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Alt 23.03.2011, 06:04   #1
gummibaum
 
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Beiträge: 10.909


Standard Bemerkenswerte Begegnung

Der erste Urlaubstag in Kairo war leider ganz unergiebig verbummelt worden. Als er vom Bus aus die Pyramiden endlich sah, dunkelte es schon. Er lief die letzten Meter Richtung Gizeh zu Fuß. Doch sinnlos. Die Kassen waren geschlossen, die Absperrgitter schon aufgebaut. Letzte Touristen stiegen von den Kamelen, die Reisebusse fuhren ab. Dann beruhigte sich der Staub.
Er lief seltsamerweise weiter, weil er kein Konzept hatte und war, da die Absperrungen, lässig hingestellt, viele Lücken ließen, plötzlich auf dem Grabgelände. Er war darauf gefasst, dass eine schneidende militärische Stimmen ihn anschrie und man ihn hinauswarf. Doch nichts dergleichen geschah.
Nur ein lumpiger, dünner Mann winkte plötzlich, er grinste unsicher und führte ihn, als er sich verleiten ließ, in eine Art Höhle. Offenbar eines der vielen unbedeutenden kleinen Gräber, in denen die Leibeigenen des Pharaos lagen. Der Mann war noch jung, wie er im schwachen Licht erkannte, er roch wie ein Tier und zupfte stumm immer wieder an ihm herum, um ihm vorsichtig etwas klarzumachen. Er wandte sich zum Gehen, er ahnte nichts Gutes. Da sprach dieser seltsam scheue Mensch nun doch: “I can show you the Pyramides, if you like.” Es war klar, dass dies kein offizieller Führer war, hier unerlaubt an Geld kommen wollte und wer weiß, ihn ausraubte. „It's closed now”, sagte er daher unmissverständlich, doch der andere flehte: wait, wait, my wife, my poor children, wait… I take you up to the top.
Es entstand eine Pause, weil er daran dachte, wie gerne er da hinaufklettern würde, nur war es streng verboten. Das stand überall. „Strictly forbidden!“, konterte er und der andere: „I can do, don't worry.“ Sekunden verstrichen, denn der sinnlose Tag machte ihm zu schaffen. Er reichte dem andern jetzt doch einen Geldschein. Als der aber die Hand weiter aufhielt, ließ er ihn einfach stehen. Doch der kam eilig hinter ihm her und kniete sich vor ihn hin: „Thank you! Thank you!“ und ging eilig voran zu den Pyramiden.
Er hatte jetzt Mühe, dem schmächtigen Bettler zu folgen, der sich gut auszukennen schien. Der führte ihn durch ein Labyrinth von Gräben und wählte die erste, die kleinste Pyramide. Er rief ihn zurück. Denn wenn er nun schon Geld gab, wollte zur größten. Er deutete hinüber und marschierte gleich über die offene Ebene los. Da zischte es hinter ihm wie ein Warnruf und als er sich umdrehte, machte der andere angstvolle Grimassen, als ob da drüben böse Geister schwebten und er kam ärgerlich zurück.
Er schloss sich also wieder an an dieses Männchen, das, anders als er dachte, nicht über die Steinquader kletterte, das mit ihm durch kaum sichtbare Spalten glitt, bis plötzlich ein Pfad, der hinter der Fassade lag, über Stufen im Zickzack höher führte. Der schmuddlige Mann ging rasch und sicher, mehr als einmal schien er verschwunden zu sein und sogleich fand er ohne ihn im Dunklen nicht weiter. Doch immer kam er endlich zurück und einmal zog er ihn in eine Nische. Da konnten sie durch Ritzen sahen sie, dass unten vollbesetzte Reisebusse fuhren.
Knapp unter der Pyramidenspitze aber blieb der Führer wie angewurzelt stehen, als wäre er schon am Ziel. Man sah aus der luftigen Höhe auf das Lichtermeer der Stadt. Er aber war nicht am Ziel, er zeigte sehr ungeduldig hinauf. Der andere beschwor ihn zu bleiben. Jetzt wurde er ungeduldig, jetzt verfluchte er diesen ungebildeten Menschen mit seinem rückständigen Aberglauben. Was sollte schon geschehen? Den einen Meter! Er stieg. Da hielt ihn die schmale Hand zurück.
Unheimlich sprach eine donnernde Stimme in diesem Moment, es dröhnte von der anderen Seite der Pyramide, dann brandete eine furchtbare Symphonie über die Wüste, Flutlicht in Grün, Gelb, Rot tauchte die Pyramiden in wilde Farben. Die großartige Licht-Ton-Schau, die hier allnächtlich vor Tausenden Touristen auf großen Tribünen feierlich die Geschichte der Pyramiden und Pharaonen erzählte, hatte begonnen und um ein Haar wäre er auf der Spitze der Pyramide, wo, wie der Lautsprecher schallend ausrief, der Sonnengott thronte, zu sehen gewesen.
Jetzt befiel ihn ein Zittern, eine panische Angst, dass auch auf der anderen Seite dieses furchtbare Licht anginge und ihr Rückweg unter Pfiffen, Johlen und schließlich Stockschlägen ins Gefängnis führte. Aber das passierte nicht. Der Führer brachte ihn sicher auf den Boden zurück und er belohnte ihn jetzt erleichtert mit weiteren Scheinen.
Irgendwann würde er von diesem dünnen, tierhaften Mann erzählen, der doch ehrlich gewesen war, furchtlos und für ihn wie ein Retter. Der sich für seine Familie in Gefahr begab, während er nur die Sensation gesucht hatte.
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