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Alt 08.02.2011, 22:09   #1
gummibaum
 
Dabei seit: 04/2010
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Beiträge: 10.909


Standard Am Schreibtisch,Teil 1

Am Schreibtisch

Vorbemerkung:
Ich habe mich gelegentlich mit zwei Typen herumzuschlagen, die miteinander in enger Verbindung und Ergänzung stehen und (was der Grund dafür ist) in meinem Charakter beheimatet sind. Bei sorgfältiger Beobachtung lassen sie sich jedoch jeder für sich recht genau unterscheiden; ja, es kann sogar ein Geschichtchen von ihnen erzählt werden. Und dass ich dies wirklich tun will, ist meinem Bedürfnis, das Schicksalhafte zuweilen als originell sympathisch zu finden, entsprungen.
Bei dem einen nun handelt es sich um jene bedenkliche Spezies, die niemals mit sich selbst zufrieden ist. Und nicht aufhört, mit sich selbst an selbstgesetztem Zeitpunkt eine Art Geburt zu feiern. Dabei wird die verrottete, überfällige Larve in die dunkle Vergangenheit verstoßen. Das neue, durch neuen Vorsatz geschaffene Ich der favorisierte Nachfolger im Amte.
Der andere Typ -dass ich auch ihn kurz nenne- befindet sich in einem eigenartigen Dauerschlaf. Sein Gefühl, dass das, was ihn umgibt, mit ihm geschieht, die Wirklichkeit nicht sein könne (denn diese hatte er sich reichlich anders ausgemalt), bewirkt, dass alles für ihn Schemen bleibt und er es nicht recht ernst nimmt und indessen wartet, bis er dort erwacht, wo er nach seiner Meinung hingehört.
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Sie sollten ihn kennenlernen! Darauf wollte er schwören. Er hatte Prinzipien. Knallhart. Aber – er wird kreativ sein. Ein Bündel voll Überraschungen: anders, als irgendjemand sich denken wird. Er fühlte die Kraft. Fühlte die Ordnung, die er leben, mit der Beharrlichkeit einer tieferen Einsicht leben und, wenn sie sich eben mit seinem Namen verbinden sollte, sprengen würde. Ha! – Alles war klar. Gerade Linien, sein Leben. Fortschritt. Unaufhaltsam. Und dann – wie die Königin der Nacht – eruptiv: sein Genie! Unvorhergesehen. Unverwechselbar. – Wieder musste er lachen. – Er würde sich selbst unfassbar bleiben. - Ein Atompilz malte sich in seine Phantasie. Doch nein – er würde ja aufbauen und nicht – sein Blick fiel auf den Wecker: warum klingelte der nicht?! Es war sechs Uhr! Er war sicher, er hatte ihn auf sechs Uhr gestellt, denn pünktlich – da klingelte er! Es musste ein Zeichen geben: jetzt war er eingesetzt. In seine Zukunft. Er holte zu einem frischen, eindeutigen Aufstehen aus – das Bett war die Rampe, von der aus – schon stand er! –
Und mit Präzision, mit Anschaulichkeit: mit Symbolik lüftete er jetzt sein Bettzeug am Fenster. Wie ein Gegengewicht, der klare Morgen. Wollte es ihn halten und bestätigen? Eine unbekannte Dynamik widerfuhr ihm jetzt unter der Dusche: wie er das Seifenstück in der Hand hielt, und es wie von selbst an seinem Körper dahinfuhr. Er musste im Besitz eines höheren Planes sein, und der teilte sich rein seinen Gliedmaßen und über diese den Gegenständen mit. Es war ein unbekanntes Fest, sein Leben! Aber er merkte die Gefahr: nicht zu sehr ins Spielerische treiben lassen! Sorgfalt, Klarheit, Energie in jedem Schritt. Er griff das Handtuch. Ja: das war wieder etwas anderes, wie er jetzt seinen Rücken und die Schenkel bearbeitete. Aber das war immer noch er. Er umspannte: Vieles! – Hatte er nicht geahnt, dass er sich selbst zum Wundern aufgegeben würde?!
Kaffeezeit. Ein kräftiger, ein genussreicher Kaffee sollte es sein. Denn jetzt wollte er sich innerlich strecken. Und einen großen Gedanken - wo war das Kaffeemehl? Er fuhr sich leicht mit der Hand an den Hinterkopf (als ob es da etwas wegzuwischen gab)und harrte so einen Augenblick. Aber was konnte ihn denn im Rhythmus beirren? Der Vorgänger hatte keinen Kaffee besorgt. Der Vorgänger! Seine Unzuverlässigkeit war allbekannt. Drum war er abgelöst. Drum hatte man ihn gründlich aus dem Amt entfernt! Und der Nachfolger war immer gefährdet, sich in der hinterlassenen Schlamperwirtschaft zu verstricken, und er würde daran zu messen sein, wie gut er dies besteht.
Er rückte die Kaffeebox in die Ecke. Dann lächelte er. Man hatte ihn zum Nachfolger eingesetzt. Man hatte sich etwas dabei gedacht: er wusste nur zu gut, er war unerschütterlich. Und er wusste es besser. Es konnte nicht anders sein. Der Vorgänger war jetzt schon Legende. Das würden sie merken. Oh ja!
Er saß am Tisch, und weil es jetzt keine weitere Zeit zu verlieren galt, kerzengerade: strich sein Brot und kaute, schluckte, kaute, strich ein neues - er hatte so viel nicht essen wollen. Doch was kümmerte ihn das Essen?! Er hatte zu arbeiten. Und, diese lächerlichen Küchenprobleme hinter sich zu lassen, stand er auf, noch kauend, er verließ die Küche und musste sich beherrschen, die Küchentür offen zu lassen: denn es war ja keine Flucht, Verstimmung war es, begreiflicherweise. – Das Geschirr würde er später spülen.
Ja, du meine Güte, wie sah es im Arbeitszimmer aus! Nur gut, dass er gerade in leichter Wut war: so rammte er sich in die Arbeit hinein – doch halt! – er wunderte sich seiner Geistesgegenwart – nicht festgebissen! Den Überblick muss man bewahren. Er hatte am Schreibtisch schon Platz genommen; doch war es noch leicht, sich abzufangen, bevor man sich, all zu überdreht, in einer stumpfsinnigen Werkelei völlig unwirtschaftlich einschloss, vergrub und verlor. Es musste zuerst ein Plan erstellt werden. Natürlich, Zeit durfte man nicht verlieren. Zurückgelehnt fasste er die Gegenstände, die verstreut herumlagen, ins Auge. - Wirrsal! – Dieser Vorgänger hatte es fertiggebracht, alle Welt zu täuschen und ihr Arbeit vorzuspiegeln, die indessen hier nie stattgefunden hatte. Einen Augenblick lang versuchte er, sich diesen Mann vorzustellen, doch schnitt er das sogleich ab. Wenn er auch keine Sympathie befürchten musste: er hatte einfach keine Zeit für solche Phantasien. Er hatte hier alles zu ändern. Und er würde es ändern. Und keiner konnte es behindern.
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