frau. Und die kam jetzt, ärgerlich, wie Wolle vermutete, ohne ihre Schlittschuhe auf ihn zu. Wolle fühlte sein Herz klopfen, wollte nicht sehen, was jetzt kommen musste, ein furchtbares Strafgericht, und in höchster Not zog er sich das Schweinskostüm einfach über den Kopf. Aber er merkte, dass kein Entrinnen war, fühlte, dass die andere Person schon drohend vor ihm stand und im Reflex, in Notwehr, streifte er ihr blitzschnell seinen Quieki über.
Einige lachten. Und Wolle, mit verzweifeltem Mut, fasste das verhüllte Individuum, hob es sich an die Brust und imitierte einfach einen Paarlauf. Er flatterte fort in seinem Sternenkleid, das rosa Bündel in den Armen, sah aus wie ein schillernder Grünspecht mit dem erbeuteten Wurm, tanzte in einem schnellen Rundlauf um das Eis und machte seine Salchos, dann den Lutz, den Toe-loop und Rittberger doppelt. Doch er war außer Übung nach all den Jahren, rannte plötzlich verhaspelt im Stakkato trippelnd weiter, vorwärts, rückwärts, war am Stolpern, schien zu fallen, fing sich aber noch in einer Drehung, die ihn, den Specht, jetzt um seinen Wurm, doch sogleich schon den Wurm um den Specht kreisen ließ, so dass niemand wusste, wo der Drehpunkt eigentlich lag, und schon flog das dicke rosa Schweinchen, an der Haxe gepackt in die Todesspirale und flog, während Wolle nichts als einen Schuh in der Hand zurückbehielt, davon, über die Eisputzmaschine, flog über die Zuschauer, die schreckgebannt den Atem anhielten, drehte dann aber mit wehendem Schwänzchen wie ein Bumerang eine malerische Kurve und landete wunderbar sanft wieder in Wolles Arm. Und während es jedem die Sprache verschlug und kein Laut mehr zu hören war in der weiten hohen Halle, verbeugte sich Wolle und auch das Schwein verbeugte sich und dann nahm es unsern Wolle in den Arm und war überhaupt nicht böse sondern ganz freundlich, schweinelieb, wenn man so will. Daraufhin verließen die beiden schnell, Haxe in Hand und von plötzlich aufrauschenden, dröhnendem Beifall verfolgt, das spiegelnde Eis.

Es dauerte etwas länger, bis die Siegerehrung endlich stattfinden konnte.
Es hatte Getuschel gegeben in der Juri und Aufregung bei der Presse und einer schrie aufgeregt: „Nein, so was!“ und schluchzte, aber dann war es wieder still geworden und zwei Herren trugen das Treppchen in die Mitte und postierten es neben dem Traktor, der Kopf stand.
Der Lautsprecher rief in Englisch die Namen der Paare, die sich Bronze und Silber erlaufen hatten und diese schwebten herein und stiegen auf ihren Podest.
Und dann hüstelte die Lautsprecherstimme und verstummte, und nach einer Weile sagte sie nur: „Sorry!“ Man hörte, dass das Mikrophon weiter gereicht wurde, als ob sich niemand getraute, hinein zu sprechen. Endlich seufzte jemand und sagte auf Deutsch: „Nun kommt schon!“

Da betrat Wolle in seinem Smoking das Eis und in der einen Hand trug er das Kostüm von Quieki. An der anderen Hand hielt er eine hübsche Frau, die jetzt das türkisfarbene Kleid anhatte, und wer in ihr die Fahrerin der Eisräummaschine noch wiedererkannte, musste sich wundern, wie viel besser ihr das schillernde Dress zu Gesicht stand. Wolle hob sie vorsichtig auf den obersten Podest und sie zog ihn alsdann zu sich hinauf.
Der IOC-Präsident erschien, schüttelte Hände und seine italienischen Begleiterinnen übergaben die Bronze- und Silbermedaille. Als sie dann vor dem mittleren Treppchen standen, wirkten sie ratlos. Aber dann nahm der Präsident ein kleines Mikrophon aus der Tasche und sagte bewegt: „Ladies and Gentlemen, for gold medal we have to discover a very strange miracle.“ Und zu Wolle gewandt: „Excuse me, Sir, could you tell us your name now, please?” Damit übergab er das Mikrophon. Wolle stotterte: „Wuff heiß ich“, und von der deutschen Tribüne flackerte vielstimmiges Lachen. Aber in diesem Moment hörte man die etwas italienisch eingefärbte Stimme der Traktorfahrerin sagen: „I am so glad to be here. Besides me is Wolfgang and my name is Annett. We have just married in the pause. So our family name is Körner. Thank you.”

Wie das alles gekommen war, wusste so schnell keiner zu sagen. Erst eine Wochenzeitung, deren Mitarbeiter gründlich und geschickt recherchiert hatten, konnte acht Tage später das Geheimnis lüften.
Annett hatte Wolfgang nie vergessen. Ihre Affäre mit dem Eisclown beendete sie sofort, als Wolfgang deshalb gestürzt war. Sie verließ später Deutschland und lebte von Gelegenheitsarbeiten in Italien. Ihr krankes Herz brauchte mehr Sonne. Zehn Jahre später erkannte sie Wolfgang in einer Eurovisionsshow. Weil sie an diesem Abend Besuch von einer Freundin aus Deutschland hatte und ausnahmsweise ein bisschen angetrunken war, heiter und wehmütig zugleich, zeigte sie ihr das alte türkisfarbene Kleidchen und erzählte ihr, dass sie diesen Mann auf dem Bildschirm noch immer liebte.
Am nächsten Tag suchte sie das Kleid um es wegzuwerfen. Doch es war verschwunden. Die Freundin, die abgereist war, hatte es in Gedanken an das Gehörte mit in ihren Koffer gepackt.

Annett und Wolfgang aber eröffneten in Deutschland die Körnerschule für Eiskunstlauf und, weil Wolle nun nichts mehr nachträgt, kannst du bei ihm sogar Eisclown werden. Wer zu Annett und Wolle kommt, bleibt, denn er spürt, nicht Leistung allein ist wichtig. Die Lust am Leben kann blühen, die Toleranz und die Unterstützung, und jeder lernt, dass das Teilen von Freude und Leid mehr als alles andere reich macht.
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Alt 25.04.2011, 00:04   #2
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
Alter: 70
Beiträge: 10.909


Statt zocken muss es zappen heißen. Das Englisch ist auch nicht ganz richtig. Wenn Kinder den Text lesen, sollte man ihnen das vielleicht sagen.

LG gummibaum
gummibaum ist offline   Mit Zitat antworten
Antwort

Lesezeichen für Wolle Wuff holt Gold (Kindergeschichte)

Themen-Optionen Thema durchsuchen
Thema durchsuchen:

Erweiterte Suche


Ähnliche Themen
Thema Autor Forum Antworten Letzter Beitrag
Kindergeschichte 2 gummibaum Geschichten, Märchen und Legenden 0 19.04.2010 10:44
Oma holt Milch Ilka-Maria Geschichten, Märchen und Legenden 3 19.11.2009 20:57
wieder(ge)holt violett_cherry Sonstiges Gedichte und Experimentelles 3 29.05.2007 20:01
Holt Rilke ab! tagedieb Gefühlte Momente und Emotionen 24 11.04.2006 08:16


Sämtliche Gedichte, Geschichten und alle sonstigen Artikel unterliegen dem deutschen Urheberrecht.
Das von den Autoren konkludent eingeräumte Recht zur Veröffentlichung ist Poetry.de vorbehalten.
Veröffentlichungen jedweder Art bedürfen stets einer Genehmigung durch die jeweiligen Autoren.